Bramke war ein stämmiger Mann mit tiefschwarzem Haar. Lediglich an den Schläfen und im Vollbart zeigten sich weiße Haare. Mayen erinnerte der Anblick ein wenig an das Bauchfell eines lupus lupus. „Menschenschutz“, sagte der Förster nachdenklich.
„Wie bitte?“ Mayen zog fragend die Augenbrauen hoch.
Bramke grinste. „Wir reden von Naturschutz oder Umweltschutz, doch darum geht es doch überhaupt nicht. Egal, was der Mensch anstellt, die Natur wird überleben. Das hat sie immer getan. Sie passt sich an. Weit besser, als der Mensch. Selbst wenn unsere Luft aus Giftgasen bestünde, würde die Natur sich anpassen. War ja sogar mal so. Na ja, jedenfalls könnte sich der Mensch sicherlich nicht so gut an veränderte Umweltbedingungen gewöhnen. Deswegen sollte der ganze Umweltschutz und Naturschutz besser Menschenschutz heißen. Träfe den Kern der Sache viel besser.“
„Auch darauf trinke ich“, stimmte Mayen zu und grinste breit. „Ist eine ungewöhnliche, aber interessante Ansicht.“ Er trank mit den anderen und leckte sich genüsslich über die Lippen. „Zurück zu den Wölfen. Sehen Sie da Probleme?“
„Solange sie im abgesperrten Bereich bleiben? Nein. Aber wenn sie frei im Tal herumlaufen, dann könnte es Probleme geben. Ich hoffe, dass sie nicht auf den Gedanken kommen, eine von Woliceks Kühen anzufallen oder das noch Schlimmeres passiert. Solange sie sich an Wildschweine und Mufflons halten, ist alles Okay.“
„Der Mensch gehört nicht in ihr Beutespektrum.“ Mayen nahm einen kräftigen Schluck und sah bedauernd in den leeren Becher. „Und sie scheuen den Menschen.
Bramke winkte dem Wirt zu, Nachschub an Met zu bringen.
Mayen grinste dankbar. „Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wer oder was den Hund des Bauern getötet hat?“
Der Förster zuckte die Schultern. „Keine passenden Spuren von Raubwild, wenn Sie das meinen. Offen gesagt, gefällt mir das nicht. Haben Sie gehört, dass hier ein paar Wochen zuvor ein Wandererpaar verschwunden ist?“
„Ja. Sehr rätselhafte Sache, das. Wenigstens hat es nichts mit unseren Wölfen zu tun. Die waren ja noch nicht da.“
Bramke nickte. „Wenn so etwas passieren sollte, während die Wölfe durch das Tal streifen, dann können Sie ihr Projekt vergessen. Hier gibt es einige Leute, die nicht gut auf Wölfe zu sprechen sind und einige davon haben Flinten im Keller.“
„Ah, wirklich?“ Mayen strich sich nachdenklich über das Kinn. „Ich habe eher das Gefühl, die Leute akzeptieren das Projekt.“
„Solange nichts passiert, ja.“ Bramke leckte sich über die Lippen. „Aber die Stimmung kann schnell kippen. Sehen Sie, am Anfang waren die meisten Leute für den Naturpark und sind es auch jetzt noch. Aber hier bei uns, in Wolfgarten, gibt es eine Menge kritischer Stimmen.“
„Ich darf um ein höfliches Handgeklapper bitten“, war eine weibliche Stimme zu vernehmen und die Anwesenden wandten sich automatisch der kleinen Bühne zu. Dort hatten inzwischen die Spielleute Platz genommen. „Die Gruppe Lautenschlag wird jetzt einige Stücke aus dem Mittelalter spielen.“
Mayen betrachtete interessiert ein merkwürdiges Instrument, an dem sich eine Kurbel befand. Die junge Frau, welche die Gruppe angekündigt hatte, nahm ein Tamburin und begann den Rhythmus zu schlagen, dann fielen die anderen Instrumente ein.
„Gar nicht mal schlecht“, meinte Doktor Mayen. „Jedenfalls was anderes als dieses HipHop, das Janice ständig laufen lässt.“
Etliche der Gäste unterhielten sich weiter, während die Gruppe aufspielte. Die Bachmanns kamen zu den Tischen und fragten nach den Wünschen der Gäste. Die Karte war bescheiden, aber die meisten freuten sich auf den Schweinebraten, der sich am Spieß über der Feuerstelle drehte. Gespräche und Musik mischten sich und in der Schänke herrschte ein stetes Kommen und Gehen. Einige mussten nach Hause aufbrechen, andere kamen erst spät zu der Veranstaltung. Unter letzteren war auch Bauer Wolicek, der zuvor das Stroh für die Mittelalterfreunde abgeliefert hatte. Er kam anschließend in den Gastraum und ließ sich von Bachmann ein Bier zapfen.
Alles verlief harmonisch, obwohl einige der Gäste bald mehr getrunken hatten, als ihnen eigentlich gut tat. Doch es gab keine Reibereien und besonders Frau Bachmann hatte ein Gespür für gereizte Stimmung. Sie war schnell zur Stelle, beschwichtigte und gab eine Runde aus, was die erhitzten Gemüter rasch besänftigte.
An diesem Abend machte ihr Wolicek jedoch Sorgen. Sonst war er ein angenehmer Gast, wenn er sich einmal in die „Kermeter Schänke“ verirrte oder Burg „Wulffgart“ belieferte, doch an diesem Abend wirkte er düster und verschlossen. Das war ungewöhnlich und sicher auch nicht gut, denn er trank auch mehr, als gewöhnlich. Sie trat unauffällig neben ihren Mann.
„Du, ich glaube, den Wolicek, den sollten wir im Auge behalten.“
„Den Wolicek?“ Der Wirt sah kurz zu dem Milchbauern hinüber und widmete sich dann wieder dem Spülen von Pokalen, Bechern und Hörnern. „Was ist mit ihm?“
„Ich weiß nicht. Die ganze Zeit steht er da am Tresen, kippt ein Bier nach dem anderen und starrt düster vor sich hin.“
Der Wirt zuckte die Schultern. „Der trauert noch immer um seinen Rudi.“
„Irgendwann muss das aber auch mal gut sein“, raunte sie. „Das ist jetzt Wochen her und seitdem hat er diese miese Stimmung. Die Leute im Dorf sagen, er legt sich schon mit Jedem an.“
„Der Wolicek? Blödsinn. Das ist doch ein ganz ruhiger Kerl.“
„Aber irgendwas geht in ihm vor sich. Wir sollten ihn wirklich im Auge behalten.“
„Na schön“, stimmte er zu. „Ich glaube, der Kircher und der Wagner sind hier irgendwo. Da wird schon nichts passieren.“
„War ein kluger Zug, die beiden Bullen einzuladen.“
Er lachte leise auf. „Lass die Beiden das bloß nicht hören. Das haben die nicht so gerne. Zumindest der Kircher nicht. Der ist da ein bisschen empfindlich. Aber ich habe denen schon gesagt, um was es geht. Diesen Abend trinken die bestimmt nichts und ich habe bei den anderen Gästen durchblicken lassen, dass unsere Polizei nachher die Straße überwacht. Die meisten sind ja ohnehin zu Fuß.“ Er stellte die gesäuberten Trinkgefäße zum Abtropfen auf die Spüle und nahm sich die nächsten. „Ich meine, wenn einer unserer Gäste sonst ein bisschen unsicher fährt, kann ja nicht viel passieren. Aber heute sind halt viele unterwegs und ich will nicht, dass so ein Besoffener Jemanden anfährt.“
Auf der Bühne wurde eine Ballade angestimmt. Die Worte waren für viele nur schwer zu verstehen, vor allem für jene, denen die mittelalterlichen Sprechweise fremd war, doch die Geschichte war leicht verständlich. Die Sängerin, offensichtlich in der Rolle eines jungen Mädchens, wurde von einem Wolf bedrängt und flüchtete sich in die Arme eines bewaffneten Recken, dessen Gesicht durch einen Helm vollkommen unkenntlich war. Der vertrieb den bösen Wolf und die Maid sank ihrem Helden schmachtend in die Arme. Alle dachten nun, das Stück sei zu Ende und im Publikum setzte Applaus ein, doch dann ging es doch noch weiter. Plötzlich riss sich der Held den Helm vom Kopf und darunter wurde eine Wolfsmaske sichtbar.
„Und die Moral von der Geschicht´“, meinte der sichtlich angetrunkene Doktor Mayen zu Förster Bramke, „trau keiner einem Anderen nicht.“
Die Erwiderung Bramkes ging im Klatschen der anderen Gäste unter, bis der Förster sich näher zu Mayen beugte. „Was Sie da gerade gesagt haben, widerspricht sich.“
„Ach, egal.“ Mayens Augen glänzten verdächtig. Er hob sein Horn zum Tresen. „Und noch einen auf die Wölfe.“
„Ihr mit euren verdammten Wölfen!“
Im ersten Moment wusste Mayen nicht, woher der Ruf gekommen war, bis sich Wolicek vom Tresen abdrückte. Er war sichtlich betrunken und stand nur unsicher auf seinen Beinen. Er deutete mit seinem halb gefüllten Becher auf den Forscher und etwas Flüssigkeit schwappte dabei auf den Boden.
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