„Keine Angst, das sind keine zehn Minuten.“ Zum Glück befinden wir uns nicht am Meer, sondern auf fast 1.500 Meter Höhe – sonst wäre die Aussicht, dass mir mein mzungu in der feuchten Tropenhitze zusammenbricht, ziemlich real. Wie weiß können Gesichter von wazungu eigentlich werden? Kurz darauf schleust man uns zu einem der parkeigenen Kleinbusse und kutschiert uns über Stock und Stein zur Anlage.
Die Serengeti Serena Lodge gibt’s schon lange, das sieht man sofort. Ihre massigen, zweistöckigen Rundhütten liegen wie ausgestreut mitten in der üppig grünen Vegetation, jede Hütte auf anderer Höhe. Die Gebäude verschmelzen zwischen Felsen, Myrrhe-Sträuchern und Schirmakazien so perfekt mit der Landschaft, dass man von ihnen fast nichts anderes wahrnimmt als das mit Stroh gedeckte Dach und die großen Panoramafenster. Jede Hütte hat drei oder vier Appartements mit Privatveranda, von denen der Blick auf Tränken in der Ebene schweift. Jetzt, am Nachmittag, weiden dort unten einige Zebras und Klipspringer, etwas weiter entfernt kann ich auch ein paar Elefanten erahnen. Heute Nacht dürfte es an den Wasserlöchern hoch her gehen, vor die Tür gehe ich dann garantiert nicht mehr!
Jens und ich bekommen eine unglaublich komfortable Doppelsuite mit Vollbad zugewiesen. Wehe, wenn Niceness dafür später Zuschlag verlangt! Da kennen die ihren Hannes Wabaye aber schlecht! Nach der Beinahe-Bruchlandung haben wir uns diesen Luxus redlich verdient. Die erquickende Umgebung werden wir genießen, die nimmt uns keiner mehr. Sogar einen Pool soll es hier irgendwo geben! Nur blöd, dass ich weder eine Badehose habe noch schwimmen kann.
„Haben Sie gelesen, was hier steht?“ Petermann hat sich mittlerweile in der Suite genauer umgesehen. „Die warnen ausdrücklich davor, nach Einbruch der Dunkelheit allein im Gelände herumzuwandern. Das sei dann nur noch mit einem Wächter erlaubt! Wie sollen wir denn dann zum Abendessen kommen?“
„Dafür gibt’s bestimmt einen Escort-Service, Jens.“
„Einen was? – Sie wissen schon, welche Dienstleistung sich bei uns hinter diesem Begriff verbindet, oder?
„Nein. Klären Sie mich auf?“
„Vergessen Sie’s. Ich brauch jetzt ein paar Stunden Ruhe, glaube ich.“
Am frühen Abend geht es meinem Auftraggeber deutlich besser. Auch ich habe mich aufs Ohr gehauen und einige Stunden geschlafen. Kurz vor zwölf – sechs Uhr mzungu-time – gehen Petermann und ich mit dem letzten Tageslicht unbegleitet rüber zum Hauptgebäude. Jedes Rascheln im Unterholz macht mich nervös. Wer garantiert mir denn, dass sich die Raubkatzen hier an die Regeln halten, beim Anschleichen sowieso geräuschlos sind und wirklich erst im Dunkeln auf die Pirsch gehen? Dieses eine Mal aber geht alles gut.
Zum Abendessen haben sich rund zwanzig der Gestrandeten im Restaurant versammelt, im großen Speisesaal herrscht ordentlich Trubel. Vor den Fenstern kabbeln sich kreischend Paviane, viele mit Jungen auf dem Rücken. „Bitte die Türen geschlossen halten!“ steht an jedem Ausgang.
Die Küche hat zum Buffet praktisch alles aufgefahren, was es an Nahrungsmitteln bei uns gibt – Salate, Suppen, rote, grüne und gelbe Bananen, weiße Kartoffeln, Ananas, Bohnen, Orangen, Avocado, Tomaten, Zwiebeln, verschiedene Sorten nyama choma , dick eingekochtes Gulasch, Würstchen, Speck, Steaks, gekochter Viktoriabarsch, gebratener Tilapia, Kekse, Nudeln, pilau , chipsi – alles, was das Herz begehrt, liegt auf diesem einen großen Tisch. Sogar Schweizer Käse aus Bukoba gibt es. Welch degoutanter Überfluss! Degoutant, ja genau, das Wort trifft es. Den Begriff habe ich seit Jahren nicht benutzt. Still und leise werde ich wütend.
„Das erste Getränk geht auf uns!“, besänftigt mich ungerufen eine hübsche Niceness-Stewardess. Auch da haben die Gäste die freie Auswahl: südafrikanische Weine, verschiedene kenyanische und europäische Biersorten, immerhin auch unser gutes Kilimanjaro Lager, Kaffee, Tee, Säfte, Brausen, Colas und Cocktails aller Art, Mineralwasser aus Frankreich.
Petermann ist wieder voll auf dem Damm – hat sich bestimmt was eingeworfen! – und schlägt bar jeder Bescheidenheit kräftig zu. Dann macht er Pläne.
„Wenn wir nicht noch heute Abend garantiert bekommen, dass der Flieger morgen wieder abhebt, mache ich mir morgen einen entspannten Tag, Hannes. Natürlich zahle ich Ihnen Ihren Tagessatz, aber ich werde hier nicht den ganzen Tag untätig rumsitzen und auf irgendwelche Nachrichten der Airline warten, dafür ist die Gegend hier viel zu spektakulär. Nicht viele Menschen fallen mitten im größten Naturschauspiel der Welt quietschfidel vom Himmel. Da will ich was von haben.“
„Kann ich verstehen, aber wie wollen sie ohne Niceness Air hier wieder wegkommen, Jens? Wenn die uns morgen einen Bus schicken ...“
„Wenn, wenn, Hannes, das kenn’ ich doch. Und Sie viel besser, stimmt’s? Die können mir viel versprechen. Bis ich den Bus nicht sehe und gesichert ist, dass die Straße gen Westen überhaupt befahrbar ist, rühr’ ich mich hier nicht vom Fleck.“
Wie recht mein mzungu hat. Die Wirklichkeit hinkt den Versprechen ja tatsächlich ständig hinterher. „Okay, dann halt ich morgen hier die Stellung, sollten wir nicht gleich noch was erfahren. Natürlich könnten wir uns auch eine der kleinen Maschinen chartern, die auf dem Flugplatz standen ...“
„Nein. Das geht mir gehörig gegen den Strich. Der Flug war teuer genug. Jetzt noch obendrauf viel Geld ausgeben für etwas, das ich nicht zu verantworten habe? Bis Mwanza zahlt Niceness, so eilig habe ich’s dann auch wieder nicht.“
Jens’ Rechnung scheint mir zwar vorne und hinten nicht aufzugehen, aber warum mich aufregen? Es ist sein Auftrag, sein Geld, seine Zeit. Ein ruhiger Tag zwischen wilden Tieren kann auch mir nur guttun.
„Apropos: Könnten Sie wohl noch mal versuchen, Gerds Nummer zu erreichen?“
Na bitte, ein bisschen drängt es ihn also doch. „Geht gerade nicht, mein Akku ist leer. Ich versuch’s später mal an der Rezeption.“
Schon träumt mein Auftraggeber weiter: „Ich habe gesehen, dass die hier Ballonfahrten über die großen Trecks der Gnus anbieten. Soll zwar sündhaft teuer sein, aber wenn ich schon mal hier bin, sollte ich mir das vielleicht einfach leisten. Zählt wohl zu den einmaligen Gelegenheiten im Leben ...“
„Mich würde ja nichts und niemand so schnell nochmal in die Luft kriegen. Aber natürlich kann ich versuchen, so einen Flug für Sie zu buchen, wenn Sie wollen.“
„Machen Sie das, Hannes! Möglichst natürlich mit einer Rücktrittschance, sollte Niceness uns morgen früh wider Erwarten doch noch zu sich rufen.“
Eine halbe Stunde später steht Petermann auf der Passagierliste eines der Luftballons, die morgen früh kurz vor Sonnenaufgang starten sollen. „War gezwungen, auch die Umweltschutzgebühr zu bezahlen. Sie müssen extrem früh aufstehen, Jens!“ Noch vor fünf Uhr seiner Zeit wird er abgeholt, die Chose in der Luft dann soll kaum eine Stunde dauern. Am Schluss gibt’s ein Champagnerfrühstück. Alles zusammen für schlappe 500 Dollar. Der Jahresverdienst eines Bauern! Geht’s noch? Innerlich wünsche ich meinem Deutschen momentelang Sturm und Gewitter.
Der Versuch, von der Rezeption aus Petermanns Freund zu erreichen, bleibt erfolglos. Wieder meldet sich nur die tansanische Telefongesellschaft, eine Mailbox zum Aufzeichnen von Nachrichten gibt es nicht. Noch ein Bier, dann lassen wir uns von einem bewaffneten Ranger des „Begleitservice“ in unsere Suite zurückbringen.
Nachts brüllen ganz nah Löwen, ein unvergessliches Geräusch, das ich zuletzt als Kind gehört habe und mein Blut gefrieren lässt. Später weckt mich lautes Bellen: Hilfe, Hyänen! Anscheinend verbellen die gerade einen Leoparden, dessen typisches Sägegeräusch im Hintergrund zu hören ist. Bei Sonnenaufgang – Petermann ist mit seinen Heißluftfliegern schon unterwegs – sitzen die grässlichen Viecher keine fünfzig Meter von unserer hoch liegenden Veranda entfernt unter einem Strauch und laben sich an einem Dikdik. Appetitlich.
Читать дальше