„Erinnerst Du Dich, der Himmel sieht jetzt genauso aus, wie damals bei unserem ersten Chat“, fand Maximilian, seine Stimme wurde weich und weicher.
„Oh ja, es ist wieder ein unglaublich schöner Abend“, seufzte sie, schloss für ein paar Sekunden die Augen und entspannte sich immer mehr.
Die Beiden wurden sich immer vertrauter und die Gespräche wurden immer angenehmer. Sie fingen an richtig zu lachen und machten leichte Scherze miteinander. Einmal kam sogar seine Hand rüber und streichelte für zwei Sekunden ihren Arm. Schnell zog er zu ihrem Bedauern seinen Arm wieder zurück. Es fühlte sich sehr angenehm an, dachte sie, schade, dass er so schüchtern ist. Es war die erste zärtliche Berührung eines fremden Mannes nach über 20 Jahren. Es gefiel ihr. Sie bekam Gänsehaut.
Dann wurde es immer kälter, die Feuchtigkeit des Flusses stieg hoch und kletterte in die Kleidung, sie wurde unruhig. Es wurde spät.
„Maximilian, ich muss so langsam zurück fahren, ich hab noch eine ganz schön lange Strecke vor mir.“
„Ok, ich wünsche Dir eine gute Heimfahrt.“
Sie verabschiedete sich von Maximilian mit einer schüchternen Umarmung. Maximilian ließ seine Arme baumeln und stand einfach nur da.
Dann stieg sie in ihr Auto, ließ den Motor an und winkte Maximilian zum Abschied noch einmal zu. Sie verließ den Parkplatz und steuerte ihr Auto in Richtung Autobahn und nach Hause. Ihre Wegbeschreibung musste sie jetzt nur rückwärts lesen, dazu musste sie ab und zu das Licht im Auto anknipsen.
Alles klappte prima, sie hatte alles gut im Griff. Aus dem Radio dröhnte gerade einer ihrer Lieblingssongs, sie trällerte laut mit, da sah sie vor sich das Schild Baustelle, was sollte das jetzt bedeuten? Kurz darauf war die Straße komplett gesperrt, einfach komplett gesperrt. Das fröhliche Singen war ihr vergangen.
Total frustriert blieb ihr nichts anderes übrig, sie musste den Schildern folgen und von der Autobahn abfahren.
Zuerst fand sie die Umleitungsschilder und hielt sich daran, das schien ja gar nicht so schlimm zu werden. Sie wurde übermütig und stellte das Radio wieder lauter.
Dann übersah sie wohl irgendein Umleitungsschild, oder es kam einfach keins mehr, weil die Bauarbeiter es vergessen hatten, jedenfalls fuhr sie plötzlich durch endlose Dörfer und Landschaften.
Sie verfuhr sich gründlich bei ihrem grottenschlechten Orientierungssinn und der Angstschweiß stand auf ihrer Stirn. Sie beneidete Menschen, die einen unsichtbaren Kompass in sich trugen, der ihnen half, nicht die Orientierung zu verlieren. Die den Ort wiederfanden, wo sie schon einmal waren. Davon hatte sie rein gar nichts. Niemand außer ihr war unterwegs, die einsamen Landstraßen waren wie leergefegt. Die Straßenschilder sagten ihr gar nichts, nur in ein paar Häusern brannte vereinzelt ein Licht, das beruhigte sie etwas.
Manche Häuser kamen ihr vertraut vor, die hatte sie kurz zuvor doch schon mal gesehen. Fuhr sie etwa immer im Kreis? Auch das noch, sie war ziemlich verzweifelt. Irgendwann, sie war viele Stunden unterwegs gewesen und es war schon längst wieder hell draußen, da erreichte sie erleichtert ihr Haus. Sie war einmal quer durch Deutschland gefahren, jedenfalls kam es ihr so vor. Sie schaltete den Motor aus. Ihr Handy zeigte eine neue Nachricht, eine SMS von Maximilian, die er fünf Stunden zuvor geschrieben hatte.
Er schrieb: „Hi liebe Perdita, meine liebste Pia, ich finde Dich sehr nett. Ich habe mich leider nicht getraut, Dich zu küssen, ich vermisse Dich. Wie gerne würde ich Dich in meinen Arm nehmen. Kannst Du noch einmal zurückkommen?“ Sie lächelte verliebt, zurückkommen? Wenn Maximilian wüsste, wie lange sie für die Strecke gebraucht hatte. Sie streichelte mit dem Daumen liebevoll über das Display und war gleichzeitig todmüde. Sie dachte zurück an den Fluss, an den Mondschein, an die Schiffe. Sie dachte an den verkrampften Maximilian, der sich nach und nach lockerte und wie schön es zuletzt mit ihm war, ihr wurde warm ums Herz. Wie er da zuletzt beim Abschied gestanden hatte. Ja, sie wollte zu ihm zurück.
Sie nahm den Haustürschlüssel und öffnete kurz darauf grinsend die Haustür. Als sie ins Haus kam, empfing sie neben Burkhard eine Eiseskälte im Hausflur, er registrierte noch ihr glückliches Lächeln, bevor sie es vor ihm verbergen konnte.
Burkhard sah übernächtigt und wütend aus. Er hatte tiefe Augenringe und stellte sie gereizt zur Rede. Drohend stand er vor ihr:
„Kannst Du nicht anrufen, wenn Du so lange weg bleibst? Ich habe mir Sorgen um Dich gemacht!“
„Du bleibst auch immer so lange weg und meldest Dich nicht! Was Du kannst, kann ich auch!“ antwortete Pia, sie hatte allen Mut zusammen genommen. Sie war mehr als einen Kopf kleiner als Burkhard. Sie war ihm körperlich restlos unterlegen.
„Ich habe mir das Schlimmste ausgemalt, warst Du mit einem anderen Mann im Bett?“ Jetzt schäumte Burkhard vor Wut. Wie konnte sie ihm das antun. Aber jetzt war sie da, sie würde jetzt was zu hören kriegen. Aggressiv schrie er sie lauthals an:
„Pia, Du hast alles zwischen uns zerstört. Ich habe alles versucht, damit wir uns wieder näher kommen. Nachdem Du gechattet hast, bin ich nicht mehr weggefahren. Ich bin bei Dir zuhause geblieben. Unsere Beziehung war mir wichtig. Aber Dir ist ja alles egal.“
Pia wusste nicht, wovon Burkhard sprach. Was bedeutete „wir uns wieder näher kommen?“ Sie war nie weg von ihm gewesen. Während sie noch nachdachte, brüllte er weiter.
„Du bist die ganze Nacht über weggeblieben, sag endlich bei welchem Kerl Du warst? Wie heißt er? Kenne ich ihn?“
„Es ist nicht zu fassen, Du bleibst Nächtelang weg und nur weil ich ein einziges Mal so spät nach Hause komme, machst Du mir so eine Scene?
Dann kamen Vorwürfe ohne Ende, er redete sich in Rage und zog immer wieder heftig an ihren Armen. Er tat ihr weh.
„Burkhard, hast Du eine Freundin? Sag es mir bitte, damit unsere Beziehung noch eine Chance hat, ich will so nicht weiterleben, ich will wissen, was los ist! Nicht ich habe unsere Beziehung kaputt gemacht, das warst Du!“, war ihr Gegenangriff.
Aber was dann alles aus ihm herausbrach, war so erschreckend, Pia war sprachlos.
„Pia, du warst nie da für mich, Du hast immer nur zu Deinen Eltern gehalten. Ich habe nicht nur eine Freundin in der Zeit gehabt, sondern drei. Und nur Du hast Schuld daran, dass es jetzt so zwischen uns ist. Es ist Deine schreckliche Art, die mich in die Arme dieser Frauen getrieben hat!“
Sie hörte sich das alles wortlos an, ihr Verstand raste, dann riss sich von ihm los und ging an ihm vorbei die Treppe hinauf und schloss sich im Abstellraum ein. Sie öffnete den Reißverschluss und ließ ihr neues Kleid achtlos zu Boden fallen, sie kickte es mit dem Fuß in die Zimmerecke und versteckte sich heulend unter ihrer Bettdecke.
Die Situation zwischen Burkhard und ihr wurde von Tag zu Tag immer drückender, Burkhards Blick immer verschlossener und strafender, sie wusste nicht mehr, wie sie die Tage und Nächte aushielt. Aber sie schlich sich weiterhin nachts ins Arbeitszimmer, Maximilian war nie online. Frustriert legte sie sich stets kurz darauf leise auf ihre Matratze zurück.
Da gongte plötzlich das Handy unter ihrem Kopfkissen. „Na alte Lady, ich war ein paar Wochen in China ohne Empfang, wohnst Du noch bei Deinem Kerl?“ Tim, ach Tim.
Mittlerweile war es ihr egal, ob ihre SMS auf der Telefonrechnung auffielen, sie antwortete. „ Hi, ja ich wohne hier noch, er hat nicht nur eine, sondern gleich drei Freundinnen! Ich weiß nicht mehr, was ich ihm glauben kann, ich vertraue ihm nicht mehr!“ Sofort gongte das Handy wieder:
„ Gratuliere Dir zu so einem Prachtexemplar!“
Während sie noch las, gongte es nochmals: „Bin übrigens in Deiner Nähe, ein Kunde hat Maschinenausfall, Lust auf ein Date?“ Sie schrieb zurück:
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