Ich pfiff zwischen die Zähne, denn der Flughafen lag außerhalb der Stadt und befand sich ungefähr dreißig Kilometer von unserer Wohnung entfernt.
Am Flughafen, so berichtete sie weiter, herrschte eine gähnende Leere. Nur einige Sicherheitspolizisten patrouillieren im Gebäude und schickten sie auch prompt wieder fort.
Danach war sie dann zu ihrer Arbeitsstelle gefahren, aber auch dort traf sie niemanden an. So war ihr Tag von wenig Erfolg gekrönt gewesen. Frustriert und müde war sie wieder nach Hause gefahren und hatte mir dann die Nachricht an die Tür geklebt, in der Hoffnung, dass ich ihr was Neues und Positives erzählen konnte.
Leider konnte ich das nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass meine Anwesenheit ihr Geborgenheit vermittelte.
Auch ich fühlte mich sehr wohl in ihrer Gegenwart.
Nun berichtete ich ihr, was ich am Nachmittag gemacht hatte und was ich durch die vielen Mails in Erfahrung gebracht hatte. Sie konnte sich, so wie ich, genauso wenig einen Reim aus den Geschehnissen des Tages machen.
Aber sie vermutete, dass hinter dem Ganzen eine große Macht steckte. Aber wer? Wer hatte einen Vorteil davon, die Welt in ein Chaos zu stürzen? Darauf wusste natürlich weder sie noch ich eine Antwort.
War es eine starke Terrororganisation, die versuchte, ein heilloses Durcheinander zu verursachen. War es doch ein Virus, der freigesetzt, den menschlichen Organismus angriff? Aber warum funktionierten die technischen Sachen nur bedingt. Ach man, das ergab doch alles keinen Sinn!
Ich seufzte. Anja sah mich so traurig an, dass ich impulsiv meinen Arm um sie legte.
Sie lehnte ihren Kopf an meine Brust. Mein Herz klopfte vor Aufregung. Es war schon eine Weile her, dass sich ein Mädchen an mich gedrückt hatte. Ich atmete ihren berauschenden Duft ein. Meine Hand lag auf ihrer glatten und samtweichen Haut. Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihr hübsches, leicht gebräuntes Gesicht, dass von ihren dunklen Haaren umspielt wurde. Sie wirkte so zerbrechlich, sodass sich in mir mein Beschützerinstinkt ausbreitete und ich das Bedürfnis hatte, sie vor allen Gefahren zu bewahren. So saßen wir still in trauter Umarmung. Ich traute mich nicht, mich zu rühren, um die romantische Stimmung nicht zu zerstören.
Doch irgendwann stieg in mir die Müdigkeit hoch und nahm gewaltsam von meinem Körper Besitz. Ich unterdrückte ein Gähnen, worauf Anja mich süß anlächelte und meinte, auch sie sei müde.
Der Tag war letztendlich für uns beide sehr aufregend und anstrengend gewesen. Nun forderte die Natur ihr Recht. So entschloss ich mich schweren Herzens in meine Wohnung zurückzukehren. Allerdings nicht ohne mich mit ihr am nächsten Abend zu verabreden. Sie strahlte mich glücklich an.
Erschöpft ließ ich mich einige Zeit später ins Bett fallen. Trotz des wirklich üblen Tages war mir leicht ums Herz. Die an und für sich schreckliche Erscheinung der Taubheit hatte Anja und mich näher gebracht. Wenigstens etwas Positives, was ich an diesem Tag verzeichnen konnte.
Flüchtig dachte ich an meine Wohnung, an der ich eigentlich noch Hand anlegen müßte, denn das Chaos war nicht mal mehr als geordnet zu bezeichnen, ganz zu schweigen von den Wollmäusen, die sich in den Ecken sehr wohl fühlten, aber das musste definitiv warten.
Ich brauchte jetzt unbedingt meinen Schönheitsschlaf.
Plötzlich hörte ich Vogelgezwitscher. Ich öffnete meine Augen und blinzelte, weil die Sonne mir direkt in die Augen schien.
Verwirrt schaute ich mich um. Ich befand mich auf einer grünen Wiese. Der warme Rasen schmiegte sich weich an meinen Füßen. Bei näherer Betrachtung erkannte ich den Stadtpark. In der Nähe befand sich ein Spielplatz, auf dem fröhlich lachende Kinder spielten.
Ich hörte sie lachen! Glücklich stellte ich fest, dass alle Geräusche wieder da waren.
Vergnügt machte ich mich auf dem Weg, um festzustellen, ob wirklich alles wieder so war, wie immer, als mir plötzlich ein Mann den Weg versperrte.
Erstaunt schaute ich ihn an, doch er hob sofort drohend ein Gewehr und machte Anstalten, auf mich zu schießen!
Was war das denn?
Woher kam er so unerwartet?
Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte so schnell ich konnte fort.
Ich hörte, wie die Kugeln neben mir einschlugen. Ich musste unbedingt die nächste Baumreihe erreichen, um Schutz vor den Kugeln zu finden.
Doch so sehr ich mich auch bemühte, ich kam nicht von der Stelle und die Bäume schauten mich traurig aus der Ferne an.
Panik stieg in mir auf. Ich hörte ihn wutentbrannt schreien, allerdings verstand ich seine Worte nicht.
Schweiß brach mir aus.
Angsterfüllt blickte ich mich um und bemerkte, dass alles um mich herum dunkel und grau geworden war und die Schüsse immer leiser wurden und zum Schluss ganz verstummten.
Plötzlich war ich umgeben von einer undurchdringlichen Dunkelheit und Stille.
Mit weit aufgerissenen Augen tastete ich mich vorwärts.
Der Boden unter meinen nackten Füssen fühlte sich glatt und kalt an.
Mit den Händen berührte ich Holz. Ich tastete mich weiter, mich verzweifelt fragend, wo ich mich befand.
Dann eine Wand. Ich fühlte eine Tapete. Ich tastete mich vorsichtig an der Wand entlang. Irgendwann berührte ich einen Schalter, den ich betätigte. Licht ging an.
Ich schaute mich um und stellte fest, dass ich mich in meinem Schlafzimmer befand.
Offensichtlich hatte ich schlecht geträumt und zu allem Überfluss schlafgewandelt. Das war mir ja lange nicht mehr passiert! Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
Es war alles so real gewesen.
So furchtbar real.
Ich setzte mich auf mein Bett und dachte nach. Ich konnte mich an jede Einzelheit erinnern.
Aber wahrscheinlich war die Aufregung des vergangenen Tages doch zu groß gewesen, sodass mein Geist im Traum das Erlebte verarbeitet hatte.
Ich stand wieder auf und ging in die Küche, um mir etwas Wasser zum Trinken zu holen.
Mit dem Glas in der Hand wanderte ich ins Wohnzimmer und öffnete die Balkontür und
trat in die laue Mailuft hinaus.
Hell funkelten die Sterne wie kleine Fackeln am Himmel. Der Vollmond warf mit aller Kraft sein Licht auf die Erde. Mein Blick schweifte über die dunkle Straße.
Das Licht der Straßenlaternen flackerte unruhig und erlöschte kurz darauf gänzlich.
Verwundert runzelte ich die Stirn. Offenbar wollte die Stadt neuerdings nachts Strom sparen und schaltete die Straßenbeleuchtung aus. Ich schüttelte den Kopf und dachte:
„Wozu zahlen wir eigentlich soviel Steuern, wenn wir nachts unterwegs sind und uns im dunkeln nach Hause tasten müssen?“
Ich leerte mein Glas und ging wieder ins Schlafzimmer, um weiterzuschlafen.
Das war jedoch nicht so einfach, da der Alptraum meinen Adrenalinspiegel dermaßen aufgeputscht hatte, dass ich nun hellwach war.
Ich dachte über meinen Traum nach.
Die grüne Wiese, die lachenden und spielenden Kinder und dann der Mann mit dem Gewehr. Erst Harmonie und dann das totale Grauen. Wie passte das zusammen?
Ich schüttelte den Kopf, Gar nicht! Es war einfach nur ein blöder Traum. Ärgerlich drehte ich mich auf die andere Seite in der Hoffnung, endlich einzuschlafen.
Natürlich klappte es nicht.
Ich war einfach wach!
Seufzend stand ich wieder auf und holte mir ein Buch. Bei Einschlafproblemen half mir das Lesen immer.
Gerade hatte ich es mir im Bett wieder gemütlich gemacht und wollte anfangen zu lesen, als auch mein Licht flackerte und ausging.
Ich stöhnte innerlich. Heute schien alles gegen mich verschworen zu sein.
Ich krabbelte wieder aus meinem Bett, tastete mich an der Wand entlang zum Fenster und zog die Rollladen hoch.
Der Mond warf großzügigerweise sein Licht in mein Zimmer und erhellte es etwas. Natürlich reichte es nicht aus, um zu lesen.
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