Der Deutsche lächelt mich seltsam an. Bin ich ihm zu forsch? Zu teuer? „Einverstanden. Klasse Idee, ich finde, das machen wir.“
Im gleichen Büro, wo wir eben die Flugtickets kauften, organisiert man uns wenige Minuten später ein Taxi zum Parkeingang. Keine Stunde später entrichten wir den doch recht happigen Eintritt und finden eine Parkrangerin, die uns begleitet. Sie schultert ihr altes Schießgewehr, dann ziehen wir los.
Stundenlang durchstreifen wir den dichten, von gelb vergilbten Akazien-Blättern gesprenkelten, ansonsten sattgrünen Urwald, wandern an Giraffen, Antilopen, Dornbüschen und Büffelherden vorbei. „Da musste ich schon mal mein Gewehr benutzen, um diese Hornochsen von einem Angriff abzuhalten!“, erzählt unsere Führerin nicht ohne Stolz. Auch vor Pavianen, die ganz in der Nähe herumkreischen, sollten wir uns in Acht nehmen. „Die beißen!“ Das weiß doch jedes Kind. Elefanten kriegen wir keine zu Gesicht.
Irgendwann, als meine Beine langsam schwer werden, geht’s unter den Stammresten eines riesigen Feigenbaums durch, den Parasiten überwuchern. Keine zehn Meter weiter springt eine Rotte Buschschweine über den Weg. Und immer wieder genieße ich zusammen mit meinem deutschen Geldgeber von Lichtungen aus den freien Blick in die Ebene.
Unterwegs berichtet unsere Begleiterin, wie bedroht die Tierwelt sei in ihrem Park, dem ältesten Tansanias. „Von allen Seiten stehen wir hier unter Druck, überall siedeln Menschen, die rücken uns immer dichter auf den Pelz. Noch schlimmer aber ist, dass die Besiedlung alle Korridore verschlingt, die die Tiere früher instinktiv nutzten, um den eigenen Genpool aufzufrischen. Jetzt leben die hier nur noch im eigenen Saft ...“ Die letzten Sätze machen die junge Frau ein wenig verlegen.
Bis hoch zum Krater schaffen wir es natürlich heute nicht. „Wussten Sie, Jens, dass das wahrscheinlich mal der höchste Vulkan Afrikas hier war? Ist vor 8.000 Jahren explodiert, hat ihn den Kopf gekostet.“
„Gar nicht lange her“, bemerkt mein Geldgeber beeindruckt.
Auch zu den berühmten Momella-Seen kommen wir nicht mehr, dazu bräuchten wir ein Auto, das Jens für die paar Minuten, die uns bis zum Sonnenuntergang noch bleiben, nicht mehr bezahlen will. Irgendwo kennt der Mann also doch gewisse Grenzen. Zur Belohnung erhaschen wir auf unserer Rückfahrt vom Taxi aus dann tatsächlich einen kurzen Blick auf den größten aller Berge und seinen schneebedeckten Kibo-Gipfel, dessen Gletscher im Abendrot glühen.
Den Abend verbringen wir mit einem netten Essen im kolonialen Ambiente des Arusha Hotels: Spinat, Bohnen, Süßkartoffeln, dicke Fleischsoße mit Stückchen vom Rind – herrlich! Bald darauf verabschieden wir uns recht früh ins Bett. Gar nicht so übel, wenn man sich vor dem Einschlafen noch von der Matratze aus einen „Derrick“ anschauen kann.
Es lebtsich gut von den Spesen eines mzungu . Nach einem ausgiebigen Frühstück mit mindestens vier gequirlten Eiern und ordentlich Speck holt uns Sonntagmorgen um acht wie bestellt das Taxi ab. Eine knappe Stunde später stehen wir vor dem Niceness-Air-Schalter am Flughafen. Während ich nur Handgepäck dabei habe, checkt Jens einen gehörigen Koffer ein. Allmählich macht sich doch ein wenig Nervosität in mir breit: Mein erster Flug! Bisher war ich mit unseren notorisch unzuverlässigen Bussen am Boden immer gut bedient. (Den Trip im Polizeihubschrauber damals aus Kilwa zurück nach Dar’ habe ich seit Jahren verdrängt und vergessen.)
„Ist da ihr halber Haushalt drin?“, frotzele ich meinen Auftraggeber scherzhaft an.
„Nein, aber Flossen und Tauchermaske nehmen schon eine Menge Platz weg. Und Gewicht!“
Die Frau am Gepäckschalter mischt sich lächelnd ein. „Da haben sie hier nichts zu befürchten! Kostet höchstens ein paar Dollar extra ... Die Abfluggebühr aber müssen Sie auf jeden Fall noch bezahlen.“
„Ich doch nicht!“, empöre ich mich und wedele mit meinem tansanischen Reisepass vor ihrer Nase rum. War diese Gebühr nicht sogar ausdrücklich „im Ticketpreis enthalten“?
„Okay, aber ihr Begleiter. Macht fünf Dollar.“ Petermann zückt einen Fünfer, dann winkt sie uns durch zur Sicherheitskontrolle. Erst durch die Schleuse, dann Arme hoch, Beine auseinander, fast so, wie bei meiner letzten Festnahme. Kurz darauf wandern Petermann und ich mit vielleicht fünfzig anderen Passagieren übers Flugfeld. Der Deutsche, bei weitem nicht der einzige mzungu unter den Leuten, muss einem Uniformierten nochmal seinen Koffer zeigen, der mit dutzenden anderen vor dem Flugzeug aufgereiht ist, dann steigen wir die Treppe zum seltsam schmalen Flieger der tansanisch-kenyanischen Fluggesellschaft hoch. Diese zwei mickrigen Propeller sollen uns durch die Lüfte tragen?
„ Welcome on board, Sir! “ Das freundliche Grinsen des Stewards entspannt mich nicht wirklich. Gern überlasse ich Petermann den Platz am Fenster, auch wenn er sich mit seinen langen Beinen da etwas quetschen muss. Wer am Gang sitzt, kommt schneller wieder raus. Irritiert schaue ich mich dann in der engen Röhre um. Vorne tritt gerade ein kräftig gebautes wazungu- Pärchen zusammen mit einem etwas gedrungenen, aber ebenfalls breitschultrigen Schwarzen in den Gang. Alle drei wedeln mit irgendeinem Ausweis herum und werden vom Bordpersonal überaus zuvorkommend auf die vordersten Plätze verwiesen. Der vierte Sitz in ihrer Reihe bleibt leer.
Dem Prospekt im Gepäcknetz vor mir entnehme ich, dass wir demnächst in fünf Kilometern Höhe 500 km/h schnell übers Land fliegen werden. Flögen wir statt nach Westen gen Osten, würden wir glatt gegen meinen Kili klatschen, wie beruhigend. Dann geht alles recht flott. Dröhnend starten die Motoren, die Propeller fangen an Luft zu schaufeln, und schon rollen wir wie an einem unsichtbaren Seil gezogen auf einer gelben Linie über die weite, asphaltierte Fläche des Vorfelds gen Osten. Keine drei Minuten später dreht sich das Flugzeug 180 Grad um seine Achse und röhrt sofort fürchterlich auf. Wir starten! Und schwupps, schon sind wir in der Luft, kein steiles Aufbäumen, einfach so. Im flachen Winkel steigend, liegt Arusha unter uns, im Norden flankiert vom unnachahmlichen Mount Meru.
„Ladys and Gentlemen! Karibu!“ , tönt es kurz darauf aus den Bordlautsprechern. „Hier spricht ihr Co-Pilot. Willkommen an Bord unserer modernen ATR 72. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Flug an den Viktoriasee nach Mwanza, wo wir planmäßig um elf Uhr vierzig landen sollen. Das Wetter dort ist prächtig, auch für unsere Flugroute wurde uns ruhiges Wetter vorhergesagt. Aus Sicherheitsgründen empfehlen wir Ihnen trotzdem, während des gesamten Flugs angeschnallt zu bleiben. Sobald wir unsere Reiseflughöhe erreicht haben, wird Ihnen das Bordpersonal eine kleine Erfrischung reichen.“
Ein Sprichwort sagt, dass jemand, der den Regen preist, gleich selbst im Regen steht. Ich hoffe nicht, dass sich dies hier bewahrheitet. Mein Puls hat sich tatsächlich fast normalisiert, allmählich kann ich wieder denken. „Ist das normal, dass vorn Security sitzt?“, frage ich Petermann.
„Wieso Security?“, fragt er zurück. Sehen kann er von seinem Platz aus nichts. „Normalerweise sind vorne die überteuerten Sitze der Business Class, die für die VIPs.“
„Na ja, bei uns haben sich da drei Gorillas breit gemacht, die silberblonde Frau gehört dazu, da vorn, zwei weiß, einer schwarz. Sieht weniger nach Geld denn Einfluss aus.“
„Die gibt’s wohl überall. Wichtigtuer.“ Jens scheint es interessanter zu finden, sich die Nase am Fenster plattzudrücken. „Unter uns macht sich gleich die Serengeti breit! Ein Weltwunder!“
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