stellen lassen. Die Litteraturgattungen, die der Afrikaner
besonders ausgebildet hat, sind das M ä r c h e n
(mit Riesen, Zwergen, Geistern, Hexen, allerhand
Zaubereien wie bei uns), die F a b e l (meist Tierfabel),
die E r z ä h l u n g oder besser A n e k d o t e
(meist mit didaktischer Tendenz), die r e l i g i ö s e
T r a d i t i o n (über den Ursprung der Welt, die Erschaffung
des Menschen, Entstehung des Todes etc.),
h i s t o r i s c h e E r z ä h l u n g e n (aus der Stammesgeschichte),
R ä t s e l und S p r i c h w ö r t e r .4
Hierzu kommen noch P o e s i e n jeglicher Gattung,
Liebeslieder, Spottlieder, Kriegslieder, Epen, Trauergesänge,
religiöse Lieder, Lehrgedichte u.s.w. Alle
Poesie wird stets mit Gesang begleitet, und bei den
unten folgenden Proben sind an einigen Stellen die
Musiknoten hinzugefügt. Das Metrum ist accentuierend.
Die größeren Gedichte sind meist in Strophen
geteilt. Gereimt sind fast alle und oft sehr kunstreich,
wie aus dem bei einigen Gedichten der folgenden
Sammlung angegebenen Originaltext ersichtlich ist.
Die Sprache in den poetischen Stücken ist oft archaisch,
häufig sehr gedrängt und dunkel und der Kürze
wegen schwer in gebundener Form in andere Sprachen
zu übertragen. Ich habe daher mehrere Gedichte
in prosaischer Übertragung geben müssen und muß
einem in rebus poeticis erfahreneren Nachfolger die
poetische Umformung überlassen.
Die einzelnen Stücke der Sammlung sprechen, was
den Inhalt anlangt, im allgemeinen für sich selbst. Wo
es nötig schien, habe ich eine nähere Erklärung in
Fußnoten gegeben. Hinsichtlich der Tierfabeln mag
indessen hier allgemein bemerkt werden,5 daß der
Elefant im allgemeinen der Typus der Stärke und
Weisheit ist. Der Löwe repräsentiert zwar auch die
Stärke, aber meist den Adel der Gesinnung, wie in unsern
Fabeln. Die Hyäne vereinigt brutale Gewalt mit
Dummheit, der Leopard Macht mit Beschränktheit.
Der Fuchs oder Schakal ist das Urbild der Schlauheit,
der Affe das der Verschmitztheit und Gewandtheit.
Der Hase oder das Kaninchen gilt als klug und behend
und vertritt meist die Stelle des Fuchses in unsern
Fabeln. Der Hund personifiziert alles Niedrige,
Knechtische und Verächtliche; die Turteltaube ist das
Sinnbild der Reinheit, Keuschheit und Weisheit
u.s.w.
Größere Sammlungen von Litteraturstücken einzelner
Völkerschaften sind im Laufe der letzten Jahrzehnte
bereits mehrfach veröffentlicht worden, aber da
sie meist linguistischen Zwecken zu dienen hatten, für
ein größeres Publikum so gut wie unzugänglich,
zumal da sie zum Teil ohne Übersetzung sind. Als die
bedeutendsten seien hier genannt die Sammlung von
H e l i C h a t e l a i n über die A m b u n d u ,
B ü t t n e r , T a y l o r , S t e e r e über die S u a -
h e l i , S c h ö n über die H a u s s a , S c h l e n k -
k e r über die T e m n e , C h r i s t a l l e r über die
T s h w i , C a l l a w a y über die S u l u , M c A l l
T h e a l über die K a f f e r n , K o e l l e über die
B o r n u , B l e e k über die H o t t e n t o t t e n etc.
Kleinere Mitteilungen finden sich noch hier und da in
Wörterbüchern, Grammatiken und Zeitschriften versteckt.
Im ganzen ist es noch sehr wenig, was gesammelt
worden ist; viel unveröffentlichtes Material habe
ich selbst noch in der Hand. Aus all diesem habe ich
das Charakteristischste und Interessanteste ausgewählt
und in diesem Werkchen vereinigt.
Vergleicht man alles, was von der afrikanischen
Volkslitteratur bisher bekannt geworden ist, untereinander
und mit den Erzeugnissen der Volkslitteratur
anderer Völker, so gelangt man zu folgenden Schlüssen,
die ich nicht besser formulieren kann, als Heli
Chatelain in seinem vorzüglichen Werke: Folk-Tales
of Angola, es gethan hat:
1. Viele Mythen, beliebte Typen oder Charaktere
und besondere Vorfälle, die man universal genannt
hat, weil sie unter so vielen Völkern vorkommen, finden
sich auch in Afrika vom atlantischen bis zum indischen
Ocean. Die afrikanische Volkslitteratur ist
nicht ein Baum für sich, sondern ein Zweig eines
Weltbaumes.
2. Die afrikanische Volkslitteratur ist besonders
reich an Tierfabeln.
3. Für sich betrachtet, erscheint die Litteratur der
Bantu-Völker (siehe unten) auffallend homogen und
eng zusammenhängend, die entferntesten Stämme zeigen
oft mehr Übereinstimmung oder Ähnlichkeit in
Einzelheiten als benachbarte.
4. Nach Ausmerzung der mit dem Islam verknüpften
Elemente erscheint auch die Volkslitteratur der
Sudanneger als wesentlich der der Bantu gleichartig.
5. Die mythologischen und abergläubischen Vorstellungen
der verschiedenen Stämme lassen sich
leicht auf einen gemeinsamen Urtypus zurückführen,
der den entsprechenden Vorstellungen der Arier und
anderer größerer Völkerfamilien sehr nahe zu stehen
scheint.
Aus diesen wenigen Sätzen geht schon hervor, wie
wichtig das Studium der afrikanischen Volkslitteratur
für die Aufhellung des ursprünglichen Verhältnisses
der verschiedenen großen Völkerrassen zu einander
zu werden vermag. Ich kann das hier nicht weiter ausführen.
Dagegen wird es nötig sein, noch einen Blick auf
die Gruppierung der verschiedenen afrikanischen
V ö l k e r s c h a f t e n zu werfen, von denen im folgenden
die Rede sein soll, sowie auf die verschiedenen
S p r a c h e n , in welche die afrikanische Volkslitteratur
gefaßt ist.
Die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents ist
durchaus nicht durchweg gleichförmig weder im körperlichen
Habitus, noch in den sprachlichen Verhältnissen.
Ich sehe dabei von vornherein von den in historischer
Zeit eingewanderten S e m i t e n ab, hauptsächlich
A r a b e r n , die ganz Nordafrika überzogen
und den Islam und die arabische Sprache als Spuren
ihres Eindringens zurückließen. Auch in anderen Teilen
Afrikas haben die Araber großen Einfluß ausgeübt,
an der deutschen Ostküste beispielsweise eine
Mischrasse, die S u a h e l i , hervorgerufen und den
Handel durch ganz Centralafrika lange Zeit hindurch
monopolisiert. Selbst in so weit im Innern und nach
Westen gelegenen Sprachen wie dem Haussa und dem
Kanuri (Sprache der Bornu-Neger) findet man zahlreiche
arabische Fremdwörter eingebürgert.
Andere s e m i t i s c h e Völkerschaften, die schon
vor den Arabern eingewandert zu sein scheinen, wohnen
in Abessynien, wo heute mehrere semitische
Sprachen gesprochen werden. Das alte Gées, das früher
in Abessynien gesprochen wurde, gehört heute zu
den toten Sprachen; die heutigen abessynischen Sprachen,
wie das T i g r e , das Amharische, das Harari
u.s.w. sind Töchtersprachen des Gées.
Den semitischen Völkerschaften scheinen die sogenannten
h a m i t i s c h e n Völker Afrikas verwandt
zu sein. Manche Zeichen deuten darauf hin, daß diese
Völkerschaften gleichfalls aus Asien, lange vor den
Semiten eingewandert sind. Die jüngsten Einwanderer
scheinen die alten Ägypter gewesen zu sein. Die hamitischen
Völker haben den ganzen Nordosten Afrikas
in Beschlag genommen, doch sind einige Stämme
auch in westlichere Gegenden vorgedrungen, wie die
bekannten T u ā r e k . Nach ihrem körperlichen Habitus
bieten sie im Durchschnitt das folgende Bild dar:
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