Die wichtigste Aufgabe der Zivilisation ist es, die Menschen zu der Fähigkeit zu erziehen, ihre Lebensarbeit mit dem Stärksten, nicht mit dem Schwächsten, das in ihnen ist, zu verrichten. Die meisten Menschen beuten nicht den vierten Teil von dem aus, was in ihnen steckt, und strengen sich nicht einmal an herauszufinden, woher es kommt, dass sie so wenig erreichen. Hie und da findet sich wohl einer, der sich darauf verlegt hat herauszufinden, wie er seine Leistungsfähigkeit steigern könne, und der nun vielleicht zwei Drittel seiner angeborenen Fähigkeit ausnützt; aber das ist schon selten. Sogar in den ganz seltenen Fällen, wo der Ausnahmemensch beinahe seine volle Leistungsfähigkeit ins Spiel bringt, hat dieser dennoch das Gefühl, nicht das voll zu leisten, was er hätte leisten können, wäre er von Jugend an dazu erzogen worden, seine Fähigkeit in wissenschaftlicher Weise zu nutzen.
Mancher wundert sich, warum er nicht rascher vorankommt, warum andere mehr Erfolg haben als er, während er doch viel angestrengter arbeitet. Aber die, denen er die alte Geschichte erzählt, er habe kein Glück, sie wissen wohl, woher es kommt, dass er sich nie über die Mittelmäßigkeit erhoben hat. Seine unordentliche Kleidung, sein ungehobeltes Benehmen, sein Mangel an Ordnung in seiner Arbeit verraten dem, der zusieht, das Geheimnis seines Misserfolgs mit lauter Stimme.
Seiner mangelnden Planmäßigkeit wegen hat ihm seine harte Arbeit nur wenig Erfolg gebracht. Er gleicht dem Schiffer in einem lecken Schiff, der sich damit begnügt, das eingedrungene Wasser auszuschöpfen und keinen Versuch macht, das Leck zu stopfen.
Größte Leistung bei geringstem Aufwand von Zeit und Kraft ist das allgemeine Streben. Das neue Zeitalter höchster Leistungen wird die alte umständliche Art zu reisen, seine Geschäfte zu besorgen, nicht mehr dulden, und wer Erfolg haben will, muss Schritt halten mit der Zeit, in der er lebt. Und doch ist es erstaunlich, wie wenige Leute im gemeinen Leben sich klarmachen, welche Menge wertvoller Zeit und Kraft sie bei der Arbeit verschwenden durch überflüssige Bewegungen, die ihre Mühe verdoppeln. Taglöhner, Angestellte jeder Art, Dienstmädchen und Landarbeiter vergeuden eine Menge Kraft und Zeit durch unnötige Bewegungen, mehrmaliges Hin- und Hergehen bei Dingen, die mit einem Mal erledigt werden könnten, und noch auf hunderterlei andere Weise.
Planlose, ungenaue, nachlässige Arbeit ist überall das Anzeichen der Unfähigkeit und Unbrauchbarkeit. Angestellte meinen oft, es sei ziemlich gleichgültig, wie sie ihre Arbeit verrichten, und es werde im großen Ganzen nicht viel ausmachen, ob sie sich Mühe geben oder nicht. Aber wenn ein Arbeitgeber Umschau hält, wem er eine wichtige Stelle übertragen soll, so sucht er sich einen aus, der planvoll zu arbeiten versteht und in allem durchaus brauchbar ist. Brauchbarkeit führt zum Erfolg, Unbrauchbarkeit zum Misserfolg. Mit andern Worten, das Maß deines Erfolges hängt von dem Maß deiner persönlichen Brauchbarkeit und Leistungsfähigkeit ab. Leistungsfähigkeit ist eines der wertvollsten Güter des Menschen, eines, das nicht gekauft werden und das man sich nicht durch Einfluss und gute Freunde verschaffen kann. Brauchbarkeit und Leistungsfähigkeit ist stets eine persönliche Eigenschaft, und kein Mensch braucht sie zu entbehren; jedermann kann sie haben.
Ein neuerer Schriftsteller sagt: „Geh nicht ins Leben hinaus, ohne dir ein Vorbild aufgestellt zu haben, und dann raste und ruhe nicht, bis du es erreicht hast.“
Ich glaube fest nicht allein an die Macht eines Lebensideals, sondern auch an den großen Einfluss, den es hat, sich für jeden Tag sein besonderes Vorbild aufzustellen, weil uns immer der nächstliegende Beweggrund im gegebenen Augenblick am meisten nützt und unser Streben zum Ziel vermehrt.
Die große Sache im Leben ist nicht nur, aufgerüttelt, zur Erkenntnis unserer Möglichkeiten erweckt zu werden, sondern auch wach zu bleiben, und nichts wird sich dazu wirksamer erweisen als das tägliche Aufstellen irgendeines Vorbildes einer besonderen Vollkommenheit. Der ganze Charakter wächst, wenn wir nach Vollkommenheit streben, uns bemühen, in unserem Beruf das Allerbeste zu leisten. Sind wir aber unordentlich in unseren geistigen Gewohnheiten und nachlässig bei unserer Arbeit, dann herrscht in unserem ganzen Leben ein stetiger heimtückischer Zug nach unten. In einem hohen Vorbild für unsere Arbeit und in dem ständigen Bestreben, dieses Vorbild zu erreichen, liegt etwas, das immerwährend an unserer Vervollkommnung arbeitet.
Ist dein aufgestelltes Ideal vollkommene Tüchtigkeit, so bedeutet das, dass du immer auf der Hut bist vor allem, was die Kraft deines Denkens und Tuns herabsetzen oder schädigen könnte. Es bedeutet, dass du gleich anfängst, richtig zu denken, sowie du morgens die Augen aufmachst, dass du den Tag damit beginnst, dich in Einklang mit dem Besten in dir zu setzen.
Das Ideal vollkommener Tüchtigkeit bedeutet, dass du deinen Tageslauf beginnst mit deiner menschlichen Maschine in vollkommener Ordnung, nicht mit vergiftetem Blut von den Ausschweifungen der verflossenen Nacht, nicht mit verbrauchten Gehirnzellen, die dein Denken beeinträchtigen und sich den ganzen Tag über deinen Bestrebungen hindernd in den Weg stellen. Es bedeutet, dass du erfrischt und verjüngt durch eine gesunde Nachtruhe dein Tagwerk beginnst, fertig und bereit, es meisterhaft zu vollbringen. Es bedeutet, dass du deine beste Kraft an alles setzt, was du den Tag über in die Hand nimmst, dass du ein Künstler in deiner Arbeit sein willst, nicht ein achtloser, gleichgültiger Handlanger.
Das Ideal vollkommener Tüchtigkeit hilft gegen das Zaudern, gegen die Neigung, eine unangenehme Aufgabe hinauszuschieben, schwierige Fragen zu überspringen. Es ist ein beständiger Sporn, auf Schritt und Tritt aufzuklären und reinen Tisch zu machen und nichts für morgen übrigzulassen, was heute noch getan werden sollte. Es hilft dir, in deinem Geist, wie bei deiner Arbeit Ordnung zu halten, denn es zeigt dir, dass du feindlichen Gedanken und Stimmungen die Pforten deines geistigen Königreiches nicht öffnen und Sorgen, Neid und Eifersucht nicht einlassen darfst, ohne deine Leistungsfähigkeit ernstlich zu schädigen.
Sich immer vollkommene Tüchtigkeit als Vorbild vor Augen halten, würde Wunder tun bei vielen gedankenlosen Angestellten, die niemals ihre Hände und Füße und ihre Arbeit durch ihr Gehirn leiten lassen. Niemals fällt ihnen ein, dass es zwei Arten gibt, eine Sache zu tun, die richtige und die verkehrte Art. Dies ist der Punkt, an dem der Erfolg vieler Menschen, die hart arbeiten und streben, dennoch scheitert. Sie denken nicht. Sie lassen ihr Urteilsvermögen nicht walten, gebrauchen ihren Verstand nicht bei ihrer Arbeit und arbeiten so ihr ganzes Leben lang unter ungünstigen Umständen.
Tüchtigkeit ist die Kunst, alles auf die beste mögliche Weise zu tun, jede unvollkommene, nachlässige, schwerfällige, zeitverschwenderische Arbeitsart sich abzugewöhnen und statt Unordnung Ordnung walten zu lassen. Sie lehrt uns, unsere Urteilskraft zu üben und erst zu überlegen, ehe wir eine Arbeit beginnen. Dies verhindert, dass alles zweimal getan werden muss, wie es bei einer unüberlegt begonnenen Arbeit so leicht der Fall ist, und scheidet alle überflüssigen Bewegungen aus.
Wenn du dir täglich das Vorbild vollkommener Tüchtigkeit vor Augen hältst, so wirst du vom frühen Morgen an alle unnötigen Bewegungen vermeiden. Tue dies schon während des Anziehens, und du wirst sehen, wie viele überflüssige Schritte du zu machen pflegst, schon ehe du zum Haus hinausgehst. Gehe nicht zwei- und dreimal in deinem Zimmer hin und her, wenn du deine Absicht auch mit einem Mal erreichen kannst. Tripple und krame nicht ziellos herum, halte dich nicht bei Unnötigem auf und nutze jeden Augenblick. Sage dir selbst: „Heute will ich zeigen, was Tüchtigkeit ist. Ich will keine falsche Bewegung machen und keinen unnötigen Schritt tun. Ich will meine Kraft nicht damit vergeuden, dass ich alles zwei- und dreimal tue. Ich will nicht bei der Arbeit meine Gedanken spazieren gehen lassen, will mich nicht sorgen und hetzen und dadurch Fehler machen. Heute soll alles nach den Grundsätzen höchster Leistungsfähigkeit geschehen. Ich will zeigen, dass ich leistungsfähig veranlagt bin. Ich will mir selbst vertrauen und gefasst und selbstbeherrscht sein und dadurch meinen Geist in aufbauendem, schöpferischem Zustand erhalten. Alles, was ich heute tue, soll von Bedeutung sein, soll dem Erfolg zustreben. Alles, was ich heute in die Hand nehme, soll brauchbar daraus hervorgehen und vollkommen gemacht sein.“
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