Als die Untersuchung dann endlich abgeschlossen war – ich glaube so 20 Minuten dauerte es – ging es dann ratzfatz weiter. Es wurde hektisch telefoniert und ich glaube, die Zeit wurde knapp. Plötzlich stand die Stationsschwester mit meinem Bett, dem OP-Hemd, einem tollen Netzhöschen und einer Träum-schön-Tablette vor der Tür.
Ich ging raus, da drückte sie mir das Hemd und das Höschen in die Hand. Ich ging ins nächste Klo und zog mich dort um. Die schönen Strümpfe hatte ich ja schon seit früh an und so hatte ich mir eine Arbeit erspart. Danach hüpfte ich ins Bett, machte noch schnell den Schmuck ab und sagte der Schwester, sie solle das bloß gut aufbewahren. Dann nahm ich die Tablette und los ging es.
Wir mussten sogar noch lachen, weil ich gar nicht mehr zum Nachdenken kam, vor lauter Hektik. Für mich ist so etwas immer gut. Ich denke meistens sowieso zu viel.
Sie schob mich in einen Raum, der nette Kerl dort erklärte mir alles, was gemacht werden würde und ich bräuchte keine Angst zu haben. Ab da ging dann alles ganz automatisch. Ich wurde von meinem Bett aus auf die andere Seite auf eine Liege transportiert, zwischendurch kam er mit seinem Supermarktscanner und kontrollierte, ob ich die richtige Person sei und dann ging es zur OP-Vorbereitung.
Ich weiß auch nicht, ob die Tablette so schnell gewirkt, oder ob die der Nacht vorher noch nachgewirkt hat, ich war jedenfalls ganz gelassen und es war mir völlig egal, was gleich mit mir passiert. Ich weiß noch, die haben mich mit gewärmten Tüchern zugedeckt und die Narkoseschwester oder Ärztin war ganz lieb, als sie mir den Zugang legte. Dann kam der Narkosearzt und setzte mir die Maske auf und weg war ich.
Als ich aufwachte, sah ich eine große Uhr. Ich glaube, es war 15 Uhr. Da dachte ich: „Gut, dass alles vorbei ist, ich lebe noch.“ Es wurde Blutdruck gemessen und ich schlief immer wieder ein.
Irgendwann war ich dann oben in meinem Zimmer, mein Mann saß an meinem Bett und ich hatte keine Schmerzen. Das war gut so. Als ich wacher wurde, wurde mir immer übler. Emi besorgte mir MCP-Tropfen(Medikament gegen Übelkeit), bevor er ging. Ich empfand es auch so, dass es darauf besser wurde. Ich weiß nicht, wie lange er da war, ob wir geredet haben oder ob ich geschlafen habe. Ich kann mich an nichts erinnern. Doch als mich die Schwestern abends auf die Toilette führen wollten und ich mich an den Bettrand setzte, bekam ich sofort Brechreiz. Mein Gott, war mir schlecht! Ich musste speien, aber danach schaffte ich es auf die Toilette und auch wieder zurück. Mein Blutdruck war natürlich auch sehr niedrig (noch niedriger als gewöhnlich). Die Schwestern fragten ständig nach, ob ich Schmerzen hätte oder ob ich etwas bräuchte. So verging die Nacht und es wurde schließlich wieder Tag.
Und mit dem Tag kam wieder die Übelkeit. Ich muss dazu sagen, dass ich Schmerzen gut ertragen kann. Aber Übelkeit ist, seit ich denken kann, das Schlimmste für mich. Vor dem Waschen musste ich mich wieder übergeben und naja, danach ging es so. Ich lag in meinem Bett und winselte vor mich hin. Das Frühstück stand vor mir, aber ich konnte nichts anrühren. Da ging die Tür auf und Susi kam mit Noah herein. Sie setzte den Kleinen aufs Bett und irgendwie erwachten meine Lebensgeister wieder. Mit jeder Minute ging es mir besser und zum Schluss aß ich sogar mein Frühstück noch. Ich stand auf und mir ging es sogar relativ gut. Als Susi ging, war ich fast wieder die Alte und überraschend gut aufgelegt . Da sieht man, wie sich so ein Besuch positiv auf die Psyche auswirken kann.
Ich kam mit Melanie, meiner Bettnachbarin, ins Gespräch und wir verstanden uns total gut. Ich glaube, ich habe sie auch ein bisschen aus ihrer Traurigkeit reißen können und wir hatten sogar im Krankenhaus, man soll es nicht glauben, unseren Spaß.
Meine Freundin Susanne hatte mir zur Ablenkung das Buch Feuchtgebiete von Charlotte Roche mitgegeben. Sie meinte noch, wenn du das liest, wird dir vor Entsetzen und Ekel nicht mehr langweilig sein und du wirst deine Schmerzen vergessen. Ich las es natürlich und ich muss sagen, sie hatte nicht zu viel versprochen. Wenn jemand ins Zimmer kam, legte ich es immer schnell zurück in meinen Nachttisch. Irgendwie schämte ich mich für dieses Buch, konnte aber trotzdem nicht aufhören, darin zu lesen. Melanie war auch neugierig und so erzählte ich ihr immer, welche Sauereien ich gerade gelesen hatte. So gab es natürlich immer ein Gekicher und Gelächter in unserem Zimmer. Melanie sagte damals mal zu mir: “Komisch, du kamst und mir ging es gleich besser.“ Wen wundert es, denn wie heißt es so schön? Lachen ist gesund! Aber nun wieder zurück zu meiner Geschichte.
Nachmittags klopfte es an unsere Tür und ich bekam Besuch von meinen Arbeitskollegen. Ramona, Tatjana und Björn kamen, um mich aufzuheitern. Danach besuchten mich noch meine beste Freundin Susanne und abends mein Mann. Melanie fragte: „Ist bei dir daheim auch immer so viel los?“ Ich sagte: „Naja, nicht immer, aber ich hab schon meistens viele Menschen um mich herum. Ich brauche das auch. Ich brauche natürlich auch mal meine Ruhe, aber in der Regel brauche ich Lebendigkeit um mich herum.“
Ich glaube, abends habe ich noch erfahren, dass beim Schnellschnitt keine Krebszellen in den Lymphknoten gefunden wurden und die OP gut verlief. Der genaue Befund würde aber noch einige Tage dauern und ich würde noch einen Termin zur Besprechung bekommen. Da könne man feststellen, was als nächstes zu tun sein wird und wie es weiterginge. Es wurde mir auch gesagt, es könne sein, dass die Brust trotzdem noch amputiert werden muss.
Da ich viermal täglich Schmerzmittel bekam, wirkte ich auf meinen Mann immer gut gelaunt und sehr positiv. Er sagte immer, man würde merken, dass ich „Drogen“ bekomme. Ramona meinte später auch mal, dass ich während manchen Besuchen, so richtig auf Wolke 7 geschwebt wäre und keiner konnte meine gute Laune bremsen.
Am Mittwoch, glaube ich, wurde schon die Drainage gezogen und der große Verband abgemacht. Es heilte gut und ich musste von da an Tag und Nacht einen gut sitzenden Sport-BH tragen. Duschen durfte ich auch schon.
Schmerzmittel brauchte ich ab Donnerstag nicht mehr.
Ich dachte, dass ich vielleicht Samstag nach Hause dürfe. Mein Mann hatte da nämlich 41. Geburtstag. Aber daraus wurde nichts. Ich musste bis Sonntag früh bleiben. So feierten wir im Krankenhaus Geburtstag – Emi, Susanne und ich. Robin war zweimal dabei, aber dem war es dann immer gleich langweilig. So telefonierten wir jeden Abend und das ist für uns beide auch okay gewesen. Ich bin als Kind auch nie gern in Krankenhäusern gewesen, mir war meist ebenso langweilig. Ich muss sagen, als ich nicht mehr auf Schmerzmittel war, kamen auch die Gedanken wieder, die weniger schön waren, die mich auch manchmal etwas traurig machten. Ich erinnerte mich daran, dass ich jetzt ein Baby haben könnte – genau in dieser Woche wäre es zur Welt gekommen, es wäre ein Geburtstagsgeschenk für meinen Mann geworden. Aber nun lag ich da auf dem Bett und hatte statt einer Geburt eine Krebsoperation hinter mir. Schicksal! Sollte eben nicht sein. So verabschiedete ich mich auch langsam von meinem Kinderwunsch. Es tat zwar weh, aber ich dachte mir „Du kannst nicht so verantwortungslos sein und nur, weil du gern noch ein Kind hättest, alles riskieren. Was wäre, wenn ich noch ein Kind bekäme und ich würde wieder krank werden. Ich weiß ja nicht mal, ob ich je wieder ganz gesund werde oder ob ich nicht wieder einen Rückfall bekomme. Robin ist schon elf, ihm kann ich vielleicht noch ein paar Jahre zur Seite stehen. Er wird bald seinen eigenen Weg gehen und mich nicht mehr so sehr brauchen. Bei einem Baby wäre das anders. Ich kann kein Kind bekommen und denken, es würde schon gut gehen und irgendwie groß werden. Wenn es da ist, kann ich nicht sagen, ich genieße die Zeit, so lange es mir gut geht und wenn nicht, dann gibt es schon jemanden, der es aufnimmt.“
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