„Ach, sonst wär’s ja auch kein wirklich schönes Geschäft!“ Es war offensichtlich, dass Gwenaël von dem Gedanken gequält wurde, dass es manchmal auch schlechte Geschäfte gab. „Was meinst du, was Gurvan mit den Karostoffen anstellt? Jedenfalls mit jenen, die ihm seine Frau nicht abquatscht. Ha! Die Priester an den Heiligtümern der Halbinsel geben ihm gut und gerne das Doppelte dafür.“
Broc räusperte sich verlegen, denn er hatte den Gewinn aus diesem Handel eindeutig auf Gwenaëls Seite vermutet.
„Aber so soll es ja auch sein“, lächelte der und winkte seinen Verwandten an Land herzlich zum Abschied. „Dafür werde ich dann in Gadir reich belohnt werden.“
In deutlichem Abstand folgte Gwenaël der Felsenküste, so dass sie gerade noch als roter Strich am Horizont zu erkennen war. Es sei zu gefährlich, sich ihr unnötig zu nähern, erklärte er, da überall Klippen, Kliffs und Felsen lauerten. Man tat also besser daran, Abstand zu halten und sich erst dann wieder zu nähern, wenn man sicher war, die Landmarken richtig deuten zu können.
Zu Khors Überraschung erwiesen sich die eingelegten Fischreste, die sie während des Tages verspeisten, als eine außerordentlich pikante Leckerei. Selbst Sarti, der sich zunächst skeptisch zurückhielt, war schließlich restlos begeistert und löcherte Gwenaël nach der genauen Zubereitungsweise. Satt gegessen lagen die vier Freunde an Deck in der Sonne und genossen die sie umgebende Schönheit.
„Rot wie Blut der Stein“, zitierte Gwenaël aus dem Gedächtnis, „ein Riese hieb hinein, gleich wo die Wunder ragen. Dort solltet ihr es wagen, die Säulen aufzusuchen, links und rechts vom Hieb, dann findet ihr den Weg und braucht den Göttern nicht zu fluchen.“
„Das soll einer verstehen, dein Gereime.“ Ottel schüttelte den Kopf.
„Es ist ein Vers, der allein durch seine Form vor nicht unbeträchtlicher Gefahr warnt“, erläuterte Gwenaël. „Zwei Reimpaare und zwei weitere, diesmal ineinander geschachtelte Reimpaare. Das heißt: Vorsicht, hier kann es gefährlich werden. Und wenn wir den nächsten Hafen anlaufen, werdet ihr schließlich die Worte verstehen.“
„Und wie klingt so ein Reim, wenn es ungefährlich ist und er vor nichts warnen muss?“, fragte Ottel nach.
„Na, heiter und leicht.“ Gwenaël überlegte und zitierte einen weiteren Vers. „Dort wo die Klippen sich neigen, um eine Sandbank zu zeigen, folge dem Lauf des Wassers ins Land, dann siehst du Twynavon zur rechten Hand.“
„Kennst du zu jedem Hafen solch einen Reim?“, wollte Sarti wissen.
„Aber natürlich!“, sagte Gwenaël stolz. „Jedenfalls zu jenen Häfen, die ich schon einmal angelaufen habe. Aber zu manch anderen auch. Für uns Seegeborene bewahren diese Reime das Wissen, wie man dort gefahrlos ansteuert. Es ist Jahrhunderte altes Wissen“, raunte Gwenaël andächtig. „Als Schiffsjunge musste ich die Verse auswendig lernen und mein Vater war unbarmherzig, wenn ich sie nicht ganz richtig aufsagte. Denn eine kleine Auslassung oder Veränderung genügt und du läufst auf das nächstbeste Riff auf.“
„Das ist ja interessant“, mischte sich nun Khor ein. „Kennst du denn auch einen Vers für …“, Khor überlegte, „sagen wir einmal Gotenansk?“
„Aber sicher doch!“ Gwenaël war stolz, zu sehen, wie beeindruckt seine Freunde waren. „Nach der Steilwand mit Gesicht, folg’ Hels Kette, zögre nicht, denn sie wird dich dorthin leiten, wo des Nordens Männer streiten. Wenn nur dein Schiff recht prall gefüllt, ist ihre Streitlust bald gestillt.“
„Ein einfacher Hafen also“, zeigte Sarti, dass er den Sinn der Reime grundsätzlich erkannt hatte.
„Ein einfacher Hafen“, bestätigte Gwenaël, „aber keine einfachen Leute. Aber das habt ihr im letzten Sommer ja selbst erlebt.“
Als der Tag sich neigte und die Sonne bereits warme, gelbe Strahlen aussandte, standen alle ergriffen an Deck und schauten zum Festland hinüber. Man sah zwar nur schroffe, abweisende Felsen, die im Licht der Sonne blutig rot strahlten, doch war der Anblick zu Herzen gehend schön. Vor ihnen tanzten Möwen wie Schneeflocken im Wind und stießen ihre sehnsüchtigen, heiseren Schreie aus, die Khor seit jeher mit Fernweh erfüllten. Der Wind zauste heftig in seinen Haaren und hätte die Sonne nicht doch schon einige Kraft gehabt, so würde er frösteln. Gebannt schauten alle auf die vollkommene Schönheit der Felsenküste.
„Das Land der roten Felsen“, flüsterte Gwenaël. „Sie sind den Menschen, die hier leben, heilig. Zwischen ihnen müssen wir an der richtigen Stelle hindurch, um zu der Siedlung zu gelangen, wo mein Vetter Kharec lebt.“
„Um unser Leben Willen“, jammerte Sarti, „wir werden hilflos an den Felsen zerschellen!“
„Nicht, wenn man die richtige Stelle kennt.“ Gwenaël war ganz ruhig. „Rot wie Blut der Stein, ein Riese hieb hinein …“
„Hier sieht es aber überall so aus, als ob sich gleich mehrere Riesen an den Felsen ausgetobt und mehr als einen Spalt in der Küste hinterlassen hätten!“ Sarti stand die Angst ins Gesicht geschrieben.
„… gleich wo die Wunder ragen, dort solltet ihr es wagen …“
Und tatsächlich: Ein ganzes Stück vor ihnen ragten zwei schwarze Menhire in den Himmel, die man auf zwei hohen Klippen errichtet hatte.
„…die Säulen aufzusuchen, links und rechts vom Hieb …“ Gwenaël ließ das Schiff direkt auf die kleine Bucht zwischen den Felsen mit den Menhiren zusteuern.
„Es ist viel zu eng“, schrie Sarti wie von Sinnen. „Wir werden an den Felsen zerschellen. Und ich kann doch gar nicht schwimmen!“
„Das würde dir auch nichts nützen“, sagte Ottel trocken. „Die Wellen hätten dich augenblicklich an den Klippen zerschmettert.“
„He, he!“, rief Gwenaël begeistert, als das Schiff zwischen den Klippen mit den Menhiren in die Bucht hineinschoss. „…dann findet ihr den Weg und braucht den Göttern nicht zu fluchen.“
Nie hätte Khor erwartet, dass sich unmittelbar hinter der Durchfahrt die Felsen weiteten und den Blick auf einen mit Meerwasser gefüllten See freigaben, an dessen Ufer Höfe auf saftigen Wiesen standen. Kaum waren sie auf der Mitte des Sees angelangt, rief ein Mann am Ende der Durchfahrt „Ebbetide, Ebbetide“ und zog mit Helfern an dicken Seilen. Auf dem gegenüberliegenden Ufer verfuhr man ebenso. „Ebbetide, Ebbetide!“
„Pfiffige Kerle sind das hier“, erläuterte Gwenaël das seltsame Tun. „Dort, wo die Schreier stehen, befindet sich quer zur Fahrrinne eine Schwelle aus Gestein. Ihr werdet sie nachher sehen, wenn die Flut abgelaufen ist. In ihrer Mitte hat man aber eine Rinne herausgebrochen, so dass auch noch Schiffe mit größerem Tiefgang hindurchfahren können. So wie unseres“, sagte Gwenaël mit Stolz in der Stimme. „Und mit den Seilen, an denen sie gerade ziehen, schließen sie ein schweres hölzernes Tor, das, herrscht erst einmal Ebbe, das Wasser im Hafenbecken zurückhält.“
Khor war zutiefst beeindruckt, ebenso Ottel und Broc, der sogar anerkennend durch die Zähne pfiff, was nur äußerst selten einmal vorkam.
Nur Sarti fühlte sich in seiner Haut nicht recht wohl. „Du wirst mir doch nicht sagen wollen, dass man ein Tor aus Holz bauen kann, das vollkommen dicht ist und kein Wasser durchlässt!“
„Nein“, gab Gwenaël zu. „Das kann man wohl nicht. Wenn es das Wasser im Hafen aber wenigstens halbwegs so lange zurückhalten kann, bis die Flut wiederkommt, dann ist sein Sinn und Zweck erfüllt.“
In der Mitte des Beckens drängten sich dicht an dicht die Fischerboote und hielten lediglich von Gwenaëls Schiff gebührenden Abstand; dem größten im Hafen, wie Khor abschätzend feststellte. Auch hier boten sogleich Fährleute ihre Dienste an, um die Besatzung an Land zu bringen. Obwohl es Khor eigentlich nichts anging, sprach er Elster und Rotfuchs an, die abermals an Bord blieben, um das Schiff zu bewachen.
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