Rene Crevel - Der schwierige Tod
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René Crevel
Der schwierige Tod
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Inhaltsverzeichnis
Titel René Crevel Der schwierige Tod Dieses ebook wurde erstellt bei
Vakat Vakat "…..dieser Roman ist einer der wichtigsten Bekenntnisbücher der europäischen Jugend nach dem ersten Weltkrieg…." Klaus Mann
Kapitel 1 - Von den Wurzeln
Kapitel 2 – Ratapoilopolis?
Kapitel 3 – Souper mit Diana
Kapitel 4 – Nacht, Kälte, Freiheit, Tod
Kapitel 5 – Noch einmal helfen
Impressum neobooks
Vakat
"…..dieser Roman ist einer der wichtigsten Bekenntnisbücher der europäischen Jugend nach dem ersten Weltkrieg…."
Klaus Mann
Kapitel 1 - Von den Wurzeln
Madame Dumont-Dufour und Madame Blok unterhalten sich über ihr Mißgeschick, natürlich also über ihre Gatten.
Madame Dumont-Dufour — wäre sie als Mann zur Welt gekommen, sie wäre gewiß Jurist geworden wie ihr verstorbener Vater, der Präsident Dufour — schweift schon vom einzelnen ins allgemeine, von der Aufzählung persönlicher Schandtaten zu weitgehendster Anklage gegen die Gesellschaft und die Gesetze.
Ja ja, die Gesetze! Ist ihr Stumpfsinn nicht allzu groß? Wie toll auch Herr Dumont es getrieben hat, seine arme Frau hat noch heute nicht das Recht zur Scheidung.
In Ermangelung des Himmels schlägt sie die Blicke hilfeflehend zur Zimmerdecke empor und gestikuliert so gewaltig mit den Händen, daß Madame Blok sich im stillen denkt, Madame Dumont-Dufour gehöre doch eigentlich in einen Salon mit fünfundsiebzig Kerzenleuchtern und ebensoviel Konzertflügeln.
Aber was Madame Dumont herauf beschwört, ist mehr als nur ein Salon, ist ein Land, ein ganzer Kontinent, ja größer noch: ist das Reich ihrer Erinnerungen. Ein Meer ist es, durch das eine versunkene Stadt aufschimmert und auf dessen Grund tief unten Madame Dumont-Dufours Träume schlummern.
Und was blieb ihr denn eigentlich? — Klagen. Sonst nichts. Gehörte sie zu den Verblendeten‚ die von Einbildungen leben können, vielleicht würde sie dann den ganzen Tag lang imaginäre Rachepläne schmieden. Sie, die Prunkliebende, die von Visitenkarten mit Wappen und Titeln träumt, von Leichengespannen mit Wallenden Federbüschen und Lilien ohne Blütenstaub, wird sie jemals all ihre hochfliegenden Wünsche und Hoffnungen erfüllen können? Gäbe es eine irdische Gerechtigkeit, sie dürfte noch auf Erden an ihrem Lebensabend die Honneurs machen in einem Reiche von Erinnerungen, so vornehm wie das Versailles der Maintenon.
Stattdessen muß sie sich ihrer Hinterzimmer schämen und ständig darunter leiden, daß sie nichts besitzt, den Neid der Madame Blok zu erwecken. Das Reich ihrer Erinnerungen! Eine ärmliche Dachkammer ist’s, aus der sie nicht einmal die Trümmer ihrer Ehe forträumen darf, weil ja das Gesetz — ach ja, das Gesetz — ihr die Scheidung untersagt.
Weiß Madame Blok weswegen?
Madame Blok weiß nicht weswegen.
Sie möchte es gern wissen, aber andererseits fürchtet sie auch wieder für indiskret zu gelten.
Indiskret?
Eine königliche Handbewegung beschwichtigt Zweifel.
Indiskret?
Haben sie denn Geheimnisse, die eine vor der andern? Da sie gelitten haben, eine wie die andere, warum in ihren heimlichen Gesprächen die Männer schonen, diese Henkersknechte? Sind sie nicht, wie sie hier beisammensitzen — zwei Frauen in einem Salon in Auteuil —, sind sie nicht Schwestern im Leid?!
Ha, Schwestern im Leid. Dies Wort muß sich einbürgern. Madame Dumont-Dufour schwingt es wie eine Standarte und wird gewiß ähnliche Wirkungen damit erzielen wie Lamartine mit der Trikolore Frankreichs. Wie eine Ägis trägt sie’s, wie ein Feldzeichen. Lamartine am Fenster des Rathauses war nur ein Stümper gegen sie. Besitzt sie doch noch weit seltenere Eigenschaften als Beredsamkeit, und Madame Blok, die ihre französische Geschichte kennt, fühlt sich an Henry IV. erinnert. Zwar sieht man keinen weißen Helmbusch im Winde wehen, aber man weiß doch, daß man dem Führer nur zu folgen braucht. Man bedenke: Schwestern im Leid.
Schweigen. Zwei reglose Körper scheinen ausgehöhlt. Madame Dumont-Dufour selbst spürt das Unendliche durch die Leere, und fast fühlt sie sich, als hätte man ihr die Seele mit einem Vakuumreiniger ausgesogen.
Jetzt benetzen sich die Augenlider der Madame Blok. Aber nicht die traurigen Erinnerungen, auch nicht all die Zärtlichkeit, die man ihr zusammen mit Tee und Toast auftischte, noch auch die verzweifelten Ausblicke, die Madame Dumont-Dufour mit jedem Absatz ihrer Reden panoramaartig zu eröffnen verstand, bedingten diese feuchten Wimpern, diese zitternden Nasenflügel. Nein, diesmal lag die Wahrheit woanders. Madame Blok war einfach hungrig — hungrig nach Wissen.
Madame Blok wohnte mit ihrer einzigen Tochter Diana zusammen. Diana ist immer und überall zu sehen — im Kino, im Theater, bei Freunden und Gott weiß wo sonst noch ein modernes junges Mädchen sich herumtreiben mag —‚ Diana, die viel aufgeklärter ist als ihre Mutter, die tanzt und malt und Cocktails trinkt und nur mit Künstlern verkehrt, Diana spricht nicht. Wenn sie heimkommt, schlingt sie nur eins, zwei, drei ihre Mahlzeiten herunter; ihr Mund öffnet sich überhaupt nur um zu essen. Und daher kommt's, daß ihre arme Mutter gar nichts von der Welt erfährt, von der ihr Unglück sie getrennt hat.
Freilich ist da noch Vetter Bricoulet — Honoré Bricoulet. Regelmäßig erscheint er morgens gegen zehn Uhr, küßt Madame Blok auf beide Wangen und gibt ihr zu verstehen, daß ein Witwer — Madame Bricoulet wurde vor bald zehn Jahren der Zärtlichkeit ihres geliebten Honoré entrissen — und eine Witib — Monsieur Blok hatte sich vor mehr als zwei Lustren selbst den Tod gegeben — ein prächtiges Paar abgeben könnten. Madame Blok wird gerührt. Vetter Bricoulet erkundigt sich nach ihrem Vermögensstand, fragt jedesmal nach neuen Einzelheiten über den Selbstmord des Herrn Blok und entschließt sich erst den Belagerungszustand in dem Augenblick aufzugeben, wo Diana nach Hause kommt und dem Vetter, den sie nicht leiden kann, statt eines Grußes irgendeine Unverschämtheit zuruft.
Kaum ist Bricoulet fort, so faßt sich Madame Blok ein Herz und weist ihre Tochter zurecht.
„Du warst wieder recht unliebenswürdig zu Vetter Honoré.“
„Ach dieser häßliche Enterich.“ (Bricoulet spricht nämlich etwas durch die Nase.)
„Diana, wie ungerecht du bist.“
„Gewiß hat er dir wieder Liebeserklärungen oder einen Heiratsantrag gemacht. Arme Mutter, auf unsere paar Groschen hat er es abgesehen. Ein ganz geriebener Fuchs. Eine Laus würde er noch rupfen.“
Diana trällert vor sich hin:
„Bricoulet, Bricoucou,
Eine Laus
Rupftest du.
Eine Laus, eine Laus
Nähmest du,
Bricoucou,
Noch aus.“
Und dann: „Hütet Euch vor Bricoulet, Mutter.“
„Diana, dein Haß macht dich blind.“
„Er interessiert sich gar nicht für dich, sondern nur für dein Unglück. Das Traurige reizt ihn. Einen komischen Geschmack hat dein Honore. Ich hörte, Kalbszunge ist sein Lieblingsgericht. Er hat den gleichen Geschmack wie seine Katze.“
Diana läßt nicht nach. Bricoulet interessiert sie. Und das schlimmste ist, daß Bricoulet diese Feindseligkeiten schon bemerkt hat und seine Konsequenzen daraus zieht. Seine Besuche werden schon seltener. Und das gerade jetzt, wo Madame Blok sich bei ihm nach Madame Dumont-Dufour erkundigen wollte, nach deren unsichtbarem Gatten, der Honorés Schulfreund war, und auch nach ihrem Sohn Pierre Dumont, der, als nächster Freund und Malkollege Dianas, vielleicht sogar als Schwiegersohn in Betracht käme. Bricoulet aber rächte sich an der Mutter für die Feindschaft der Tochter, und so konnte sie nichts über Madame Dumont-Dufour erfahren, bis zu diesem Herbstnachmittag in dem düsteren Salon von Auteuil, an dem sie einander nach den eigenen Worten der Madame Dumont-Dufour als „Schwestern im Leid“ entdeckten.
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