»Okay. Bei der Langfristigkeit der Planung, mit der wir es hier zu tun haben, haben die was anderes benutzt.« René dachte nach. Er wusste, dass die Kameras in den einzelnen Büros auf die Türen gerichtet waren und nicht auf die Schreibtische. Die Konsole, um die es ging, befand sich neben dem Schreibtisch an der Wand und somit erst recht außerhalb des Bildes.
»Und dann was? Haben die sich rein- und wieder rausgebeamt?« Christopher blickte seinen Vorgesetzten verwirrt an.
Die Tür des Büros öffnete sich erneut und Sophia Simonsen stand im Türrahmen, von wo aus sie Christopher einen zornigen Blick zuwarf.
»Ich hatte mich doch wohl klar ausgedrückt, oder?«, fragte sie, wobei sie komplett ignorierte, dass sie offensichtlich gerade eine Besprechung störte. »Bis ich etwas anderes sage, bewegen Sie ihren Hintern jede Stunde in meinen Raum, damit ich mich davon überzeugen kann, dass Ihnen das Gehirn nicht anfängt zu bluten. Ist das klar? Ansonsten werde ich Sie sedieren und an ein Bett schnallen.«
René wandte den Blick von der Ärztin zu Christopher, der die Offizierin mit großen Augen und deutlichem Schuldbewusstsein anblickte. Dann blickte Christopher seinen Vorgesetzten hilfesuchend an.
»Es geht ihm gut«, meinte René und wandte sich wieder dem Monitor zu. Bevor er jedoch einen weiteren Laut hervorbringen konnte, fragte Sophia in einem gefährlich ruhigen Tonfall:
»Sind Sie Arzt?« René blickte die Frau erstaunt an.
»Nein.«
»Gut. Dann werde ich mich jetzt mal klar ausdrücken.« Sophia Simonsen betrat endgültig das Büro und schloss die Tür hinter sich. »Solange Sie keine medizinische Ausbildung hinter sich gebracht haben, werden Sie bitte keine weiteren Diagnosen erstellen, ist das klar? Das ist mein Job. Ihr Job ist es, dieses Irrenhaus zu leiten. Mir würde nicht im Traum einfallen, Ihnen zu sagen, wie Sie das zu machen haben, obwohl ich da ein bis zwei Vorschläge hätte. Ich erwarte die selbe Achtung vor meinem Beruf von Ihrer Seite aus.«
Das Funkeln in den Augen der Ärztin sprach dafür, dass sie jedes Wort genau so meinte, wie Sie es gesagt hatte. René überlegte einen Augenblick, die Diskussion fortzuführen. Statt dessen wandte er den Blick ab und sah Christopher an.
Ein aufmerksamer Beobachter hätte in Renés Gesicht mehrere Dinge erkannt. Keines davon war erfreulich und alle hatten sie mit der Person zu tun, von der er sich soeben abgewandt hatte. Leider war niemand Entsprechendes im Raum, da Christopher nach wie vor mit seinen Kopfschmerzen beschäftigt war.
»Du hast die Frau gehört.« Mit einem leichten Kopfnicken in ihre Richtung meinte René zu Sophia: »Sie haben recht. Entschuldigung.« Er ignorierte den erstaunten Blick auf Christophers Gesicht ob der letzten Aussage. »Wie lange brauchen Sie?«
»Ich hab mir schon gedacht, dass er sich hier irgendwo herum treibt. Ich habe alles dabei.« Sie holte eine kleine Taschenlampe hervor, machte ein paar Tests und nickte schließlich zufrieden. Als sie sich zum Gehen wandte, sagte René:
»Nein, bleiben Sie. Ich will etwas ausprobieren.«
Sophia blickte erst René, dann Christopher fragend an, nickte dann und wandte sich wieder den beiden Männern zu. René kramte derweil in seiner Schreibtischschublade herum und beförderte schließlich zwei der Klapphandys zutage, die zur Standardausrüstung jedes Mitarbeiters bei OMMYA gehörten. Wortlos reichte er beiden jeweils eines der Telefone und kritzelte etwas auf ein kleines Blatt Papier, danach wiederholte er die Prozedur mit einem zweiten Blatt. Sichtlich zufrieden reichte er den beiden Personen jeweils eines des Blätter.
»Was ist das?«, fragte Sophia, nachdem sie einen Blick auf die Zeile geworfen hatte, die zu sehen war. Zahlen wechselten sich scheinbar willkürlich mit Buchstaben ab. »Ein Passwort?«
»Ja und nein«, lautete die Antwort. »Das habe ich mir gerade ausgedacht. Aber von der Struktur und der Länge her stimmen die beiden Zeilen mit den Codes überein, die hier verwendet werden.« Er nickte in Richtung ihres Handys. »Los. Tippen. Und sagen Sie, wenn Sie fertig sind.«
René blickte auf seine Uhr und nickte den beiden verblüfften Personen aufmunternd zu. Nach einer Sekunde, die sie sich beide fragend angeschaut hatten, wandten sie sich zeitgleich ihren Telefonen zu und fingen an, die Zeichenfolge einzugeben.
»Fertig.« Sophia hielt ihr Telefon hoch. Keine zwei Sekunden später tat Christopher es ihr gleich. René blickte auf seine Uhr und nickte.
»Deutlich unter fünfzehn Sekunden«, meinte er. »Nicht übel, wenn man bedenkt, dass du wahrscheinlich alles doppelt siehst und unsere Frau Doktor nicht besonders vertraut mit den Passwörtern hier ist.«
»Hatte das irgendeinen Sinn?«, fragte die Ärztin, wobei ihr Blick und ihr Tonfall klar zum Ausdruck brachten, dass die Antwort definitiv 'Nein' lautete.
»Sie werden lachen. Ja.« Dem Lächeln, das René zeigte, fehlte jede Form von Humor, und auch Freundlichkeit suchte man vergebens, wenn man sich die Mühe machte, seine Augen zu betrachten, während er die Ärztin anfunkelte.
»Die Konsolen haben eine Sicherheitsschaltung. Wenn man den Code eingibt, muss er innerhalb von dreißig Sekunden beendet worden sein, oder es gibt eine interne Alarmmeldung.« Er zeigte auf den Monitor an der Wand. »Die letzten Einträge in jeder Spalte besagen, wie lange der Eingabevorgang gedauert hat.«
»Was passiert, wenn man sich vertippt?«
»Gar nichts. Zumindest nicht beim ersten Mal. Nach der dritten Falscheingabe allerdings wird der Zugang zu der Konsole gesperrt und die Sicherheitsabteilung tritt auf den Plan. In jedem Fall erhält der Leiter der Wachmannschaft – in unserem Fall Honk – eine Meldung, wenn der Code falsch oder zu langsam eingegeben worden ist.« Erneut drehte er sich zum Monitor und markierte die drei Zeilen.
»Sechsundzwanzig Sekunden?«, fragte Christopher schließlich. »So lange habe ich an meinem ersten Tag nicht gebraucht. War der betrunken?«
»Vielleicht sehr nervös«, überlegte René.
Ein Blick zu Sophia machte deutlich, dass sie ihre fortwährende Anwesenheit hier als unproduktiv betrachtete. Darüber hinaus hatte die Spannung, die zwischen ihr und René in der Luft gelegen hatte, keinen Hauch an Intensität verloren.
»Kann ich dann wieder zurück an meine Arbeit, oder haben Sie noch was zu tippen für mich?«
Renés Lächeln wurde noch eine Spur breiter und noch humorfreier, sofern dies überhaupt noch möglich war. Betont langsam drehte er sich zu Christopher um, der mittlerweile, trotz seines Zustandes, die Spannung spürte, die im Raum herrschte.
»Würdest du uns einen Gefallen tun und uns mal kurz alleine lassen?«, fragte René Christopher, ohne sein starres Lächeln aufzugeben. Christophers Blick wanderte kurz von René zu Sophia, dann nickte er der Offizierin leicht zu und verließ wortlos den Raum.
Kaum dass sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, beugte sich René über seinen Schreibtisch und betätigte einen kleinen Knopf an der Unterseite der Tischplatte. Der Effekt war unspektakulär, zumindest von innen. Von außen betrachtet flackerte die Fensterfront des Büros kurz auf und verwandelte sich dann in eine Spiegelfront, die die Insassen des Büros vor den Blicken der restlichen Belegschaft schützte. René hatte diese Maßnahme bisher erst ein paar Mal getroffen, meistens, wenn er sich nach durchgearbeiteten Nächten umgezogen hatte. Es war nicht sein Stil, den Vorgesetzten heraushängen zu lassen und seine Mitarbeiter zu überwachen, während er keine Lust zum Arbeiten hatte und im Internet spielte. Auf der anderen Seite gab es Gelegenheiten, die seiner Meinung nach ein wenig Privatsphäre erforderten.
Er setzte sich auf den Rand seines Schreibtisches und blickte Sophia Simonsen einige Sekunden lang an. Als er anfing zu sprechen, war das Lächeln auch von seinem Mund verschwunden.
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