Shoel wird durch lautes Stimmengewirr geweckt. Wenn er es richtig deutet, streiten die Geschwister von Janine darüber, wer sie abholen darf. Natürlich wollen alle dabei sein, wenn die Schwester das Hospital verlassen darf. Dann aber spricht die Chefin ein Machtwort. Die ältere Schwester von Janine und Shoel werden mitfahren.
Shoel sieht auf seine Uhr und muss feststellen, dass er reichlich verschlafen hat.
Er öffnet die große Schiebetüre und begrüßt den Tag, in dem er sich kräftig streckt und einige Dehnübungen macht. Dann sieht er, dass man extra für ihn die Dusche der Gartenlaube angeschlossen hat. Shoel greift sich ein Handtuch und stellt sich mit seiner Badehose unter die Dusche. Der Schwager beobachtet sein Treiben und beginnt laut zu lachen. „Die Badehose kannst du ruhig vergessen, jeder kennt hier einen nackten Mann“, ruft er Shoel zu.
Es ist ihm fast ein bisschen peinlich, dass er beobachtet wurde wie er gerade unter der Dusche steht.
Aber dann ist er auch schon fertig und genießt den frischen Wind auf seiner Haut. Es ist angenehm kühl und erfrischend. Noch mit dem Handtuch ein bisschen nachgetrocknet, die leichte Sommerhose übergezogen, ein T-Shirt, das war es. So ist er bestens angezogen, zumindest findet er das.
Shoel geht hinüber zum großen Tisch. Hier findet er noch Reste vom Baguette und ein reichhaltiges Angebot von Marmeladen, die alle selbstgemacht sind. Denn ein Etikett tragen sie nicht. Der Kaffee ist so stark, dass er selbst einen Todgeweihten erwecken würde. Shoel muss nach dem ersten Schluck erstmal tief Luft holen.
Die Mutter ruft ihm zu, dass sie in wenigen Minuten aufbrechen wird um Janine abzuholen. So sucht er nach seiner leichten Sommerjacke und geht hinüber zum Wagen. Die ältere Schwester Janines betrachtet Shoel und meint: „Gut schaust du aus, schade das du schon vergeben bist.“
Shoel überhört ganz bewusst diese Bemerkung. Schließlich will er die Sache nicht noch mehr komplizieren.
Es würde gerade noch fehlen, dass sich die Schwester auch noch Hoffnungen macht. Ganz nebenbei betrachtet denkt Shoel darüber nach, dass sie ja noch viel dringender einen Mann sucht. Schließlich ist sie schon fünfundzwanzig. Zwei Jahre älter als Janine und nach der Meinung der Mutter bereits längst überfällig. Aber die Schwester ist eine Aufsässige. So erfährt Shoel, das sie schon drei Heiratskandidaten verkrault hat in dem sie einfach der Meinung war, das sie und nicht ihr später angetrauter Ehemann das zukünftige Sagen hat.
Shoel nimmt im Wagen auf der Rückbank Platz. So kann er die beiden Damen gut beobachten. Mutter und Tochter sind sich sehr ähnlich. Es sind nicht nur die krausen Haare, der kantige Kopf, es ist auch die Art zu reden. Ein herrischer Ton, ruckartige Handbewegungen, die Damen lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sie den Clan fest im Griff haben. Sie sind soeben damit beschäftigt, die Arbeit, die eigentlich von Janine erledigt wird, auf die restliche Familie zu verteilen. Vor allem scheint es um die Arbeit mit den Wildpferden zu gehen.
Sie müssen täglich im Training sein und benötigen auch viel Zuwendung. Da ist ein Tag schnell herum. Das Futter besorgen und verteilen, alleine eine Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist. Shoel stellt sich bildlich Janine bei der Arbeit vor. Wie kann diese zierliche Frau das alleine bewältigen.
Inzwischen sind wir vor dem Krankenhaus angekommen und es geht nur noch darum einen geeigneten Parkplatz zu finden. Es stehen zwar über fünfzig Parkplätze
zur Verfügung, aber die Chefin meint, dass sie schon einen ganz besonderen Platz für Janine braucht. So stellen wir dann in der dritten Reihe das Fahrzeug ab, also wenige Meter vom Haupteingang.
Shoel zwängt sich durch die schmalen Hintertüren des Fahrzeugs und steht nun direkt neben der Schwester Janines. Sie dreht ihren Kopf zu Shoel, dabei wirft sie ihm einen Blick zu, dass Shoel ganz seltsam wird. Ihre Augen sind umwerfend, ganz exakt, wie bei Janine, schwarz wie die Nacht. Sie sagt mit kurzen Worten: „Los gehen wir!“
Während die Mutter an die Rezeption geht und die Papiere ausfüllt, geht Shoel mit Janines Schwester zum Lift. Gesprochen wird nichts, anscheinend sind beide mit ihren Gedanken gerade an einem anderen Ort.
Die Zimmertüre zu Janines Krankenzimmer steht bereits offen. Eine braune Tasche steht auf dem Krankenbett und ein Rollstuhl wird gerade herbei gerollt. „Wo ist Janine, wo bist Du“, fragt Shoel.
„Hier bin ich, bin gleich fertig!“, kommt es aus dem Badezimmer.
Shoel ist erstaunt, als Janine vor ihm steht. Die Schürfwunden sind fast gänzlich abgeheilt.
An der rechten Hand hat sie nur noch einen leichten Verband, der linke Arm hingegen ist immer noch in einer Schiene ruhig gestellt. Das linke Bein ist nach wie vor in Gips. Aber wenigstens ist das Rechte bereits voll einsatzfähig.
Janine setzt sich in den Rollstuhl und macht auch gleich einen Witz, in dem sie nach den PS fragt. „Wo wird getankt und bekommt er Super?“
Ihre Schwester meint trocken, „Hier steht dein Antrieb, Shoel wird dich schieben.“
Dann aber betritt die Mutter den Raum. „Alles fertig? Dann gehen wir mal.“
Die Mutter schnappt sich die Reisetasche, Shoel greift zum Rollstuhl und die Schwester hält die Türe auf.
Das Prozedere des Einsteigens in den kleinen Wagen gestaltet sich fast Filmreif.
Nicht dass es Janine mit ihrem Gipsbein wäre, nein es ist die Schwester, der es nicht gelingen will sich auf die Rückbank zu platzieren.
Shoel nimmt den Platz hinter Janine. Die Mutter muss ihren Sitz fast bis zum Lenkrad schieben, damit Janines Schwester einsteigen kann. Anschließend rammt sie ihrer Mutter ihre Knie in den Rücken.
„Wir hätten halt doch Papas Auto nehmen sollen.“ Meint verärgert die Mutter.
Janine fragt auch gleich nach den Pferden und wer sich in den nächsten Wochen darum kümmern wird. „Überlass das uns! Du sollst nur bald gesund werden. Aber du kannst ja in der Töpferei arbeiten und die kaputten Haferl wieder herstellen, da das Geschäft auf die Ware wartet.“ Meint ihre Schwester etwas bissig.
„Klar, das mach ich doch, im Sitzen kann ich doch tatsächlich arbeiten.“
Shoel beobachtet die drei und enthält sich eines Kommentars. Eigentlich wollte er seine Arbeitskraft anbieten, aber dann kommt ihm die Idee, ob es wirklich klug ist, hier noch länger zu verweilen. Er wird die nächsten Stunden abwarten und dann endgültig eine Entscheidung fällen.
Am Tor steht schon der Vater und begrüßt seine Tochter. Shoel fällt auf, dass er dies besonders herzlich macht. Anscheinend ist es seine Lieblingstochter. Als der Wagen zum stehen kommt, reißt er den Wagenschlag auf und hebt seine Tochter aus dem Wagen. Ein bereitstehender Schaukelstuhl dient für sie als vorübergehende Ablage. Janine macht es sich bequem und meint: „Endlich wieder daheim!“
Shoel richtet den Rollstuhl und stellt ihn neben Janine. Ohne abzuwarten bittet Janine Shoel sie in den Rollstuhl zu setzen. „Und jetzt will ich dein Wohnmobil sehen, ich will doch wissen wie und wo du haust.“
Der Weg ist holprig und es geht nur langsam voran. Dann aber steht Janine mit Shoel vor dem Wohnmobil.
Shoel schiebt die breite Türe zur Seite und so bekommt Janine einen Eindruck von diesem besonderen Fahrzeug. Jetzt erkennt sie auch den Steg in die angrenzende Laube. „Ach, sieh mal einer an, du hast dich ja schon ziemlich häuslich eingerichtet.“
„Das war dein Bruder!“ verteidigt sich Shoel. „Deine Mutter hat sogar eine Kerze hinzugegeben.“
Janine möchte nun gerne den Wagen von innen sehen, so hebt Shoel sie aus dem Rollstuhl und hievt sie über die Stufe in das Gefährt. Janine bekommt den bequemen Sessel, der neben dem Fahrersitz ist. Er lässt sich schwenken und drehen. „Ziemlich gemütlich bei dir“, meint sie aufgeregt.
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