Genau das aber, unwiderlegbare Beweise zu liefern für das doppelte Spiel der USA und Südafrikas bei den Machtkämpfen um die Rohstoffe im Gebiet der Großen Seen, schien sich dieser deutsche Enthüllungs-Journalist Gerd Koerner vorgenommen zu haben, vor dem die gesamte Szene warnt. Wracktauchen im Viktoriasee! Was für eine beknackte Idee!
Es war ja tatsächlich gar nicht so unwahrscheinlich, dass Al-Kaidas zweiter Mann Abu Ubaidah al-Banshiri, der damals mit der Fähre absoff, ein Archiv feindlicher Erkenntnisse bei sich trug. Zumal in den Tagen zuvor auch noch das Gerücht die Runde machte, Söldner von Executive Output hätten sich im Sudan einen Koffer klauen lassen. Die Inhalte gehen selbstverständlich niemanden außer der Agency etwas an. Sollte an dem Gerücht was dran gewesen sein und auch Al-Kaida etwas von den Plänen dieses deutschen Journalisten mitbekommen haben, könnte sich vielleicht sogar ein weiterer Grund auftun, die Sache im Auge zu behalten: Dann würden hier nämlich alsbald auch bekannte Figuren auftauchen, hinter denen King schon lange her ist, allen voran das brandgefährliche Oberarschloch Fazul Abdullah Muhammad.
Nachdem die Islamisten-Bande damals ihr Hauptquartier in Khartoum überstürzt hatte aufgeben müssen, war al-Banshiri vor dem Untergang zwei Tage auf der Flucht. Der hatte seine Dossiers kaum unterwegs irgendwo sichern oder loswerden können. Eher erstaunlich, dass dieses mögliche nachrichtendienstliche Leck nicht längst entdeckt und gestopft worden war! Ist denn niemand von den Jungs in Langley vorher mal darauf gekommen und runtergetaucht? Das hätte man doch spätestens vor zwei Jahren beim Einsatz an der abgestürzten russischen Iljuschin vor Entebbe nebenbei erledigen können. Da waren Gerät und genügend Spezialisten vor Ort. Stattdessen muss er jetzt hastig improvisieren und sich mit zwei weißen Afrikaanern arrangieren, weil angeblich nur diese beiden auf die Schnelle über die nötigen Kontakte vor Ort verfügten.
Aber warum zum Teufel schickten die Springboks auch ausgerechnet ein weißes Pärchen? Die fallen hier doch auf wie Vollmond! Mit gut ausgebildeten, unsichtbaren Wrack-Spezialisten der südafrikanischen Navy hatte King gerechnet, nicht aber mit einem Doppelpack unerfahrener weißer Heißsporne. Viel zu spät hatte er sich deren Personalakten kommen lassen. Wie er mit diesem „Ehepaar“ McKune unbemerkt in Mwanza operieren, vielleicht sogar tauchen gehen soll, ist ihm schleierhaft. Erst recht, nachdem sich auch noch dieser Executive-Blödmann Piet van Vegan in Bukoba hat festnehmen lassen und die tansanischen Behörden aufgescheucht hat! War der etwa schon am See gewesen und hatte Koerner beseitigt? Lief deshalb die Vermisstenmeldung über Interpol? Dann besäßen jetzt auf jeden Fall die Falschen das Material aus der Fähre.
Als der CIA-Mann sich mit zerknittertem Jacket zu seinen afrikanischen Kollegen auf die Aussichtsterrasse setzt – sein gesamter Aufzug hat unter der Beinahe-Notlandung arg gelitten –, ist er spürbar distanziert. Hinter der Brüstung, nur wenige Meter entfernt, weiden zwischen Dornbüschen und Felsen friedlich eine Handvoll Thomson-Gazellen.
„Auch ein Bier? Gutes Kilimanjaro ...“ Der Akzent des rotwangigen SASS- Kollegen klingt breiter als erwartet.
„ No, thanks. Let’s talk about our next steps ...“
„Welche Schritte sollen hier wohl möglich sein? Wir sitzen fest, verdammt“, antwortet Charles McKune genervt.
„Reden Sie keinen Mist, Mann, die sind doch gut organisiert hier. Ich will hier heute noch weg!“ Der Ärger knautscht nach seinem Anzug jetzt auch noch Kings Gesicht.
„Können’se vergessen! Wir befinden uns im tiefsten Afrika! Schwarzafrika! Und nebenbei: Wieso sollten wir überhaupt zusammen reisen?“, nörgelt Kollege Charles weiter, eindeutig angetrunken. „Außerdem hab ich mir den Nacken verrenkt ...“
Genervt unterbricht seine Chefin Susannah das Geplänkel. „Charles, halt mal die Klappe.“ Die Frau hat Stil! „Sobald sich das Unwetter verzogen hat, mieten wir uns eine der Cessnas, die auf dem Flugfeld standen. Da reicht schon die kleine Skyhawk, die ich gesehen habe, sind ja kaum noch 200 Kilometer bis zum See. In einer Stunde sind wir drüben.“
Tatsächlich gelingt es den drei Agenten noch am gleichen Nachmittag, einen Piloten zu finden, der starten mag. Kurz vor Sonnenuntergang checken sie in Mwanzas teuerstem Hotel ein, dem Royal Ochid Malaika Beach Resort im Stadtteil Ilemera.
10. Hannes bleibt am Boden
Hierkommen wir heute nicht mehr weg, Jens. Will ich eigentlich auch gar nicht ...“ Petermann und ich fläzen uns entspannt in den Korbsesseln des Seronera Touristenzentrums. Dumm nur, dass der Akku meines mobiles leer ist, da steckt mama Bwire’s Nummer drin. Vielleicht denke ich später nochmal daran ihn aufzuladen, sie wird sich keine allzu großen Sorgen machen. Zuspätkommen ist ja nicht ungewöhnlich.
Fast alle Passagiere wuseln im Zentrum herum, nur die drei Gorillas und die Mütter mit den Babys sehe ich nicht, die vorne saßen. Große, von Wind und Wetter geschliffene Granitblöcke mit unzähligen Pfützen in den Ritzen verstellen hie und da den Blick in die Landschaft. Wo freie Sicht ist, stockt einem schnell der Atem. Auf dem kurzen Weg von der Landebahn hierher sind uns derart viele Tiere begegnet, wie ich sie in Moshi im ganzen Jahr nicht sehe: Erst brachte ein Warzenschwein mit hoch aufgerichtetem Schwanz den Toyota abrupt zum Stehen, dann zog eine ganze Elefantenfamilie gemütlich über die Piste. Giraffen, Gazellen, Antilopen, Meerkatzen, eine kleine Büffelherde, Aasgeier und Marabus auf den Bäumen und schließlich sogar ein gelangweilter Gepard, der es sich zwischen den Dornbüschen bequem gemacht hat: Welch grandiose Szenerie!
Während so allmählich die Spannung von mir abfällt, ist Petermann sichtlich erschöpft. Den holt unser Beinahe-Absturz jetzt offenkundig ein, auch die lange Anreise und das tolle Klima dürften ihm zusetzen. Dabei sollte doch ein mzungu in dieser Umgebung eher platt vor Staunen sein, ohne Ende Adrenalin ausschütten und sich über die paradiesischen Tierbegegnungen freuen. „Jens, alles okay?“
„Nicht wirklich, fühl’ mich ziemlich schummrig. Auch mein Kopf fängt an zu dröhnen. – Könnten wir uns um die Zimmer kümmern?“
Mit diesem seltsamen „wir“ meint er natürlich mich. „Dafür sind die Leute von Niceness zuständig. Aber ich schau mal ...“
Nach einigen Minuten Herumfragen weiß ich, wie es weitergehen soll. Niemand nimmt an, dass unser Flugzeug noch heute wieder starten kann. Auch auf dem Landweg kommt hier niemand weg. Nach Westen zum See hin blockiert mindestens ein Erdrutsch die Piste, und die recht gut befestigte Straße nach Mto wa Mbu ist durch den heftigen Regen noch stundenlang unpassierbar glitschig. Fluggesellschaft und Parkverwaltung aber haben große Probleme, uns mitten in der Hochsaison irgendwo unterzubringen. Weil sie „niemanden im Zelt schlafen lassen wollen“, bieten sie an, uns auf verschiedene Lodges im Park zu verteilen. Betten im Luxuszelt sind nämlich auch dreimal so teuer wie in einer Lodge ...
„Ich trau Niceness Angebot nicht recht“, berichte ich Petermann. „Wie will man die ganzen Leute morgen früh alle wieder pünktlich einsammeln und zum Weiterflug zusammenbringen? Deshalb hab ich darauf bestanden, in der Nähe des Flugfelds zu bleiben. Jetzt sollen wir in die Serena Safari Lodge gebracht werden, nicht weit von hier. Natürlich hat auch geholfen, dass Sie mzungu sind.“
Petermanns helle Haut ist mittlerweile fast schon papierfarben, dem Mann geht es wirklich mies. „Wie weit ist das? Nicht, dass ich unterwegs noch umkippe ...“
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