Herbert nickte höchst interessiert. Dann erzählte Undine nochmal alle Einzelheiten des Abends. Den Kommissar erwähnte sie nicht, denn der überkorrekte Herbert würde nicht mitmachen, wenn er wüsste, dass die beiden sich gegen die Forderung der Polizei einmischen würden.
„Wie alt, sagst du?“
„Sie muss jetzt achtzehn sein.“
„Es gibt einige Frauen in Nastätten, die Töchter in diesem Alter haben. Ich könnte mal in der Schule nachfragen, ob mir jemand eine Liste schreibt.“
Lene zog die Augenbrauen hoch.
„Aber fällt das nicht unter den Datenschutz?“
Undine stieß sie unter dem Tisch gegen das Schienbein, aber Lene zuckte mit keiner Miene.
Herbert nickte, schaute sich um, als könne ihn jemand belauschen, aber dann flüsterte er: „Keine Sorge, ich habe da meine Quellen. Aber ihr müsst das für euch behalten. Wenn ihr es genau nehmt, ist auch Corinna achtzehn Jahre alt, oder?“
„Ja, aber sie war sicher nicht absichtlich an dem Ort“, flüsterte Lene nun auch.
„Ach was!“, rief Undine. „Erstens müsst ihr hier nicht flüstern, zweitens geht das Mädchen jeden Morgen hier joggen. So eine Verbrecherstadt ist Nastätten nun auch nicht, dass man ihr absichtlich eine Leiche in den Weg legt. Und die Heidi hat sich doch erst später von dem Vater ihrer Tochter getrennt. Nein, Corinna kann auf keinen Fall das Mädchen vom Foto sein.“
Herbert winkte ab.
„Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Und wenn sie es doch ist, dann weiß man immer noch nicht, warum der Mann jetzt tot ist. Ich komme übermorgen wieder, dann habe ich die Informationen.“
Das klang vielversprechend, jetzt konnte sich Herbert wieder der Schmandtorte zuwenden. Die drei sprachen noch über andere wichtige Neuigkeiten: Wer ist gestorben? Wer hat sich scheiden lassen? Wer ist schwanger? Für solche Informationen war Herbert genau der Richtige. Er wusste immer über alles und jeden Bescheid und er gab auch gerne Auskunft.
Nachdem er gegangen war, machten sich Undine und Lene Notizen. Sie hatten eine Liste angelegt, in die sie jetzt unter Punkt eins Corinna eintrugen.
„Vielleicht ist der Mann von der Heidi doch nicht abgehauen, weil er eine andere hatte.“
Undine fragte: „Was willst du damit sagen?“
„Na, vielleicht ist Corinna das Ergebnis eines Fehltritts von Heidi und er hat es herausgefunden?“
„Nein, das glaubst du doch selbst nicht? Heidi ist doch so eine super Korrekte. Die hätte ihn nie betrogen. Und ich hasse diese vielen Vielleichts.“
„Gut, dann eben nicht. Leuchten wir halt die Freundinnen ab. Wer sind denn ihre Freundinnen?“
Undine überlegte kurz und schrieb: „Lina Liekos. Cheyenne Bötzke.“
Lene schaute ihr dabei auf die Finger.
„Henner Liekos ist definitiv der Vater von Lina. Und die Frau Lehrerin ist auch seit vielen Jahren allein. Die fallen auch raus.“
„Leider“, murmelte Undine und war enttäuscht. „Dann müssen wir doch auf die Liste von Herbert warten. Psst!“
In diesem Moment war Jasmin aus dem Haus gekommen und setzte sich zu den beiden an den Tisch. Undine hatte schnell den Block unter dem Kissen neben sich verschwinden lassen. Nun schwiegen die drei.
„Ich weiß, warum ihr Herbert geholt habt“, entfuhr es Jasmin nach zwei Minuten.
Sie war sauer, dass Lene hier jeden Tag herumhockte und dass die beiden Frauen Geheimnisse vor ihr hatten. Zwar missfiel ihr das Detektivspiel, aber sie wollte wenigstens wissen, was bis jetzt herausgekommen war.
„Was sagt er denn?“
„Ich denke, du willst gar nichts davon wissen?“, fragte Undine pikiert.
„Ja, das habe ich zwar gesagt, aber ich bin auch neugierig.“
Lene sagte: „Wir haben ihm versprochen, dass wir nichts sagen.“
Undine setzte lachend hinzu: „Aber ich hatte hinter dem Rücken die Finger überkreuzt. Er besorgt uns eine Liste mit den Namen von Mädchen, die jetzt achtzehn sind.“
Puh, dachte Jasmin, der Herbert. Normalerweise hielt er sich immer an die Regeln, aber anscheinend war er bereit, diese Grenze zu überschreiten. Dieser Mord hatte einiges verändert.
„Na, da bin ich ja gespannt“, sagte sie nur und ging wieder ins Haus.
„Findest du auch, dass Jasmin komisch ist?“, flüsterte Lene.
„Ach nein, die ist nur eifersüchtig, dass du jetzt jeden Tag hier bist. Sonst haben wir um diese Zeit unsere Einkäufe erledigt oder waren spazieren. Vielleicht sollte ich sie mal wieder mit einbeziehen. Was denkst du?“
„Ich denke mal gar nichts und gehe nach Hause. Übermorgen komme ich wieder, dann hast du den Sonntag, um Jasmin wieder gnädig zu stimmen.“
Die beiden umarmten sich und eilig verschwand Lene durch den Garten.
Am nächsten Morgen klingelte Reiner an der Tür von Pascal Grubensack, der mit Frau und Sohn im Johannesgraben wohnte und dort auch seine Werkstatt hatte. Der Künstler öffnete mit Schwung die Tür. Er trug einen altmodischen Hausmantel und hielt eine Kaffeetasse fest, die unverkennbar aus Undines Händen stammte. Er schaute die frühen Besucher böse an.
„Sagen Sie mal, wissen Sie nicht, wie spät es ist? Wer sind Sie und was wollen Sie?“
Reiner ließ sich nicht einschüchtern, sondern bellte sofort zurück, nachdem er dem Bewohner den Dienstausweis vor die Nase gehalten hatte.
„Nickich, Kripo. Meine Kollegin Fonnach. Wir sind hier wegen …“
„Ach, die Leiche. Kommen Sie rein. Kaffee?“
Eine Frau mit wirren Haaren, in einem pfirsichfarbenen Jogginganzug, der sofort den Blick auf ihren breiten Hintern lenkte, grüßte freundlich.
„Ich bin Cathrin, bitte nehmen Sie doch Platz. Wir sind gerade aufgestanden. Mein Mann war gestern noch sehr lange in seiner Werkstatt. Ich habe zugesehen, das mache ich immer.“
Jennifer lächelte, bedankte sich höflich für die Tasse Kaffee, die Cathrin vor ihr absetzte, und stellte sich vor. Eine zweite Tasse fand sich kurz danach vor Reiner.
„Das ist mein Chef, Kommissar Nickich. Wir möchten uns gerne mit Ihrem Mann über den Herrn von der Ausstellung unterhalten.“
„Allein?“
„Nein“, sagte Jennifer.
„Ja“, brummte Reiner.
„Na fein, da weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut“, knurrte Pascal leise, aber Reiner hatte es gehört.
„Wenn ich Sie bitten darf, Frau Grubensack, es dauert nicht lange. Und nun zu Ihnen“, sagte der Kommissar ernst, als Cathrin aus der Küche heraus war. „Sie erzählen uns jetzt bitte detailliert, wie sich der Abend abgespielt hat. Ich höre Ihnen zu und rühre unterdessen mit meiner rechten Hand in der Tasse in meiner linken. Die beiden arbeiten nämlich sehr gut zusammen.“
Pascal überhörte den beißenden Sarkasmus und es kam die gleiche Geschichte über den Tisch geflogen wie bei den anderen. Reiner seufzte.
„Kannten Sie den Mann?“
„Wissen Sie denn nicht, dass er aus Berlin kam?“, fragte Pascal überrascht.
„Ich weiß alles, aber ich frage Sie trotzdem. Also?“
„Hatte er einen Namen?“
„Jonas Beilank.“
„Hm.“
Nun stand Pascal auf und lief in der Küche hin und her.
Dann stoppte er abrupt und sagte: „Nein, der Name sagt mir nichts.“
„Gut, Herr Grubensack“, erklärte Jennifer jetzt, „wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann melden Sie sich.“
Sie war ebenfalls aufgestanden und wartete an der Tür, dass Reiner sich bewegte. Endlich trank er seinen Kaffee aus und verließ mit seiner Kollegin das Haus.
Im Auto fragte Jennifer: „Ist dir auch aufgefallen, dass der Typ sehr unruhig war?“
„War er das? Ich fand ihn nur arrogant.“
Damit war das Thema für Reiner beendet, aber Jennifer grübelte noch eine Weile. Der Künstler müsste eine sehr ruhige Hand haben, denn er stellte ja Miniaturen her. Da war das kleinste Zittern ein Problem und das hatte sie überrascht wahrgenommen. Aber sie schwieg, denn sie wusste, dass Reiner nichts mehr dazu sagen würde.
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