g e n übersehen wird. Diese niedrigste Stufe der geistigen
Potenz hat der Suaheli allerdings heute bereits
überwunden. Er hat gelernt, den Kern einer Sache zu
erfassen, wie sich das auch in seinem Sprichwort
zeigt: Ivushavyo ni mbovu, der Fährkahn ist morsch,
d.h. mag er auch morsch sein, es ist doch ein Kahn,
mit dem man über den Strom setzen kann, und das ist
das Wesentliche. Die Sprache hat daher längst begonnen
zu g e n e r a l i s i e r e n , Bezeichnungen für Gattungsbegriffe
zu bilden, indem entweder die häufigste
Form der den Inhalt des Begriffs bildenden Varietäten
den Namen für die Gattung hergeben muß oder fremde
Sprachen, gewöhnlich das Arabische, in Kontribution
gesetzt werden. So ist z.B. samaki, der Fisch, aus
dem Arabischen importiert, um dem oben berührten
Mangel abzuhelfen. Der Suaheli zeigt sich hier also
auf dem Wege eines gesunden geistigen Fortschritts,
und viele andere sprachliche Erscheinungen stützen
diese Ansicht. Durchgängig hat im Suaheli die nähere
Bestimmung hinter dem zu Bestimmenden zu stehen.
Das W e s e n t l i c h e wird also z u e r s t gedacht
und ausgesprochen, und der Suaheli hat im logischen
Denken einen Vorsprung vor uns, wenn er sagt: mtu
mwema (1. Mann 2. guter) statt: 1. guter 2. Mann;
mtu huyu (1. Mann 2. dieser) statt: 1. dieser 2. Mann;
kisu changu (1. Messer 2. mein) statt: 1. mein 2.
Messer. Der Suaheli setzt das Verbum v o r das Objekt,
andere Afrikaner setzen es dahinter. Er hat ferner
ein besonderes Tempus für die N e b e n h a n d l u n g
ausgebildet. Alles das zeigt eine kräftige, natürlich
unbewußte Logik. Auch das Maß geistiger Anstrengung,
das dem Suaheli die korrekte Handhabung seiner
Sprache in grammatischer Beziehung auferlegt, ist
nicht unbedeutend und überschreitet zum Teil selbst
die Anforderungen, die in dieser Beziehung die bei
den Ausländern wegen ihrer Schwierigkeit verrufene
deutsche Sprache stellt. W i r teilen unsere Hauptwörter
in männliche, weibliche und sächliche, der
Suaheli sondert sie nach ihrer Bedeutung in a c h t
Klassen, deren jede ihre besonderen Artikel (Klassenpräfixe),
ihre besondere Plural- und zum Teil auch
Kasusbildung (Genitiv) hat, und nach denen die Form
der bestimmenden Adjektive und der zugehörigen
Verben variiert. Jeder Klasse entsprechen ferner besondere
Fürwörter. »Mein« kann z.B. je nach der
Klasse des Hauptwortes wangu, changu, yangu,
langu, kwangu, pangu, mwangu heißen. In einzelnen
Negersprachen geht dieser Reichtum noch weiter. So
existieren im Herero, der Sprache der viehzuchttreibenden
Ovaherero in Deutsch-Südwestafrika nicht
weniger als 96 scharf unterschiedene Formen für das
besitzanzeigende Fürwort »sein«, deren Handhabung
dem Europäer recht bedeutende Schwierigkeiten zu
machen pflegen. Eben diese Formenfülle beweist aber
auch andrerseits wieder die geistige Neigung des Herero-
Mannes, überflüssig viele Besonderheiten in seiner
Sprache zum Ausdruck zu bringen, statt sich über
das Chaos der Einzelheiten zu erheben und auf das
Wesentliche zu beschränken. Und so läßt sich diese
Neigung noch auf mancherlei andern Gebieten verfolgen.
Das n a t ü r l i c h e F ü h l e n des Negers beruht
auf denselben Regungen der Seele, die auch im Europäer
Liebe und Haß erwecken. Der Spinozistische
Conatus sui ipsius conservandi, der S e l b s t e r -
h a l t u n g s t r i e b , ist der Ausgangspunkt aller Seelenbewegungen.
Was diesen fördert, l i e b t der Afrikaner;
er h a ß t , was denselben hindert. Und in diesem
dreifachen Grunde wurzelt die ganze Schar der
Affekte, die auch des Europäers Brust durchstürmen.
Nur daß sie der Afrikaner nicht in die strenge Zucht
genommen hat, die die christliche Erziehung dem Europäer
auferlegt. Kaum daß bei den heidnischen Völkerstämmen
gewisse durch die Gewohnheit geheiligte
Rechtsnormen die natürlichen Instinkte bändigen. Bei
den Mohammedanern kommt der geringe sittliche
Halt hinzu, den sie etwa aus den halbverstandenen
und ihrer Eigenart angepaßten Lehren des Islams ge-
wonnen haben. Ihre eigenen religiösen Vorstellungen
sind verworren, kleben am Sinnlichen und leisten für
die Sittlichung ihrer Anhänger so gut wie nichts.2
So sind die Neger von der Natur zwar mit denselben
Anlagen ausgerüstet wie wir, aber sie sind in der
Entwicklung derselben zurückgeblieben. Die Gründe
dafür liegen auf der Hand:3
1. Soweit unsere Kenntnis reicht, hat keine Rasse
oder Nation jemals eine bedeutende Civilisation aus
sich selbst heraus entwickelt, sondern hat den Anstoß
dazu durch das Eindringen fremder Elemente empfangen.
Nun ist Afrika seit den ältesten Zeiten niemals in
direkter und dauernder Verbindung mit einer belebenden
Civilisation gewesen. D a s l i e g t z u m
g r o ß e n T e i l a n d e r A b g e s c h l o s s e n -
h e i t d e s u n g e g l i e d e r t e n K o n t i n e n t s .
Die Sahara hinderte die Berührung mit der Mittelmeer-
Kultur. Durch Jahrhunderte hindurch ist zwar
die Westküste von Angehörigen christlicher Nationen
besucht worden, die aber nicht Kulturträger, sondern
Sklavenhändler waren. Sonderbar ist allerdings, daß
die Kultur der alten Ägypter und der Punas nicht größere
Spuren hinterlassen hat. Wo islamitische Völker
ihren Einfluß geltend gemacht haben, wie z.B. an der
Ostküste Centralafrikas, da ist ein gewisser Fortschritt
nicht zu verkennen.
2. Die Ü p p i g k e i t d e r a f r i k a n i s c h e n
N a t u r versieht den Neger ohne besondere Anstrengung
seinerseits mit des Lebens Nahrung und Notdurft.
Der Anreiz zur Thätigkeit und zur Anspannung
der Geisteskräfte ist daher sehr gering.
3. Das Bestehen der S k l a v e r e i bildet ein drittes
großes Hindernis der Entwicklung. Alle Arbeit ist
Sache der Sklaven und eines freien Mannes daher unwürdig.
4. Die große Masse der afrikanischen Völker hat
weder eigene Schriftzeichen erfunden, noch ein fremdes
Alphabet adoptiert. Hieraus folgt der M a n g e l
e i n e r g e s c h r i e b e n e n L i t t e r a t u r , die bei
anderen Völkern ein so mächtiger Faktor für die Entwicklung
der Civilisation gewesen ist. Daß eine eigene
Schrift sich nicht entwickeln konnte, liegt sicherlich
an dem allgemein verbreiteten Unwesen der Zauberei.
5. Der Einfluß der F e t i s c h m ä n n e r , Medizinmänner,
oder wie sie sonst heißen, steht endlich jedem
Fortschritt im Wege. Jede Offenbarung von Genie,
jede Erfindung wird dem Einfluß von Geistern zugeschrieben.
Das blöde Volk wird gegen den Armen,
der mehr wissen will als andere, aufgehetzt, und mit
dem Leben bezahlt er seine Kühnheit.
6. Das Bestehen der P o l y g a m i e und des Frauenkaufs
in ganz Afrika untergräbt die Sittlichkeit und
schwächt den Zusammenhang der Familie.
Hieraus geht gleichzeitig hervor, wo die Hebel anzusetzen
sind, um die Afrikaner auf den Weg der Entwicklung
zurückzubringen, den nicht mangelnde geistige
Anlagen, sondern die natürlichen Verhältnisse
des afrikanischen Kontinents und einige unglückliche
soziale Institutionen ihnen verlegt haben.
Nach allem Gesagten wird es weniger auffällig erscheinen,
wenn von der Volkslitteratur der Afrikaner
die Rede ist und hinzugefügt wird, daß ihre Erzeugnisse
sich denen anderer Völker dreist an die Seite
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