„Wozu baut man denn sonst so ein Schiff?“, entgegnete Sarti. „Schnell und wendig. Damit holt man jedes andere Schiff ein und raubt es aus. Und was man nicht unbedingt selbst gebrauchen kann, vertauscht man einfach im nächsten Hafen.“
„Aber sieh doch nur“, erwiderte Khor. „Sie haben vor allem Pelze ausgeladen und dafür Apfelmost an Bord genommen. Sie kommen mit Sicherheit aus dem östlichen Meer. Findest du nicht auch, dass sie aussehen wie die Leute aus Gotenansk, wo wir im letzten Sommer waren?“ Khor versuchte, mit irgendjemandem von der Besatzung in Blickkontakt zu kommen. „Gotenansk?“, rief er laut, als ihm einer der Männer zufällig ins Gesicht sah. Der drehte sich um, als ob er sich vergewissern wollte, dass er es war, den Khor angesprochen hatte.
„Nej Gotenansk“, rief der Blonde zurück. „Mang länger Nord.“ Er deutete immer wieder so heftig in die angegebene Himmelsrichtung, dass jeder sofort verstand, wie unendlich weit entfernt seine Heimat liegen musste. Dann winkte er ab und ließ erkennen, dass er an einer Unterhaltung nicht interessiert war.
„Das sind bestimmt Piraten“, zischte Sarti. „Schau nur die Waffen überall. Als Händler zieht mal ja wohl kaum bis an die Zähne bewaffnet los.“
„Na, das wird wohl davon abhängen, wohin man fährt“, versuchte Khor eine Erklärung zu finden. „Vielleicht sind es Pelztierjäger und waren den ganzen Winter über in gefährlichen Gegenden. Ihre Pelze sind jedenfalls allesamt weiß. Schneefuchs, Schneehase, Hermelin …“
Sah Gwenaëls Schiff im Vergleich zu dem schnittigen Gefährt der Männer aus dem Norden ein wenig pummelig aus, so wirkte es gegenüber dem nächsten Schiff regelrecht schlank und elegant. Es war ein dickes, schwerfälliges Fahrzeug mit großem Tiefgang. Gebaut, um möglichst viel Nutzlast zu befördern. Khor wunderte sich, denn offenbar nahm es nichts weiter an Bord als Getreide. Säckeweise wurde es aufs Schiff geschleppt und sogleich in dessen feistem Bauch verstaut. Dafür hatte man Berge von sehr robusten und praktischen, doch nicht sehr formvollendeten Töpferwaren ausgeladen, die nun von den Einheimischen mit lautem Geschnatter begutachtet wurden. Einige seltsam in die Höhe gezogene spindelförmige Gefäße, die Khor schon irgendwo einmal gesehen hatte, waren abseits auf einem Tischchen aufgebaut, über das man sogar ein Stück purpurnen Stoffs gebreitet hatte. Vor allem Frauen scharten sich darum. Manche schienen gar in Verzückung zu geraten von den Düften, die den Gefäßen entströmten.
„Unguentarien“, jauchzte Sarti. „So wie meines.“
„Ha“, lachte Khor und erinnerte sich an das Fläschchen, das, seit er Sarti kennen gelernt hatte, dessen ganzer Stolz war. „Dann wird es Zeit, dass du dir ein Neues zulegst. Der ranzige Inhalt in deinem verströmt ja kaum noch etwas, das man Duft nennen kann.“
„Neulich hat dir sein Inhalt aber noch sehr wohl behagt“, gab Sarti beleidigt zurück und humpelte auf die vielversprechende Auslage zu.
Khor versuchte währenddessen mit einem der Seeleute des fremden Schiffes Kontakt aufzunehmen. Gleich neben der Planke, über welche die Getreidesäcke an Bord gebracht wurden, saß ein rundlicher Mann mit kahl rasiertem Schädel auf einem eigentümlichen Stuhl und achtete darauf, dass beim Beladen alles mit rechten Dingen zuging. Er war braun gebrannt, als hätte er tagein, tagaus in der Sonne gelegen. Um seinen dicken Bauch hatte er eine einstmals weiße Stoffbahn aus Wolle geschlungen, an der unzählige Fransen baumelten und die an die Festtagsröcke der Frauen in Khors Heimat erinnerte. Sein Oberkörper war unbekleidet, allerdings hatte er einen dicken Umhang weit herabhängend über seine Schultern gelegt, der auf seinem Rücken fast bis zum Boden reichte. Seine wachen braunen Augen hatten Khor schon längst ausgemacht und ihn genau besehen, um abschätzen zu können, ob er womöglich etwas Übles im Schilde führte. Khor fühlte sich ertappt, als er gerade überlegte, wie er ein Gespräch beginnen könne und ihm der andere derweil freundlich ins Gesicht lächelte. „Gegrüßet seiest du, mein Cherr!“
„Ich grüße dich, Fremder.“ Khor deutete eine Verbeugung an. „Es ist mir eine Ehre, dich kennen zu lernen. Wie ist dein werter Name und wo bist du Zuhause?“
„Man nennt mich Hamil-kahar und komme ich aus Onuba, das man auch nennt Guelbah oder auch Tarschisch.“
Khor hatte weder von dem einen, noch dem anderen Ort jemals etwas gehört. „Viele anders Namen deine Heimat, was?“, verfiel Khor in ein Kauderwelsch, von dem er annahm, dass der andere es besser verstünde.
„Bitte?“
„Ich meine“, Khor räusperte sich, „dass deine Heimat wohl unter vielen, ganz unterschiedlichen Namen bekannt ist.“
„So ist es“, lächelte der Dicke und nickte. „Und du? Wie bist du benamt und kommst wo her?“
„Verzeih! Ich heiße Khor und komme aus dem Land wo der Honig von den Bäumen tropft.“
„Icheisekor. Schöner Name. Und Du kommst aus einem offenkundig süßen Land.“ Beide lachten und Khor musste an Yasemin denken, die seinen Namen vor mittlerweile vier Jahren auf dieselbe Weise missverstanden hatte.
„Nein“, winkte er ab. „Mein Name ist Khor.“
„Ah, verstehe. Für Freunde Khor, für andere Icheisekor.“
Khor lachte und wollte den Missverständnissen ein Ende bereiten, also nickte er einfach. „So ist es.“
„Wenn du willst, Cherr Khor, sei Gast auf mein Schiff.“
„Sehr gerne. Ich danke dir. Doch ich platze vor Neugier: Wo liegt die Stadt, aus der du kommst.“
„Dummkopf“, zischte ihm Sarti ins Ohr, der gerade neben Khor getreten war. „Tarschisch liegt nördlich von Gadir und ist wegen seines Silberreichtums eine der reichsten Städte der Welt.“
„Oh, dein Freund kennt sich aus“, rief Hamil-kahar vergnügt. „Bring ihn doch mit. Dann können wir ein wenig plauderren.“ Er klatschte in die Hände, woraufhin zwei weitere Schemel geholt wurden, die man aufklappen konnte. Khor hatte noch nie derartige Sitzgelegenheiten gesehen und fand sie überaus praktisch. Zwischen den beiden durch ein Scharnier verbundenen Holzrahmen spannte sich, einmal aufgeklappt, eine Sitzfläche aus dickem Leder.
„Setzt euch zu mir“, bedeutete ihnen Hamil-kahar, während Khor die Schemel in Augenschein nahm.
„Oh“, entschuldigte Khor sich abermals. „Dies ist mein Freund Sarti.“ Khor setzte sich nieder und war erstaunt, wie bequem die seltsame Sitzgelegenheit war. Sarti tat es ihm gleich und hüpfte sogar zur Probe mit dem Hinterteil auf und ab.
„Willkomm auf mein Schiff“, sagte Hamil-kahar und klatschte abermals in die Hände. Dieses Mal wurde ein kleines rundes Tischchen gebracht, dessen Platte mit seltsam verworrenen Ornamenten aus Elfenbein kunstvoll eingelegt war. Drei Becher wurden darauf gestellt, in die man irgendwelche frischen Kräuter gestopft hatte. Schließlich erschien einer von Hamil-kahars Leuten mit einem kleinen Kessel kochenden Wassers, das er über die Kräuter in die Becher goss und abschließend noch etwas dickflüssigen Sirup hinzufügte.
„Habt ihr herabgetropften Honig aus der Heimat?“, fragte Hamil-kahar und drückte die Kräuter in seinem Becher mit einem Stöckchen unter das dampfende Wasser. Dabei verbreiteten sie einen aromatischen Duft, der Khor nur zu vertraut war.
„Leider nicht genügend, um etwas davon abzugeben“, bedauerte er. „Wir ahnten ja nicht, dass Honig anderswo so rar sein könnte.“
„Aha“, lächelte Hamil-kahar. „Also Händler seid ihr keine.“
„Das ist Minze!“, rief Sarti überrascht und lachte erleichtert, denn er hatte insgeheim Schlimmes erwartet. „Bei uns zuhause nehmen wir sie gegen Bauchgrimmen.“
„Wir auch“, nickte Hamil-kahar. „Aber eben auch zur Erhaltung der guten Verdauung. Schmeckt gut und erfrischt!“ Während ihrer kurzen Unterhaltung hatte er die Träger mit den Getreidesäcken nicht aus den Augen gelassen und gab einem seiner Leute plötzlich einen Wink. Der nahm den letzten an Bord gebrachten Sack und hängte ihn an eine Waage.
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