Alexander Köthe - Der Trockene Tod

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Eine schreckliche Kreatur des Widernatürlichen treibt in der Stadt Istendah ihr Unwesen. Menschen werden auf grauenhafte Weise getötet, die Opfer stets blutleer und entsetzlich verstümmelt hinterlassen. Lu und Niekas, zwei Ermittler der besonderen Art und erfahrene Monsterjäger, folgen der Spur des Todes und bekommen unerwartet Hilfe. Gemeinsam wollen sie dem Grauen endgültig ein Ende setzen. Doch die Kreatur verfolgt ihre eigenen scheußlichen Pläne und lockt die Jäger in eine tödliche Falle.

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D e r

Trockene Tod

E i n e E r z ä h l u n g

a u s d e n

C h r o n i k e n d e s W i d e r n a t ü r l i c h e n

v o n A l e x a n d e r K o t h e Die Welt war voller Wunder Die Sonne der - фото 1

v o n

A l e x a n d e r K o t h e

Die Welt war voller Wunder.

Die Sonne, der Mond, die Sterne,

der Tag und die Nacht.

Feuer und Regen,

reiche Ernten, Dürren und Hungersnöte.

Vulkanausbrüche, Erdbeben, Überschwemmungen,

leuchtende Meere, sprudelnde Geysire und die Lichter des Nordens.

Neues Leben, Seuchen, Heilung und Tod.

Unerklärlich, übernatürlich, göttlich.

Deshalb glaubten die Menschen.

Geschichten drangen in Ohren,

veränderten sich,

wurden zu Legenden.

Und jede Legende enthält einen Funken Wahrheit.

P r o l o g

9 2 0 n a c h A n b r u c h

d e r N e u e n Z e i t

_______________

1 3 t e r T a g i m 1 t e n M o n a t

d e r Z e i t d e r S t ü r m e

G e g e n A b e n d

_______________

N e d d i e n

Die letzten Strahlen einer roten Sonne verschwanden gerade hinter dem Horizont - фото 2

Die letzten Strahlen einer roten Sonne verschwanden gerade hinter dem Horizont, als Andrienna unter dem Eichenbaum auf einem kleinen grasbewachsenen Hügel saß und ihren Gedanken nachhing. Den Großteil des Tages hatte es geregnet, doch der Abend war wunderbar lau und friedlich. Sie kam oft hierher, wenn sie allein sein wollte, um über Vergangenes und Zukünftiges nachzudenken.

Wie herrlich, dass es diesen Platz gibt. Weiches Gras und dann auch noch ein Baum .

Ein kostbares Stück Natur, das seit dem Ende der ‘Alten Zeit’ nur noch selten zu finden war.

Ein seltenes Stück Glück .

Andrienna schloss die Augen und stellte sich vor, wie es früher einmal gewesen sein mochte, in der ‘Alten Zeit’ mit ihren riesigen Wäldern, weiten Grasebenen, duftenden Blumen und blühenden Sträuchern. Aber auch mit ihrem Fortschritt, der Technik und unvorstellbarem Wissen. Nun war vieles vergessen, aber mindestens genauso viel festgehalten in Büchern, die in riesigen Bibliotheken darauf warteten, wiederentdeckt zu werden.

Wie es wohl war, über eine weite grüne Wiese mit Hunderten bunten Blumen in allen erdenklichen Farben zu laufen? Oder einen Computer zu bedienen? Oder in einem Flugzeug über den Wolken zu schweben?

Das Klingeln kleiner Glöckchen durchbrach die Stille des Abends. Andrienna öffnete ihre Augen und sah Vacho, den Ziegenhirten, wie er gemächlich mit seiner kleinen Herde Richtung Heimat trabte.

Jede Ziege, ein Glöckchen. Wie er das nur den ganzen Tag aushält ?, dachte Andrienna und verzog ihre Lippen unbewusst zu einem kleinen Lächeln. Sie winkte ihm zu und wünschte einen ruhigen Feierabend.

Das Hüten der Ziegen: wie es wohl damals in der ‘Alten Zeit’ gewesen sein muss?

In der Schule hatte sie gelernt, dass es in der ‘Alten Zeit’ riesige Wanderschafherden gab, die von Ort zu Ort zogen und weite saftige Wiesen abgrasten. Es gab genug Futter für alle möglichen Tiere. Doch als die Natur starb und es fast kein Gras und nur noch wenige Pflanzen zu fressen gab, mussten alle Lebewesen ums Überleben kämpfen. Und Ziegen waren eine der wenigen Säugetierarten, die diesen Kampf gewonnen hatten und nicht ausgestorben waren. Heute gehörten sie zu den wenigen Nutztieren, die die Menschen noch halten konnten. Sie lieferten frische Milch und bei Bedarf auch ihr eigenes Fleisch.

Ein letzter Blick auf die vorbeiziehende kleine Herde und Andrienna versank wieder in ihren Gedanken an eine alte verlorene Welt. Sie merkte nicht, wie die Glöckchen immer leiser wurden und die Stille des Abends wieder die Oberhand gewann.

Plötzlich springt sie erschrocken auf. Ihr Atem geht schnell, ihre Hand liegt unbewusst schützend auf ihrem Brustbein. Die Augen sind weit aufgerissen. Ihre Gedanken zerplatzen wie Detonationen. Sie ist hellwach, konzentriert. Ihr Blick ist fixiert auf den Weg, den Vacho eben noch gegangen ist.

Was für ein unmenschlicher Schrei .

Ohne nachzudenken fängt sie an zu laufen, schnell, voller Angst. Sie springt halb den kleinen Hügel hinunter und läuft, unten am Weg angekommen, noch schneller.

Vacho!

Ihr Geist lässt keinen klaren Gedanken zu. In ihrem Kopf überschlägt sich das Chaos, vermischt mit der Erwartung des Schreckens.

Auf einmal vernimmt sie das leise Klingeln der Glöckchen. Sie rennt. Das Klingeln wird lauter und lauter und erfüllt ihren ganzen Geist.

Noch ein paar Meter … Halt!

Sie stoppt inmitten der Ziegen. Nach Luft ringend steht sie vor dem heruntergekommenen Stall direkt neben dem kleinen Bauernhaus, wo Vacho zusammen mit seinen Ziegen …

… lebte.

Sie ist starr vor Angst. Das Grauen ist so erdrückend, dass es sie lähmt. Einige Sekunden der Leere in ihrem Geist fühlen sich wie Minuten an. Sie hört nur das unaufhörliche Klingeln der kleinen Glöckchen, in ihren Ohren laut wie Donnerschläge.

Eine heiße Woge durchfährt ihren Körper und plötzlich ist sie wieder ganz klar. Am ganzen Körper zitternd, macht sie einen Schritt auf den Leichnam zu. Sie ist angespannt wie ein kriänischer Langbogen. Sie möchte, aber kann den Blick nicht von Vachos Überresten abwenden. Er liegt auf dem schlammigen Boden inmitten der Ziegen. In seinen weit aufgerissenen Augen sieht sie noch die Angst und den Schrecken vor dem unvermeidbaren Schicksal. Sie scheinen noch lebendig, doch sind sie nicht mehr als das Spiegelbild des Todes. Doch was unterhalb des Kopfes folgt, ist noch weitaus schlimmer. Der gesamte Torso wurde vom Rumpf bis zum Halsansatz in zwei Hälften gerissen, in deren Mitte jetzt ein matschiger Haufen aus übel riechenden Eingeweiden und Gedärmen liegt. Die Beine liegen seltsam verkrümmt, als wenn jeder einzelne Knochen zertrümmert worden wäre. Die Arme sind weit abgespreizt vom Körper, wie kurz vor einer innigen Umarmung eines geliebten Menschen.

Ihr Kopf dreht sich hektisch in alle Richtungen. Nach rechts. Nach links. Mit einem blitzschnellen Ruck dreht sie sich um. Doch einen Angreifer, den Mörder, kann sie nirgends ausmachen.

Einige Herzschläge lang lauscht sie konzentriert in die Dunkelheit hinein, aber außer dem unaufhörlichen Klingeln der Glöckchen und den natürlichen Geräuschen der Nacht ist dort nichts.

Ganz vorsichtig schreitet Andrienna um Vacho herum. An seinem Kopf angekommen kniet sie sich hin, legt seinen Kopf vorsichtig in ihren Schoß und streichelt, wie in einem lethargischen Traum, sanft seine blutverschmierten Haare. Sie schließt die Augen und atmet ruhig und lange aus.

Wer hat dir das nur angetan?

Einige Augenblicke später öffnet sie ihre Augen und betrachtet die nahe Umgebung. Vachos Blut ist so weit gespritzt, dass die Ziegen um ihn herum voll sind mit dem roten, zähen Nass. Tränen befeuchten ihre Augen und sie kann nicht anders als lauthals ihren ganzen Schmerz in die Welt hinaus zu schreien.

Plötzlich zuckt der Kopf in ihren Händen. Mit einem Entsetzensschrei springt Andrienna auf, taumelt rückwärts, fort von dem Untoten. Voller Angst sieht sie, wie sich Vachos tote Augenlider öffnen und schließen. Der Mund bewegt sich krampfhaft und versucht Laute von sich zu geben. Die zerrissenen Körperhälften zittern und Vachos linker Arm scheint nach etwas greifen zu wollen. Panik, blanke Todesfurcht leiten sie. Andrienna versucht zu fliehen, doch ihre Beine stoßen hart gegen den Körper einer Ziege. Sie verliert das Gleichgewicht, stolpert, rutscht auf dem vom Regen durchtränkten Boden aus und fällt direkt auf den zappelnden Leichnam zu. Ihr Kopf landet nur wenig Zentimeter neben Vachos untotem Schädel.

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