Beatrice war sowohl Arbeitgeberin als auch befreundetes Clubmitglied, und es wäre Margot niemals in den Sinn gekommen, ihr etwas Böses zu wünschen, aber vielleicht war diese kleine Abreibung hier genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen, denn das Benehmen der Schriftstellerin war in der letzten Zeit derart unmöglich geworden, dass man es auch mit noch so viel Berühmtheit nicht mehr entschuldigen konnte. Dabei war das nicht immer so gewesen. Ganz zu Anfang ihrer Bekanntschaft, die durch Beatrices Beitritt zum Club zustande gekommen war, hatte sie sich mit ihrer Liebenswürdigkeit auf Anhieb Sympathie verschafft. Doch mit der Zeit wurde sie immer unausstehlicher. Nach Margots Ansicht gab es dafür nur eine Erklärung: Madame war der Erfolg zu Kopf gestiegen!
Trotz ihrer Hüfte hatte sie das Angebot, ihr Haus sauber zu machen, angenommen, denn davon, dass sie die beleidigte Leberwurst spielte, würde sie sich auch nichts kaufen können.
Beatrice trug den Hausmantel aus Cord, ein Erbstück des Revierförsters, der hier vor vielen Jahren gelebt hatte. Nachdem er gestorben war und kein Angehöriger sich für seine Habseligkeiten interessiert hatte, waren zwei von der Forstverwaltung beauftragte Kerle angerückt und hatten die Tür zugenagelt. Darüber waren gut fünf Jahre ins Land gegangen, bis vor etwas mehr als zwölf Monaten eine prominente Städterin das Haus mit all seinem Gerümpel gekauft und bezogen hatte. Als Margot es zum ersten Mal betrat, hatte sie aufgeschrien, denn so etwas war ihr noch nie untergekommen. Wohin das Auge auch blickte, alles war schäbig. Doch die neue Eigentümerin hatte daran keinen Anstoß genommen und sich nicht einmal gescheut, für Waldspaziergänge die porösen Gummistiefel ihres Vorgängers anzuziehen.
»Ich beabsichtige nicht, mein ganzes Leben hier zu verbringen«, hatte sie erklärt und hinzugefügt, dass Mänzelhausen nur eine von vielen Stationen in ihrem Lebens sei, ein Ort, von dem sie sich eine neue und ersprießliche Schaffensphase verspreche. Immerhin hatte sie das in diesem Nest für möglich gehalten, und tatsächlich schien sie unermüdlich am Schreiben zu sein, denn häufig bekam man sie tagelang nirgendwo im Dorf zu sehen.
Unter dem Mantel lugte ein Kinderschlafanzug hervor, und beim Anblick der Entchen, Kätzchen und Dackelwelpen verzog Margot ihr Gesicht. »Weiß Gott, woher sie den hat. Aber gut, dass ihre Leser sie so nicht sehen können.«
Margot machte ein ratloses Gesicht. »Entweder es war jemand hier, der ziemlich sauer auf sie war, oder sie ist die Treppe runtergefallen. Ein Freundschaftsbesuch jedenfalls sieht anders aus.«
Sie rappelte sich wieder hoch, was nicht abging ohne den Protest ihrer Hüfte, in der, sobald der Winter kam, bei jeder falschen Bewegung schneidende Schmerzen tobten. Heute hatte sie es Beatrice zu verdanken, dass sie wie eine Greisin zum Telefon schlurfte, das meterweit entfernt im Arbeitszimmer auf dem Schreibtisch stand.
Beim Eintreten in den etwa zwanzig Quadratmeter großen und nach Nordosten gehenden Raum wurde sie von einer angenehmen Wärme überrascht, was selten genug vorkam, denn der Kachelofen blieb häufig auch im Winter kalt, weil ein vernünftiges Feuer nun einmal Holz und Kohle benötigt.
Sie wird wieder die ganze Nacht hindurch geschrieben haben, dachte Margot und ging zum Schreibtisch, wo das Telefon stand. Sie wählte den Notruf und wartete.
Auf dem Schreibtisch sah es aus wie Kraut und Rüben. Vollgekritzelte Zettel, Zeitschriften, Zeitungen und Bücher, wohin das Auge blickte. Aufgerissene Pakete mit Druckerpapier verstaubten von Freitag bis zum nächsten Freitag, und alles, was sie ordentlich sortiert hatte, lag beim nächsten Mal genauso umher, wie sie es eine Woche zuvor vorgefunden hatte. Doch am meisten hasste sie die kleinen Teller mit den ranzigen Butterbroten, von denen sie jede Woche welche in wenigstens einer der sechs Schubladen des Schreibtischs ans Tageslicht beförderte. Vergangenen Freitag war ihr diese Ferkelei so gegen den Strich gegangen, dass sie einfach nicht anders konnte, als zu fragen, was Essensreste denn in einer Schreibtischschublade zu suchen hätten.
»Dann werfen Sie das Zeug eben in den Müll. Dazu sind Sie doch da, oder?«
Margot war einiges gewohnt, aber von dieser Antwort hatte sich wie vor den Kopf gestoßen gefühlt und mit den Tränen gekämpft. Als Beatrice jetzt so vor ihr lag, erinnerte sie sich daran, was sie an jenem Morgen gedacht hatte: So viel Bosheit wird ihren Meister noch finden!
Von allem, was sich im Raum befand, machten nur die beiden Laptops einen gepflegten Eindruck, vermutlich weil sie viel Geld gekostet hatten und für Beatrice unverzichtbare Arbeitsmittel waren.
Margot sah, dass unter dem Deckel des einen ein Blatt Papier klemmte. Sie überlegte nicht lange und zog es heraus. Es stand nur ein kurzer Text mit gedruckten Buchstaben darauf, und in der Mitte war es ein wenig eingeritzt, so als habe jemand versucht, ein Loch hineinzubohren. Sie wollte gerade zu lesen beginnen, als sich am anderen Ende eine Stimme meldete. Mit knappen Worten erklärte Margot, wen sie wie und wo vorgefunden hatte und fügte hinzu, dass es sich um einen Notfall handele. Sie schätzte, dass es dennoch fünfzehn Minuten dauern würde, bis der Notarzt vom zwölf Kilometer entfernten Perlstetten eintreffen würde.
Ich werde es später lesen, dachte sie beim Hinausgehen in die Halle und nahm auch gleich ein Kissen mit, das sie der Bewusstlosen unter den Kopf schob.
Plötzlich sah sie, dass die Haustür einen Spalt geöffnet war. Sie ging hin und lugte hinaus auf den Weg, der vom Gartentor bis hierher führte. Sie rief einige Male Hallo, doch als keine Antwort folgte, warf sie die Tür ins Schloss.
Als sie sich umwandte, erlebte sie die nächste Überraschung. Auf dem Boden lag ein Gewehr.
»Gehört das Ihnen?«, fragte sie verdutzt und hob es auf. »Wozu braucht man in Mänzelhausen denn so ein Mordwerkzeug?«
Genützt hatte es ihr jedenfalls nichts, dachte sie weiter und wunderte sich, dass sie es bei ihrer gründlichen Art zu putzen nicht schon längst entdeckt hatte. Sie sah sich nach einem guten Versteck um, denn es war sicher nicht im Interesse der Hausherrin, dass Notrufpersonal davon Wind bekäme und damit höchstwahrscheinlich auch bald die Polizei.
Ihr Blick fiel auf den Schirmständer gleich neben der Garderobe, wo der von ihr gehasste, an zwei Stellen aufgeschlitzte Gummiregenmantel hing, den sie schon längst weggeworfen hätte, wenn Beatrice nicht so schrecklich knauserig wäre. Steif und fest beharrte sie darauf, dass man das alte Ding noch gut zur Gartenarbeit tragen konnte, dabei hatte kein Mensch sie je im Garten arbeiten gesehen. Es sah dort aus wie in einem Dschungel und alles, was sie für diesen Wildwuchs tat, war, ihn oft und reichlich zu gießen, damit auch kein Pflänzchen verlorenginge. Doch jetzt war sie froh, dass es den Fetzen noch gab, denn nachdem sie das Gewehr mit ausgestreckten Armen zu seinem neuen Platz getragen hatte, stülpte sie den Mantel über den Lauf, so dass es aussah, als befände sich darunter tatsächlich nur ein Regenschirm.
Sie kratzte sich am Ohr und betrachtete nachdenklich Beatrice, deren Hände sich allmählich blau verfärbten.
»Ich sollte sie zudecken. Dürr wie sie ist, friert sie mir am Ende noch am Boden fest«, murmelte sie und zog die obere Schublade der Kommode auf, aus der sie eine Decke nahm. So gut es ging, hob sie den Körper an, schob das fadenscheinige Ding unter ihm hindurch und schlang die beiden Hälften darum. Als Nächstes fühlte sie noch einmal den Puls und stellte fest, dass er langsamer geworden war.
»Kein Wunder bei der Kälte hier. Eine Zumutung bei meinem Leiden. Kauft sich so ein eisiges Gemäuer für viel Geld und spart ausgerechnet an einer vernünftigen Wärmedämmung, von Zentralheizung will ich gar nicht reden. Lieber gibt sie sich mit einer derartigen Armseligkeit zufrieden. Und das Gerede von Mänzelhausen als nur eine vorübergehende Station ist doch dummes Zeug. Ich habe jedenfalls nichts davon mitbekommen, dass hier demnächst ein Auszug stattfinden soll.«
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