„Na, ich bin mir sicher, dass Gwenaël ebenso gut weiß, was die guten Leute dort ihrerseits begehren“, knurrte Broc, ein wenig zu laut, als dass niemand es gehört hätte.
„Holla, mein Freund!“, rief Gwenaël aufgeräumt. „Das möchte ich wohl meinen! Was unsere Frauen zuhause während des Winters weben, ist dort überaus begehrt. Dort auf dem Festland liebt man die bunten Karos und die dünnen, dennoch dichten Stoffe aus der Wolle unserer windzerzausten Schafe. Sie werden dankbar sein, wenn ich ihnen ein paar Wünsche erfülle. Und mein Vetter wird sich freuen, uns beherbergen zu können.“
„Bleiben wir denn länger?“, fragte Sarti.
„Wir laufen gegen Abend mit der Flut dort ein“, entgegnete Gwenaël. „Die Ebbe können wir dann an Land verbringen. Der Hafen wird vollkommen trocken fallen.“
„Und das Schiff?“, rief Khor besorgt. „Es wird auf Grund zu liegen kommen und umkippen!“
„Aber nein! Es wird sich ganz langsam auf die eine oder andere Seite legen“, sagte Gwenaël ruhig. „Und dann ist es gut, wenn niemand außer Elster und Rotfuchs an Bord ist. Es braucht dann Ruhe und kein unnötiges Gewicht oder gar ständiges Getrampel. Ich gönne meinem Schiff diese kleine Erholung jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme. Wenn der Druck des Wassers dann von ihm weicht, seufzt und ächzt es, dass es eine Wonne ist. Nur nicht allzu lang darf man das Schiff trocken liegen lassen. Das Holz würde spröde werden. Aber einen Tag verkraftet es leicht. Es ist genauso angenehm für sein Gerippe auf dem Trockenen zu sein, wie für das Eure, wenn ihr schwimmen geht.“
Sarti hatte jedes Wort lautlos mitgesprochen, um nur ja nichts zu vergessen. „Ich kann aber gar nicht schwimmen“, sagte er plötzlich und erschrak sich ob dieser Tatsache, die er fast vergessen hatte. Bleich blickte er auf die offene See und griff unwillkürlich nach der Reling.
„Aber jetzt“, jauchzte Gwenaël, „gibt’s erst mal ein ordentliches Frühstück! Hering mit Ei!“
Sarti entschied sich, dass es wohl besser sei, darauf zu verzichten, bis er sich wieder an das Geschaukel auf dem Meer gewöhnt hätte. Und auch Broc und Khor meinten, dass das Spanferkel des gestrigen Abends ihnen noch immer eine ausreichende Sättigung verschaffte. Nur Ottel freute sich, auf die lange nicht mehr gekostete, eigentümliche Zusammenstellung und schien schließlich mit Gwenaël ein Wettessen austragen zu wollen. Offensichtlich hatte der Schiffsführer, wie seine gesamte Mannschaft auch, das gewöhnungsbedürftige Frühstück in den Monaten an Land arg entbehrt.
„Ach, ihr werdet euch schon wieder daran gewöhnen“, sagte Gwenaël voller Bedauern mit Blick auf die fastenden Freunde. „Ein paar Tage noch und ihr freut euch des Morgens drauf - wie damals, im letzten Sommer.“
Broc machte sich derweil wieder einmal am Heck zu schaffen, dort, wo man die Dinge gelagert hatte, die besser an der frischen Luft blieben, anstatt im Schiffsbauch verstaut zu werden. Es gab dort Laibe eines fürchterlich stinkenden Käses aus der Milch von Rindern, der gleichwohl ausgezeichnet schmeckte und besonders in den Gegenden, wo nur Schafe und Ziegen gehalten wurden, äußerst beliebt war. Stand der Wind entsprechend, konnte man seinen Geruch noch am Bug wahrnehmen, obgleich Gwenaël feste Planen hatte darüberlegen lassen. Daneben standen die Krüge mit Leinöl und anderen ähnlich gefährlichen Flüssigkeiten. Wäre solch ein Krug im windgeschützten Schiffsbauch zerborsten, hätte das Leinöl sich leicht selbst entzünden können. Es war schon erstaunlich, wie sehr die ständig von Unmengen von Wasser umgebenen Seeleute gerade das Feuer fürchteten. Dort hinten am Heck waren aber auch die Käfige für die lebenden Tieren untergebracht. Gwenaël weigerte sich zwar hartnäckig, lebendes Vieh an Bord zu nehmen – „Ich lass mir doch mein Schiff nicht zuscheißen!“ – hatte aber im vergangenen Jahr eingesehen, wie günstig es sein konnte, wenn man ein paar Raben an Bord hatte. Außerdem hatte er sich sogar soweit auf den Wolfshund eingelassen, dass er ihm für den äußersten Notfall ein mit Sand bedecktes Eckchen im Heck zugestandenen hatte, das leicht und ohne Spuren zu hinterlassen gereinigt werden konnte. Es befand sich gleich neben den Käfigen der Raben, denen Brocs Interesse galt. Gleich drei der Vögel hatte man in einen der Käfige gesteckt. Nur dem Raben, mit dem sich Broc während des Winters angefreundet hatte, wurde auf Brocs Wunsch hin ein eigener Käfig zugestanden. Ganz offensichtlich freute sich das Tier, Broc zu sehen; denn es schnäbelte hingebungsvoll durch die Stäbe und gurrte zärtlich dabei. Broc öffnete die Tür des Gefängnisses und der Rabe kletterte flugs auf seine Hand und über den Arm hinauf auf seine Schulter.
„Wenn der nun wegfliegt?“, entfuhr es Khor, der nach dem Zustand der Sandecke sehen wollte.
„Du siehst“, sagte Broc nicht ohne Stolz, „dass er es nicht tut. Er bleibt bei mir.“ Bereitwillig ließ Broc den Raben nach Härchen suchen, die er ihm aus den Ohren zupfen konnte.
Khor sah sich um. „Wo sollte er auch hinfliegen. Hier gibt es ja nichts als Wasser. Vielleicht irgendwo ein karges Inselchen.“
„Täusch dich nicht“, erwiderte Broc. „Wenn er nur hoch genug fliegt, wird er das Festland sehen. Stehen dann auch noch die Winde günstig, ist er schnell weit weg. Du hast deinen Wolfshund ja auch nicht festgebunden und er ist jedes Mal wieder zu Dir zurückgekommen. Manche Tiere schätzen eben die Gesellschaft des Menschen.“ Der Rabe ließ es zu, dass Broc ihn am Hals kraulte.
„Aber wenn wir an Land gehen, sperrst du ihn doch wohl wieder ein“, wollte Khor wissen.
„Hmmm“, überlegte Broc. „Ich glaube nicht. Der Bursche ist nun alt genug, um zu entscheiden, ob er bei mir bleibt oder sich doch lieber in den undurchdringlichen Wäldern des Landes herumtreiben will, das wir ansteuern.“
Sich vernachlässigt fühlend krächzte der Rabe in Brocs Ohr, was diesen derart erschreckte, dass er nach dem Vogel schlug. Krähend flatterte der Rabe von Brocs Schulter auf und flog mehrfach das Schiff entlang, um vorgetäuschte Attacken auf die Mannschaft zu unternehmen. Erst Gwenaëls Schimpfen und Fuchteln brachten ihn dazu, sich endlich auf den Bugsteven zu hocken, nur um sich dort aufzuplustern, gründlich zu schütteln und frech zu krähen. Schließlich flog er zu Broc zurück und setzte sich auf dessen Schulter, wo er von nun an hocken blieb.
Es war, wie Gwenaël es angekündigt hatte: Nach einem ruhigen, faulen Tag auf See schwappte man gleichsam mit der Flut in den Hafen von Pemmpoll. Abseits der mit Baumstämmen verkleideten Anlegestelle ließ Gwenaël ankern. Sogleich kamen Ruderboote herbei, deren Führer sich anboten, die Besucher gegen eine kleine Gabe an Land zu bringen. Broc fing an, irgendetwas von Gastfreundschaft zu faseln, rückte aber dennoch einen klitzekleinen Bernstein heraus, den der Fährmann gierig in seinem Wams barg.
„Das war wohl eindeutig zu viel“, schimpfte Ottel. „Du verdirbst hier noch die Preise.“
Sie ließen sich übersetzen und warteten an Land, bis auch Gwenaël endlich das Schiff verlassen würde, ein wenig misstrauisch beäugt von den Einheimischen, denen der Rabe auf Brocs Schulter sowie der Wolfshund an Khors Seite nicht ganz geheuer waren. Doch Gwenaël ließ sich Zeit und sah zu, wie erst alle anderen von Bord gingen, mit Ausnahme von Elster und Rotfuchs.
„Wenn du noch ein wenig hinwartest“, rief einer der Fährmänner zu Gwenaël herüber, „wirst du noch durch den Schlamm waten müssen, um an Land zu kommen. Und glaub mir, schon manch einer ist darin rettungslos versunken.“
Endlich ging Gwenaël als Letzter von Bord und griff sich, kaum an Land, einen herumlungernden Halbwüchsigen. „Lauf schnell zum Haus von Gurvan und sag ihm, dass sein Lieblingsvetter soeben eingetroffen ist.“ Der Junge rannte so schnell er konnte los, wusste er doch, dass bei guten Nachrichten der Bote immer auch ein wenig freigiebiger entlohnt wurde. Gerade hatte sich das Schiff mit einem wohligen Ächzen im trockengefallenen Hafen auf die Backbordseite gelegt, als ein wild gestikulierender Mann samt Frau und Kindern angerannt kam.
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