Wegen der vielfältigsten Überlagerungen der Jahrtausende langen Vergangenheit ist es heute sehr schwierig, die Reaktionen und Verhaltensweisen von Erwachsenen wie von Kindern zu entschlüsseln und den Bezug zu den identitätsgemäßen Zusammenhängen herzustellen. Das ist auch darin begründet, weil die beurteilende Person selbst der gleichen, grundsätzlichen identitätsgemäßen Problematik und den korrelierenden Gesetzmäßigkeiten ausgesetzt ist und daher sinnbildlich im selben Boot sitzt.
Wenn allerdings der zugrunde liegende Mechanismus und die diesbezügliche Systematik bzw. Wirkungsweise durchschaut sind, dann erschließt sich die dahinterstehende strukturelle Logik mit der Konsequenz, bisherige Theorien angesichts des Wegfalls der darauf aufbauenden Prämissen zu annullieren.
Mit anderen Worten: Alte Weisheiten müssen als überholt angesehen werden, da die heutigen Entwicklungen ihren Anfang und damit ebenso Wurzel bereits vor Tausenden von Jahren genommen haben. Was der Mensch als aktuelle und historische Zivilisation erachtet, ist de facto der Ausdruck und das Ergebnis der ungelösten Identitätsproblematik. Zivilisation ist folglich die Bilanz aller Ersatz- und Kompensationshandlungen, die sich heute für den Menschen aufgrund des langen Zeitlaufes und ihrer mannigfaltigen Überlagerungen als unüberschaubares Gebilde zeigt. Unter Anlegung der Mensch-Erklärungsformel erscheint die ganze Menschheitsgeschichte in einem anderen Licht und muss eine Neubewertung erfahren, da zentrale Grundannahmen bezüglich des menschlichen Wesens obsolet sind.
Die Freilegung der Überlagerungen gleicht regelrecht einer archäologischen Arbeit, bei der, in diesem Fall, einzelne Erkenntnisse erst rekonstruiert und dann zusammengefügt werden, die zur ursächlichen Veranlagung des Menschen führen respektive auf diese rückschließen lassen. Die archäologische Arbeit ist demgemäß nicht an einem verstorbenen Menschen, wo es um die körperliche Zusammensetzung und Erforschung geht, vorzunehmen, hingegen am lebenden, aber durch die Vergangenheit in Form der Menschheitsgeschichte in vielerlei Weise geprägten und belasteten Modell. Die Untersuchung betrifft hier den psychischen Komplex, Schicht für Schicht muss abgetragen werden, um letztlich zu den natürlichen und essenziellen psychischen Bedürfnissen des Menschen vorzudringen, diese zu identifizieren und vor allem von den vermeintlichen, in ihrer Quintessenz künstlich geschaffenen Verlangen und Begehren zu trennen.
So schwer es dem Leser in Anbetracht seiner persönlichen identitätsgemäßen Situation vielleicht fallen mag, ideologische Anschauungen, vorgefertigte Meinungen, Eigensinn, Scheuklappendenken, private Eitelkeiten und Interessen wie Vorteilsnahmen dürfen keinen Platz haben und den Blick für die Anerkennung der aufgeführten Fakten und Kausalitäten verstellen.
01-Zusammenfassung der Faktenlage
Die Menschheit hat es sich in ihrer Lebenslüge, der sogenannten Normalität mit ihrer tatsächlichen Lebenswirklichkeit und der Negierung der psychischen Grundbedürfnisse gemäß der ursächlichen Lebenswirklichkeit, eingerichtet und will die wirkliche Verfassung der Gesellschaften, ihrer Mitglieder und ebenso der Umwelt nicht wahrhaben.
Der Mensch baut sein Leben (sein Lernen, seine Sozialisation, sein Verhalten, seine Vorstellungen, seine Ziele, etc.) ausschließlich auf den vorhandenen Verhältnissen auf, ohne die echten Erfordernisse getreu seiner wesensgemäßen Grundlagen umfassend und ausreichend zu kennen. Bei den gemeinten Bedürfnissen handelt es sich nicht rein um psychische, sondern gleichfalls um zahlreiche weitere Bereiche, wie die richtige Ernährung, die richtige Art des Essens, der richtige Umgang mit dem Körper, die richtige Körperhaltung, die richtige Atmung, usw.
Der Blick auf die individuellen und sozialen Realitäten ist vor lauter Ersatzhandlungen und Kompensationen getrübt und verstellt, die Verdrängungs- und Rationalisierungsmechanismen laufen auf Hochtouren.
Die Vielzahl der Neurosen und Psychosen sind zur Gewohnheit verkommen und erregen einzig noch Aufmerksamkeit und Interesse, wenn sie in Exzessen ausarten. Dann wird kurzfristige Betroffenheit praktiziert, um schnell wieder zum Alltag, der Normalität, überzugehen. Die zugrunde liegenden Ursachen und Wurzeln werden bewusst oder auch unbewusst ausgeblendet, um dergestalt keine Gefahr für das scheinbar so gut funktionierende, faktisch jedoch höchst fragile System darzustellen.
Im besten Fall wird hektisch an den Symptomen herumgedoktert oder es wird solange hin- und herdiskutiert und weichgespült, bis von einer sinnvollen und zielführenden Lösung nichts oder nur viel zu wenig übrig bleibt.
Die angesprochene Normalität ist entstanden, weil vorherrschende Um- und Zustände wegen der egoistischen bzw. selbstbezogenen Mentalität (die in der defizitären Grundbedürfniserfüllung der Kindheit und der daraus resultierenden, lebenslangen - bewussten und/oder unbewussten – Selbstbeschäftigung mit der identitätsgemäßen Problematik begründet ist) vom Menschen nicht hinterfragt und deshalb als selbstverständlich respektive als natürlich wahrgenommen werden.
Anders ausgedrückt: Der Mensch ist mit sich, seinen Problemen und seiner Umwelt zu sehr beschäftigt, um seine Situation tiefgründig und nachhaltig zu beleuchten und zu prüfen, da er angesichts seiner frühkindlichen und kindlichen Erlebnisse, verbunden mit der Urangst, ein Gefangener seiner geschädigten, im Extremfall zerstörten, Psyche ist. Diese mehr oder minder große Last beschwert den Menschen und treibt ihn durch ihre Permanenz in Ersatz- und Kompensationshandlungen.
Der Mensch wird genötigt, seine inneren Konflikte nach außen zu tragen, weil er alleine mit ihrer Bewältigung überfordert und dem anhand der Problematik hervorgerufenen psychischen Druck nicht gewachsen ist. Dieser identitätsgemäße Mangel ist vergleichbar mit einem latenten Hungergefühl, dessen Stillung über Ersatzhandlungen, Kompensationen und damit Ersatzbefriedigungen erfolgen soll, mit dem – in den modernen Gesellschaften – gelenkten und fokussierten Schwerpunkten Macht und Konsum, in all ihren direkten und indirekten Formen (physische Macht dank Kraft und Stärke, psychische Macht, wirtschaftliche Macht {Wohlstand, Reichtum}, sexuelle Macht, intellektuelle und wissenschaftliche Macht {recht haben}, etc./Warenkonsum, medialer Konsum, Freizeitkonsum, sexueller Konsum, Wissenskonsum, etc.).
Über die Hauptvehikel Macht und Konsum soll Bestätigung generiert werden, um dermaßen einen Gegenpol zur identitätsgemäßen Grundproblematik und den dadurch ausgelösten Ängsten, besonders der Versagensangst (im Sinne von im Leben bestehen zu können, sowohl sich selbst wie anderen Menschen gegenüber), zu schaffen.
Wohlstand und Konsum werden gleichgesetzt mit Zufrieden- und Ausgeglichenheit (bzw. wird dies gesellschaftlich und von wirtschaftlicher Seite so suggeriert) und bilden als die Hauptersatzhandlungen und hiermit Hauptersatzbefriedigungen den Kleister der – vor allen westlichen – Gesellschaften. Anzumerken ist, dass sich diesbezüglich die anderen, noch nicht in dieser Verfassung befindlichen Gesellschaften im zum Teil rasendem Tempo, den Westen zum Vorbild, angleichen, mit all ihren unerquicklichen Nebenwirkungen und Kollateralschäden.
Der Mensch steckt in einer teufelskreisgemäßen Endlosschleife. Seine auf Ersatzhandlungen aufgebaute Existenz produziert belastende Symptome, die wiederum mit neuen Ersatzhandlungen entgegnet und bekämpft werden. Diese fortlaufende Überlagerung von Ersatzhandlungen macht es extrem schwer, Entwicklungen nachvollziehen und zwischen wahren, originären Bedürfnissen und neu erzeugten, künstlichen unterscheiden zu können. Kurz: Der Mensch weiß weder, was er will, noch was er effektiv braucht, und der Sättigungseffekt der Ersatzhandlungen erreicht niemals den Wert einer originären Bedürfnisbefriedigung.
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