Sie hatte doch nur eine einzige SMS geschrieben, hatte sie was falsch gemacht, aber Tim hatte auch nur von einer geredet. Der hätte sich kaputt gelacht, wenn sich sein Handy 544 Mal gemeldet hätte. Es hatte sie schon die ganze Zeit gewundert, dass Burkhard sie noch nicht zur Rede gestellt hatte.
Sie suchte die Rechnung des Vormonats heraus, 645 SMS und 3 lange Auslandsanrufe. Sie ging immer weiter zurück, seit 6 Monaten diese Wahnsinnsrechnungen bei ihrem schmalen Budget und dem neuen Haus, sie kaufte sich ja nicht mal ein neues T-Shirt.
Wie konnte man so viele SMS im Monat schreiben? Das waren ca. 20 SMS pro Tag? Wenn man die Schlafenszeit abzog, hatte Burkhard jede halbe Stunde eine SMS geschrieben. Und das jeden Tag. Wie ging so was? Wieso hatte sie davon nichts mitbekommen?
Verwirrt legte sie den Stapel wieder so an seinen Platz zurück, damit nicht auffiel, dass sie die Papiere durchgesucht hatte, verließ das Arbeitszimmer und kochte sich erst einmal einen Tee, ihre Hände mussten was tun und dann setzte sie sich fassungslos aufs Sofa.
Was hatte das Ganze zu bedeuten, sie stand wieder auf und rannte durch das Haus. Dann setzte sie sich wieder hin und versuchte sich zu beruhigen. Tausend Gedanken schwirrten durch ihren Kopf, woher kamen nur diese vielen SMS? Mit wem konnte sie darüber sprechen?
Dann kam Burkhard nach Hause, sie beobachtete ihn heimlich. Ihr fiel nichts an seinem Verhalten auf, er war ganz ruhig und entspannt. Sie konnte es nicht glauben, wie eiskalt er war.
Nachts hatte sie sich immer noch nicht beruhigt, sie holte sich das Handy aus dem Badezimmer in den Abstellraum. Sie legte sich damit bäuchlings auf ihre Matratze und schaltete es ein, während sie gleichzeitig schnell das Kopfkissen drauf drückte, damit Burkhard von dem Gong nicht wach wurde.
Sie schrieb an Tim:
„Ich habe gerade die Telefonrechnungen gefunden. Diesen Monat stehen 544 SMS auf der Rechnung, in den Vormonaten teilweise noch mehr, was bedeutet das?“ und schickte die SMS ab.
Sie wartete und wartete, wieder keine Antwort, er wird wohl schlafen. Irgendwann schlief sie auch endlich ein, ihr Körper war einfach todmüde. Sie hatte einen heftigen Albtraum. In diesem Traum sah sie einen schwarzen Schatten an der Wand neben ihrem Bett. Der Schatten bedrohte sie, er beugte sich immer weiter zu ihr runter. Sie lag da und hatte Angst.
Während sie die Situation weiterhin ängstlich und wie gelähmt beobachtete, bildete sich ein Gesicht und dieses Gesicht zog eine grinsende hämische Grimasse. Sie sah die fletschenden Zähne, und je länger sie den Schatten beobachtete, umso deutlicher erkannte sie das Gesicht von Burkhard und sein hässliches und fieses Grinsen. Ihr Herz klopfte wild. Sie wollte weglaufen, aber sie konnte sich nicht bewegen.
Da wurde sie von einem Gong unter ihrem Kopfkissen geweckt, die SMS kam von Tim. Noch vom Albtraum total verwirrt las sie:
„Na, was hab ich Dir gesagt? Stell ihn endlich zur Rede!“
Toll, für Tim gab es jetzt auch noch Beweise, und sie hatte sie ihm geliefert.
Sie war der einsamste Mensch auf der Welt. Die Kälte lief durch ihren Körper.
Nachdem sie lange genug nachgedacht hatte, entschloss sie sich entgegen Tims Vorschlag ruhig zu bleiben und erst einmal abzuwarten, außerdem hatte sie viel zu viel Angst herauszufinden, dass womöglich etwas an Tim Vermutungen wahr sein konnte. Das würde ihr Leben vollkommen auf den Kopf stellen. Was würde dann mit ihrem Haus passieren?
Nein, sie war sich sicher, es stimmte nicht, was Tim sagte. Heutzutage tätigten alle erfolgreichen Menschen ihre Firmengeschäfte per SMS und wahrscheinlich hatte Burkhard mit einem Lieferanten aus dem Ausland telefoniert. Ja, genau, das war es, da war sie sich sicher! Aber sie hatte Glück, so hatte er ihre lächerliche SMS gar nicht bemerkt und Pia grinste mit einem etwas schiefen Lächeln vor sich hin. Sie musste dringend ihre Nerven beruhigen. Und eigentlich war Burkhard kein erfolgreicher Geschäftsmann.
Pia lebte die nächste Zeit in einem Vakuum, Zeit und Raum hatten an Bedeutung verloren. Die Gespräche mit Burkhard hatte sie aufs Minimum beschränkt. Sie wollte dringend wieder online gehen, sie vermisste Maximilians liebevolle Art und sie wollte weiter mit Tim über die vielen SMS reden. Nur das war jetzt wichtig.
Sie schlief weiter im Abstellraum. Burkhard hatte noch ein paar Mal versucht, ihre Matratze ins Schlafzimmer zu holen, sie trug die Matratze kurz darauf immer wieder zurück. Burkhard fuhr zwar nicht mehr weg, aber er erklärte auch nicht, warum er die vielen SMS geschrieben hatte. Und sie fragte nicht, sie beobachtete ihn einfach.
Zum Glück klappte wenigstens in ihrem Job alles wie bisher, aber es kostete sie sehr viel Kraft, dass sie dort nicht zusammenbrach. Wenn es zu schlimm wurde, lief sie zur Toilette und hielt ihren heißen Kopf an die kalten Fliesen. Sie versuchte nicht zu sehr zu heulen. Immer nur ein bisschen. Nur ein bisschen Schmerz ablassen. Sonst wären die Augen zu stark verquollen und die Kollegen würden das mitbekommen und womöglich unangenehme Fragen stellen. Manchem Kollegen würde so eine Geschichte auch bestimmt gefallen.
Wie oft hielt sie ihr Gesicht unter eiskaltes Wasser im Waschraum, um sich zu beruhigen? Wie oft hatte sie das Gefühl, dass nichts mehr ging? Aber wofür hatte sie ihr Pokerface, sie blieb äußerlich ruhig, während innerlich ein Sturm tobte. Und diesen Sturm beherrschte sie nicht mehr.
Pia rief in ihrer Verzweiflung sogar ihre Mutter an. Sie versuchte mit ihrer Mutter zu reden, ohne ihr die ganze ungeheuerliche Vermutung mitzuteilen, sie schämte sich so sehr, dass sie ihr Leben nicht im Griff hatte. Ihre Mutter sagte nur, dass es viel schwierigere Situationen im Leben gäbe, als diese kindischen Spiele zwischen Burkhard und ihr und dass sie einen Krieg überlebt hätte.
„Pia, stell Dich nicht so an. Eine Ehe ist kein Honigschlecken. Ja im Krieg, das war wirklich schlimm!“ Ja, zerknirscht gab Pia ihrer Mutter Recht. Und Eva hatte wirklich genug von ihrer jammernden und unfähigen Tochter. Pia wohnte in einem wunderschönen Haus, Pia hatte einen Job und war unabhängig, sie musste sich um keine Kinder kümmern. Was wollte sie noch, sie hatte noch keine einzige Nacht im Bunker verbracht. Da fiel Eva etwas ein, womit sie Pia schon immer ärgern konnte und es wurde mal wieder Zeit, das Spiel zu spielen.
„Ach übrigens, ich habe heute mit Sandra telefoniert.“
Auch das noch, genau das brauchte Pia jetzt auch noch. Sandra, Pias kleine Schwester hatte in München den großen Fang gemacht mit Bernd, einem EDV-Spezialisten. Sie führte ein Leben im goldenen Käfig und die beiden Kinder, es waren auch noch Jungs geworden, waren der ganze Stolz der Großeltern. Und Sandra war ja so toll. Schade für die Großeltern, dass Sandra so weit weg wohnte. Sandra war die Lieblingstochter, sie war genauso geworden, wie es sich Eva immer gewünscht hatte. Und sie war nicht so schwierig wie Pia.
„Sandra war mit den beiden Jungs beim Intelligenztest, weil sie in der Schule auffällig waren.“ Eva machte eine Kunstpause und wartete genüsslich auf Pias Reaktion.
„Und?“, Pia gab ihr den Gefallen, es war eh egal, sie zählte in den Augen ihrer Mutter nicht.
Eva atmete tief ein, ja, jetzt würde sie es Pia geben, sie war die Große, die Gewinnerin:
„Beide Kinder sind hochbegabt, die Eliteuniversitäten haben ihnen schon Studienplätze angeboten mit anschließenden Stellenangeboten namhafter Firmen!“ Eva lauschte ihren Worten nach, dann brach es stolz aus ihr heraus:
„Ist das nicht wundervoll, ich habe zwei hochbegabte Enkel, das haben sie bestimmt von mir. Wenn der Krieg nicht gewesen wäre und ich Dich nicht bekommen hätte, hätte ich auch Karriere gemacht.“
„Oh, ja das ist wundervoll, da ist Sandra bestimmt sehr glücklich!“ Pia war die Verliererin in der Familie, das schwarze Schaf. Eva fühlte durchs Telefon, ja das hatte gesessen und sie setzte noch eins drauf:
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