„Als eine Geste des guten Willens und zur Beruhigung der Gemüter möchte ich Ihnen jetzt zuerst einmal vorschlagen, dass wir gemeinsam die Bar unseres Fliegers plündern.“ Nun hat der Mann mich doch auf seiner Seite. „Vielleicht könnten einige von Ihnen unseren Stewards dabei helfen, die Getränke hierher in den Schatten zu schaffen. Danach sollten Sie auch ihr Gepäck aus dem Flugzeug holen ...“ Der letzte Satz lässt die Leute augenblicklich unruhig werden. „Warum das denn, zum Teufel?“ „Was soll das heißen?“ „Fliegen wir etwa nicht weiter?“ „Ich habe Termine!“
„Bitte beruhigen Sie sich, ich werde Ihnen unsere Lage gleich erklären.“ Ersteinmal aber verteilt die Besatzung jetzt ihre gut gekühlten Döschen Cola, Beck’s und Viertelliterflaschen Wasser. Als wenn das lange reichen würde! Dann spricht der Kapitän weiter:
„Nach unserer Landung habe ich als erstes die Flugsicherung in Arusha verständigt, die mir gratulierte, zugleich aber auch verbot, die Maschine erneut zu starten, bevor sie nicht inspiziert worden ist. Daran habe ich mich zu halten. In Arusha blitzt und hagelt es seit einer guten Stunde Höllenhunde. Doch auch vom Ostufer des Viktoriasees werden schwere Gewitter gemeldet. Der Flugverkehr zwischen Arusha, Musoma und Mwanza ist eingestellt. Insofern wird das mit der Inspektion sicher noch ein wenig dauern. Wir befinden uns hier in Seronera in einer isolierten Schönwetterzone. Über die Zustände auf den Zufahrtsstraßen weiß ich noch nichts, nehme aber an, dass es die auch ganz schön erwischt hat. Ehrlich gesagt, rechne ich nicht damit, dass irgendwer von Ihnen die Serengeti heute noch verlassen wird.“ Empörtes Raunen macht sich in der Menge breit, aber der Kapitän lässt sich weder irritieren noch unterbrechen.
„Wir haben die Parkverwaltung über unsere unplanmäßige Anwesenheit informiert. Die hat ja, wie manche wissen dürften, nur wenige Kilometer entfernt ihr Hauptquartier. Von dort sind einige Kleinbusse unterwegs, die bald eintreffen dürften und Sie ins Parkzentrum nach Seronera bringen werden, wo man sich weiter um sie kümmern und auf dem Laufenden halten wird. Selbstverständlich kommt Niceness Air für sämtliche Unkosten auf.“
Klingt ja irgendwie ganz reizvoll: Ein Aufenthalt mitten zwischen Grzimeks Wanderherden, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort, ohne einen Shilling dazuzuzahlen. Nur ein einziges Mal habe ich das bislang erleben dürfen, als Schüler unserer Abschlussklasse vor mehr als zwanzig Jahren. Mein Trip mit Jens Petermann entwickelt sich zur Entdeckungsreise, noch bevor wir überhaupt angefangen haben, seinen Freund zu suchen. Als hätte ich darauf mein Leben lang gewartet.
9. Agenten in der Serengeti
Unfassbar,wie beschissen die Wettervorhersagen hier sind! Da hätten wir bei drauf gehen können!“ Charles McKune – so zumindest steht’s in seinem Pass – sitzt bei seinem vierten Bier auf der Terrasse der Seronera Lodge und hat absolut keinen Blick für die grandiose Umgebung um ihn herum. McKune’s blaue Augen sind rot unterlaufen, die helle Haut im Gesicht verbrannt und aufgequollen. Hals und Kopf gehen bei diesem Bild von einem weißen Afrikaaner fließend ineinander über. Von Tarnung keine Spur – was unterscheidet einen Agenten schon vom Touristen? Seine platinblonde Führungsoffizierin Susannah, weder hübsch noch hässlich, dafür genauso breitschultrig wie ihr angeblicher Ehemann Charles, ist stocknüchtern, weil im Dienst. Wütend pflichtet sie ihrem Kollegen bei. „Das hätte nie passieren dürfen! Die hätten doch nur ein paar Kilometer weiter südlich zu fliegen brauchen, dann säßen wir jetzt nicht mitten in dieser elenden Steppe fest! Serengeti! Wenn ich das schon höre! Fleischfresser und Dickhäuter haben wir zuhause doch im Überfluss!“
Das Paar ist seit 24 Stunden unterwegs. Vorgestern kam der Befehl, für eine vernünftige Vorbereitung des Einsatzes blieb ihnen kaum Zeit. „Am Viktoriasee geistert ein deutscher Starjournalist herum. Dessen Aktivitäten gefährden die Staatsräson. Stoppen Sie ihn.“ Es folgten Arbeitgeber, letzter Aufenthaltsort (Mwanza), Name, Alter, Passnummer und das Passfoto eines Mittvierzigers mit vollem Haar. „Der Mann ahnt, dass sich im Wrack der Bukoba brisante ( plofbare! ) Armscor-Dokumente über Südafrikas Verwicklung in den regionalen Waffenhandel befinden könnten. Er will danach tauchen. Kommen Sie ihm zuvor oder beschlagnahmen Sie seinen Fund. Der Einsatz besonderer Mittel ist erlaubt. Vermeiden Sie Aufsehen. Achtung: Sowohl befreundete (CIA, DGSE, MI6, BND) als auch feindliche Dienste (MSS, SWR) sind mit von der Partie.“ Gestern Vormittag dann der dreieinhalbstündige Flug von Johannesburg nach Dar es Salaam, wo sie ihr Militärattaché abfing und zum Kilimanjaro umleitete. Was folgte, war ein elend langes Warten auf den Anschlussflug, dann eine improvisierte, kurze Nacht in einem versifften Hotel in Arusha, alles nur, damit der CIA-Kollege Mohammed King sie dort heute Morgen würde briefen können. Eigentlich hätten sie längst in Mwanza sein sollen und ihren Kontaktmann Godwell treffen müssen, so war der Plan.
Das Gespräch mit dem legendären Mohamed King hatte ihnen dann auch noch den Tag verhagelt. Nicht unbedingt arrogant, aber mit diesem so typisch ignoranten Selbstbewusstsein des US-Amerikaners hatte der zerknittert wirkende CIA-Mann ihnen umständlich wie kleinen Kindern den Ursprung des Alarms erklärt: Executive Output ist mit im Spiel! Nur weil die NSA deren Namen in Verbindung mit der Erwähnung Osama bin Ladens aus dem Datenwust routinemäßig abgefangener Telefongespräche einer Hamburger Redaktion herausgefiltert hatte, wussten sie überhaupt etwas vom Vorhaben des deutschen Journalisten Gerd Koerner. Darüber hatte die CIA dann neben anderen auch den SASS informiert. Eher unwahrscheinlich, dass die NSA-Analysten den viel näher liegenden bedrohlichen Zusammenhang zwischen „diving“ und „Bukoba“ erkannt hätten.
Executive Output – diese Paramilitärs, die sich an keinerlei Regeln halten! Wie soll man mit solch freischaffend arbeitendem Pack auf der Bühne den guten Ruf Südafrikas retten? Wenn die schneller sind und tatsächlich irgendwelche Belege in die Hand bekommen, wer wann wie ohne warum mit wie vielen Waffen von Armscor versorgt worden ist, gibt’s am Ende glatt ´ne Schießerei! Dafür hat man sie schließlich losgeschickt: Zur Geschäftssicherung. Natürlich wäre es auch ganz nett, imageschädigende Berichte über ihren Nationalhelden Madiba zu verhindern. Hat viel riskiert, der Mann, nicht erst als Vermittler in Burundi. Kein Schatten soll auf sein Erbe fallen.
Mohamed King hat kein Problem mit nüchternen, blondierten Kolleginnen, mit Alkohol hingegen schon. Der gedrungene, höchstens ein Meter fünfundsiebzig große Mann, einer der wenigen schwarzen West Point Absolventen, hat schon bessere Tage gesehen. Jetzt ist er Ende vierzig und zum Erfolg verdammt. Sonst kann er abtreten. Stationiert in Nairobi, hatte er die SASS-Kollegen heute Morgen nach Arusha zum Briefing eingeladen. Das Verhältnis zwischen CIA und SASS war zwar seit Ende der Apartheid zuweilen leicht gespannt, aber alte Bande halten lange. Natürlich waren die Südafrikaner der Einladung gefolgt, schon allein aus Eitelkeit.
In dieser Sache schien es King, dass sich seine Interessen beziehungsweise die der USA mit denen Südafrikas weitgehend deckten: Niemand konnte wollen, dass beider Länder Verwicklung in den schwunghaften Waffenhandel mit der ruandischen Patriotischen Front, die 1994 die Völkermörder aus Kigali vertrieb, oder mit den später siegreichen Rebellen der CNDD Burundis bewiesen wird, geschweige denn, dass man auch die jeweiligen Gegner der heute in Ruanda und Burundi Herrschenden stets prächtig mit Kriegsgerät versorgt hatte. Da könnten manche Leute leicht auf die Idee kommen, dass sich dies bis heute fortsetzt, angesichts der anhaltenden Kleinkriege gar bis weit in den Kongo hinein ausgeweitet habe. Das Image Washingtons wie auch das der Regierung in Johannesburg als selbstlose Friedensstifter, natürlich immer gern auf Seiten der Sieger, würde in jedem Fall Schaden nehmen.
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