Er hatte nicht die üblichen Hobbys seiner Kollegen, wie Golf, teure Autos, oder noch teurere Frauen, sondern verbrachte seine freie Zeit auf einem Landgut in der Toskana, baute seinen eigenen Wein an, und das schon seit mehr als 30 Jahren. Er war seit fast einem halben Jahrhundert mit derselben Frau verheiratet, welche immer seltener mit nach Deutschland kam, wenn er einen Termin wahr nahm, sondern blieb lieber in Italien, um die Sonne zu genießen, oder Spaziergänge durch die eigenen Rebstöcke zu machen. Er nahm einen Schluck Wasser, und legte die Papiere vor sich auf den Schreibtisch.
„Dein Vater war ein schwerreicher Mann, nach sämtlichen Maßstäben, die man anlegen kann. Die meisten Geschäfte haben wir gemeinsam abgewickelt, und selten hat Karl Geld verloren, wenn er ein Projekt angefasst hat. Natürlich hat in den letzten Monaten das Unternehmen gelitten, seit er tot ist, und sich kein Familienmitglied um die Geschäfte kümmert, aber es läuft alles andere als schlecht.
Seit ein paar Jahren hat dein Vater allerdings sein Vermögen umgeschichtet. Die Immobilien sind fast alle verkauft, bis auf die Villa und ein Ferienhaus in Italien. Anschließend hat er die Immobilien, soweit notwendig, wieder zurück gemietet. Seine Aktienpakete wurden mit beträchtlichen Gewinnen veräußert, und die Beteiligungen an anderen Unternehmen und Produktionsstätten hat er zu Bargeld gemacht. Einige dieser Geschäfte habe ich für ihn selber abgewickelt, aber was er mit den Erlösen gemacht hat, weiß ich nicht.“
Bernhard von Mühlen machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln, und um mit seinen dünnen, feinen Händen, die Dokumente zu ordnen.
„Dein Vater hat in den letzten Jahren insgesamt fast 1,1 Milliarden Euro an Bargeld eingenommen. Er hat einen Fond für dich und Carola eingerichtet, mit 20 Millionen Euro, aus dem eure Versorgung gewährleistet wird. Dazu kommen die laufenden Einnahmen aus den Geschäftstätigkeiten, und ein Bargeldkonto mit knapp 2 Millionen Euro, über das ihr sofort verfügen könnt.“ Er machte eine Pause, und Sarah hatte das Gefühl, dass jetzt etwas von Bedeutung folgen würde.
„Solltest du dich dafür entscheiden, dass Unternehmen zu leiten, gehört es in zwei Jahren dir, und du kannst dann damit machen was du willst, ansonsten gehen die Geschäftsanteile auf die Partner über, und du wirst mit einem Betrag von 1 Million Euro abgefunden. Durch den plötzlichen Tod deines Vaters, ist das Unternehmen allerdings in eine Schieflage geraten, und es fehlen im Moment zirka 5 Millionen liquide Mittel, für Steuervorauszahlungen und Produktionen, die bereits letztes Jahr in Auftrag gegeben wurden.“
Der Anwalt führte weiter die Geschäftstätigkeiten von Karl Koenig aus, und zählte die vielen Standorte auf, an denen Sarahs Vater geschäftliche Verbindungen unterhielt. Nur Frank hörte zu, auch wenn er nicht alle Unternehmungen für nachvollziehbar hielt. Wahrscheinlich waren manche Firmen nur als Steuerschlupflöcher gegründet worden, aber das war nicht sein Metier. Sarahs Gedanken jedoch, überschlugen sich.
Wer war ihr Vater? Bereits letztes Jahr, kurz vor seinem Tod, hatte sie durch die Affäre mit dem ehemaligen Polizeipräsidenten Stoll, und ihrer märchenhaften Beförderung, erste Hinweise erhalten, die ihren Vater hatten in einem anderen Licht erscheinen lassen. Danach gab es Indizien, über parallel laufende Aufenthaltsorte, mit dem mutmaßlichen Mörder von Blanke und Groth, durch die Informationen, die sie vom FBI Agenten Jeffries erhalten hatten. Eine Klärung der Fakten hatte sie damals nicht mehr herbeiführen können. Sie hatte nur noch undeutliche Erinnerungen, an den Schusswechsel im Büro ihres Vaters. Sarah griff sich unbewusst an die Stelle, wo sie die Kugel getroffen hatte, und sie verspürte einen ziehenden Schmerz, der nur langsam abebbte.
Sie wusste, dass ihr Vater reich war, aber sie hatte sich nie dafür interessiert, wie viel Geld er besessen hatte, und welchen Geschäften er nachgegangen war. Sicher erwarb niemand ein Vermögen, wenn er nicht die nötige Härte besaß, sich durchzusetzen. Heute sah sie die Feste, die ihr Vater ausgerichtet hatte, in einem anderen Licht. Es ging immer nur um Einfluss und Macht, auf beiden Seiten. Man nützte sich gegenseitig, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ministerpräsidenten, Wirtschaftsmächtige in aller Welt, sogar Polizeipräsidenten. Alle profitierten davon, Karl Koenig zu kennen. Sogar sie, und Frank Kremer, gehörten zu den Gewinnern, gewollt oder nicht. So erklärte sich auch der Ärger ihres neuen Vorgesetzten Kurt Weiler, der offensichtlich nicht zur erlesenen Scharr der Profiteure zählte, und auf jeden sauer war, der aus diesem Kreis an ihm vorbeizog.
Für wen sollte sie das Unternehmen weiter leiten? Für sich? Für ihre Mutter? Für die Geschäftspartner ihres Vaters?
Und was würde sie finden, wenn sie sich auf die Suche nach der Milliarde Euro machte? Wäre es nicht besser, alles abzustoßen, um wieder Frieden zu finden?
Ihre Mutter war versorgt, sie verdiente ihr eigenes Geld, und das bereits seit mehr als fünf Jahren. Sie ahnte, dass die Abfindung von 1 Million Euro nur eine Geste war, oder vielmehr, ein Hinweis auf ihre Verpflichtung gegenüber ihrem Erbe. Bestimmt hatte ihr Vater nicht geplant, dass sie unter diesen Umständen die Firma übernehmen sollte, auch wenn er immer wieder auf ihre Nachfolge gedrängt hatte.
Sie erschrak, als Frank sie am Arm berührte. Sie hatte sich unwillkürlich an den Armlehnen festgeklammert, bis ihre Knöchel weiß hervorgetreten waren. Er lächelte sie an, und Sarah entspannte sich ein wenig, konnte sich aber nicht wirklich auf den Vortrag ihres Anwaltes konzentrieren.
Sie würde eine Entscheidung treffen müssen, und hoffte, dass Frank ihr dabei helfen konnte. Nur langsam durchdrang die Stille ihre lauten Gedanken, und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder zurück zu Bernhard von Mühlen, der ihr das Testament ihres Vaters entgegen hielt. Sarah lächelte verkrampft, und nahm das Schriftstück entgegen.
Der Anwalt nahm sich eine Pfeife aus der Schublade, stopfte diese bedächtig, und zündete sie mit einem Streichholz an, indem er das brennende Zündholz in den Pfeifenkopf steckte, und mehrmals am Mundstück sog. Die Haut seiner Finger sah aus, als ob sie aus dünnem, braunen Papier bestehen würde, das jeden Moment selber Feuer fangen konnte.
Anschließend lehnte er sich in seinem Sessel zurück, stieß ab und zu kleine Wolken aus, und beobachtete Sarah beim Durchlesen des Testamentes. Als sie am Ende des Schriftstückes angekommen war, legte Bernhard von Mühlen die Pfeife zurück in den Ständer, und schloss die Schublade wieder.
„Nun, hast du Fragen zum letzten Willen deines Vaters?“
Sarah nickte langsam, als ob sie sich noch darüber klar werden müsste, was sie wissen sollte, aber sie vermutete auch, dass ihre drängendsten Fragen nicht durch ihren Anwalt beantwortet werden konnten.
So klärten sie anschließend die vielen technischen Details, wie Sarah über das Geld verfügen konnte, und ab wann sie unterschriftsberechtigt war, und vieles mehr. Erst am Nachmittag verließen sie die Kanzlei, und fuhren zu ihrer Wohnung.
Frank starrte an die Decke. Durch einen kleinen Spalt im Vorhang, fiel ein schwaches Mondlicht, das durch die gläserne Deckenlampe, fahle Muster ins Zimmer warf. Er lag seit Stunden wach in seinem Bett, und beobachtete wie die Schatten sich im Laufe der Zeit veränderten. Er dachte über die letzte Woche nach, vor allem über Sarah. Er vermisste sie, obwohl sie erst seit wenigen Tagen zusammen waren, aber es fühlte sich an, als ob sie sich schon seit ewigen Zeiten kennen würden.
Sie hatte sich entschlossen, die Firma ihres Vaters nicht kampflos untergehen zu lassen, oder sie an die Geschäftspartner zu verhökern. Mit dem Privatjet ihrer Familie war sie, zusammen mit Freddie, nach Asien geflogen, um sich mit den Produzenten zu treffen. Die Bank hatte ihren Kreditrahmen um 5 Millionen Euro aufgestockt, mit dem Jet als Sicherheit.
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