„Guten Morgen, die Damen. Was ist das denn hier? Es sieht mir nach einer Verschwörung aus.“
Undine schob ihm wortlos eine Tasse Kaffee hin und grinste.
„Das ist keine Verschwörung, sondern ein gemütliches Frühstück. Jedenfalls war es das, bis Sie hereingeplatzt sind. Lene, darf ich dir den unhöflichsten Mann der Welt vorstellen? Das ist der Kommissar, der versuchen will den Mörder zu finden.“
„Pah“, fuhr Reiner sie an, „ich werde ihn finden. Ich habe noch ein paar Fragen. Wer sind Sie denn? Wohnen Sie etwa auch hier?“
Lene, die sich kurz geduckt hatte, weil Reiner Nickichs laute Stimme ihr unangenehm war, erklärte leise, dass sie nicht hier wohne, sondern nur zu Besuch sei.
„Aha, dann muss ich Sie jetzt bitten zu gehen, ich muss ermitteln. Ich warte immer noch auf die Liste mit den Namen der Künstler, die hier ausgestellt haben. Also?“
Undine grinste ihn ungeniert an und machte keine Anstalten ihm zu erklären, dass Lene auch dazu gehörte. Die beiden Frauen wechselten einen Blick und Undine lief ins Haus. Die Autorin folgte ihr und setzte sich drinnen auf die Couch. Undine ging mit einem Block wieder raus und während Reiner mürrisch seinen Kaffee trank, schrieb sie die Namen und Adressen untereinander. Als Undine fertig war, überflog er die Liste und forderte, dass sie sofort Jasmin holen solle.
„Meine Freundin und Mitbewohnerin wohnt im großen Haus, vielleicht drücken Sie einfach mal auf die Klingel. Ich bin doch nicht Ihre Angestellte. Wo ist eigentlich Ihre nette Kollegin?“
Reiner hatte mit dem Messer auf dem Tisch getrommelt und erhob sich jetzt, um zu Jasmins Wohnung zu gehen. Er wollte der dreisten Hausbesitzerin antworten, aber es fiel ihm nichts Passendes ein. Und das kam nicht sehr oft vor.
Obwohl er so selten wie möglich im Präsidium auftauchte, überlegten die Kollegen dann meistens, ob sie nicht noch etwas außerhalb erledigen mussten, denn niemand wollte dem raubeinigen Kommissar in die Quere kommen. Die einzige Person, die ihn mit Humor sah, war Jennifer, denn ab und zu konnte sie hinter seiner groben Art einen ganz netten Kerl sehen, aber das kam nicht oft vor.
Er winkte ab und läutete bei Jasmin, die sehr viel Respekt vor allen hatte, die in Ämtern oder bei der Polizei arbeiteten. Sie hatte gedacht: Was für eine Schande, jetzt haben wir schon die Kripo im Haus, wäre doch nur dieser Fremde hier nicht aufgetaucht.
Undine ging zu Lene ins Haus und setzte sich zu ihr.
„Wo wollen wir anfangen?“, fragte sie.
„Ich weiß nicht, vielleicht fragen wir mal den Herbert von der Feuerwehr, der weiß immer alles.“
„Erstmal frage ich den Kommissar, ehe er geht, wie der Mann hieß. Vielleicht bringt uns das schon ein Stück weiter.“
Ohne mit der Wimper zu zucken, lief sie hinüber zu Jasmin, die mit eingezogenem Kopf am Tisch saß. Der Kommissar stand an der Tür und bollerte jetzt Undine an.
„Was wollen Sie denn hier? Neugierig?“
„Nein“, erwiderte Undine, „wie hieß denn der Mann?“
„Das geht Sie nichts an.“
„Vielleicht kenne ich den Namen, also könnte es Ihnen doch helfen.“
Reiner lief in Jasmins Wohnzimmer auf und ab, dann blieb er stehen.
„Sie könnten recht haben. Sein Name ist Jonas Beilank. Er war zweiundvierzig Jahre alt und wohnte in Berlin Spandau.“
„Beilank … Beilank … nein, der Name sagt mir gar nichts. Er war sieben Jahre jünger als ich. Keine Ahnung, aber wenn mir etwas einfällt, dann rufe ich sie an.“
„Ansonsten halten Sie sich raus!“
Undine ließ ihn stehen und verließ die Wohnung wieder. Bei Lene angekommen, schrieb sie den Namen und das Geburtsjahr auf den Block. Die beiden Frauen grübelten, aber dann hielten sie es doch für gescheiter, am Nachmittag zum Feuerwehrhaus zu laufen und nach Herbert zu suchen. Mit einem Handschlag verabschiedeten sie sich. Lene versprach pünktlich um fünfzehn Uhr wiederzukommen.
Reiner war in die Stadt gelaufen und sah sich dort um. In der Apotheke kaufte er sich Hustenbonbons, am Schuhladen und am Blumengeschäft ging er achtlos vorbei. Weil ihm Leute auf dem schmalen Fußweg entgegenkamen, fluchte er und lief einfach über die Straße. Ein Autofahrer hupte wild, aber der Kommissar schaute sich nicht einmal um, er drohte nur mit der Faust nach hinten.
An der nächsten Kreuzung blieb er vor dem Fotogeschäft stehen und nahm sein Handy aus der Jackentasche. Die bunten Auslagen beachtete er gar nicht.
„Wo bleibst du denn?“, bellte er.
„Keine Panik, Chef, ich sehe dich dort stehen. Aber ich muss noch einmal rund fahren, denn hier gibt es nur Einbahnstraßen. Außerdem stehst du auf der falschen Seite.“
„Papperlapapp, beeil dich.“
Nach zwei Minuten hupte Jennifer und musste mitten auf der Kreuzung halten, denn Reiner hatte sich nicht bewegt. Gelassen überhörte er das erneute Hupen hinter sich und stieg ein. Er streckte die Beine aus und Jennifer fuhr weiter.
„Wie war es?“
„Wie war was?“
„Dein Besuch bei Undine Nithritz.“
„Ich mag diese arrogante Person nicht. Sie ist so … so … altklug. Und irgendwas hecken die aus. Ich befürchte, sie wollen Detektiv spielen.“
„Na dann müssen wir sie im Auge behalten. Nicht, dass es noch eine Leiche gibt.“
„Jaja. Hast du den Obduktionsbericht?“
„Hinter dir.“
Reiner drehte sich um und nahm den grünen Ordner in die Hand. Er blätterte kurz darin und fragt dann Jennifer, ob sie das alles schon gelesen hatte. Die junge Frau kannte ihren Chef und grinste.
„Klar, aber wie wäre es denn mal, wenn du das selbst liest?“
„Wozu sollten wir das denn beide lesen? Also los, rede! Aber nur die Kurzfassung und ohne Fremdwörter.“
Jennifer seufzte.
„Jonas Beilank wurde erstochen. Mit einem Messer. Die Klinge ist achtzehn Zentimeter lang. Ein herkömmliches Küchenmesser. Der Stichkanal geht zwischen zwei Rippen hindurch und hat das Herz getroffen. Aber – und jetzt wird es spannend – er ist nicht an dem Messerstich gestorben.“
„Woran denn dann? Ertrunken ist er ja wohl kaum.“
„Nein, Chef. Er hat sich wohl sehr aufgeregt, als er seinen Mörder getroffen hat. Der Mann hatte einen Herzinfarkt.“
„Wie dämlich, dann ist es ja gar kein richtiger Mord.“
„Doch, er wäre nach ein paar Minuten auch an dem Stich ins Herz gestorben.“
Die beiden schwiegen, bis Reiner an der Tankstelle nach links zeigte.
„Was machen wir hier? Das ist doch das Industriegebiet?“
„Hier wohnt die Stofftante. Den Namen habe ich vergessen. Silke irgendwas.“
„Silke Rösbert, zweiundvierzig“, erklärte Jennifer, die sich Informationen, die sie einmal gehört hatte, sofort merken konnte. „Sie macht aus Stoff Kunstwerke wie Bilder und Decken. Patchwork. Weißt du, was das ist?“
„Nein, ich bin ja ein Mann, da kennt man so einen Quatsch nicht. Mann, diese Kunstheinis gehen mir auf die Nerven.“
Jennifer schüttelte den Kopf über so viel Ignoranz. Reiner war ja immer sehr ruppig, aber irgendetwas war dieses Mal anders. Seit er von Undine Nithritz gekommen war, wirkte er noch abweisender. Was hatte die Frau mit ihm gemacht?
Sie waren angekommen und parkten vor dem Haus, das noch nicht ganz fertig war. Als sie klingelten, öffnete eine freundlich blickende Frau die Tür. Ehe sie fragen konnte, was die Besucher von ihr wollten, hielt ihr Reiner den Dienstausweis vor die Nase.
„Sie kommen wegen des armen Mannes, der bei Undine getötet wurde? Ach, was für ein schlimmes Schicksal. Kommen Sie doch herein und setzen Sie sich. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“
Reiner schüttelte nur den Kopf und blieb am Fenster stehen. Jennifer stellte sich und ihren Chef vor und bat um ein Glas Wasser. Silke lief leichten Schrittes in die Küche und holte eine Karaffe und ein Glas für Jennifer, die sich an den großen Esstisch gesetzt hatte, hin. Sie nahm neben ihr Platz.
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