»Eochaid«, antwortete Arthur leise, als würde er mit sich selbst und nicht mit seinem Untergebenen sprechen.
»Ein schöner Name, Sir. Das sagenumwobene weiße Pferd des Krieges, auf dem Morrigan in die Schlacht reitet.«
»Sie kennen die Geschichte?« Der Oberst war ein wenig verwundert, dass ein junger Mann, der in der schottischen Grafschaft Berwick zur Welt gekommen war, über eine uralte Sage seiner grünen Insel Bescheid wusste.
»Auch wir Männer aus den Lowlands haben noch ein bisschen keltisches Blut in den Adern, Sir«, erwiderte West grinsend.
»Geben Sie mir zehn Minuten Zeit, meine Herren! Dann können wir uns auf den Weg zum 74. Regiment machen.« Arthur verließ die Offiziere eilig und begab sich ins Haus. Vingetty, der indische Diener, war inzwischen unruhig geworden. Die neue Uniform und ein frisch gebügeltes und gestärktes Leinenhemd lagen auf dem Bett des Obersten.
Gerade noch pünktlich erschienen die Offiziere des 33. Regiments und ihr Kommandeur im Haus von Connor McLeod. Die heiße Vormonsunzeit war auch die Zeit der Festlichkeiten, Hausbälle und Empfänge in der kleinen britischen Kolonie von Kalkutta.
McLeod hatte keine Kosten und Mühen gescheut und die Feier besonders prächtig ausrichten lassen – nicht nur, weil man die Geburt seines sehnlich erwarteten Sohnes feierte, sondern auch, weil die Iren an diesem Tag ihrem Schutzpatron St. Patrick die Aufwartung machten. Die meisten Männer in der Kolonie waren irischer oder schottischer Herkunft, und Oberst McLeod hatte eben diesen Abend für die denkwürdige Feier ausgewählt, um auch seinen Kameraden von der grünen Insel eine Freude zu bereiten.
Das Haus, das der Kommandeur des 74. Hochlandregiments mit seiner Frau und einer ganzen Schar von Bediensteten bewohnte, lag in Chinsurah, ein Stück außerhalb der Stadt. Es war eher ein kleines Schloss als ein Haus: Aus schweren Lehmziegeln erbaut, zierten barock anmutende Stukkaturen und blumenumrankte Veranden auf dorischen Pfeilern die Fassade. Der große, parkähnliche Garten stand in voller Blüte, und der schwere Duft von Jasmin und Rosen erfüllte die Luft dieser warmen Sommernacht. Entlang der Auffahrt zu Connor McLeods kleinem »Chateau« brannten Laternen, und das Gebäude selbst war von tausend Kerzen hell erleuchtet. Aus dem Inneren drangen Musik und Lachen zu den Offizieren des 33. Regiments in den Abend hinaus.
»Meine Herren, ich möchte Sie alle bitten, sich ordentlich zu benehmen und dem Regiment keine Schande zu machen«, flüsterte Arthur seinen Männern leise zu. Sein Blick war dabei auf Major John Shee gerichtet. Dann wandte er sich einem livrierten Majordomus zu und bat ihn, das 33. Regiment bei Oberst McLeod zu melden. Der schottische Offizier stammte aus einer einflussreichen und sehr wohlhabenden alten Familie, die traditionsgemäß seit den Tagen des großen Clive ihre Söhne zum Dienst nach Indien schickte. Die große Villa gehörte den McLeods bereits seit einem knappen Jahrhundert.
Immer wieder entsandte das 74. Regiment Rekrutierungsoffiziere in die Heimat, die in den schottischen Bergen nach stämmigen Burschen Ausschau hielten, die einem abenteuerlichen Leben am anderen Ende der Welt nicht abgeneigt waren. Diese Männer waren die einzigen in ganz Indien, die anstelle der üblichen Tuchhosen der britischen Infanterie den Kilt trugen. Wesley hatte Oberst Connor McLeod erst vor wenigen Tagen bei einer Gesellschaft im Hause des Residenten der Ostindischen Kompanie, William Hickey, persönlich kennengelernt, doch das Kastenwesen der britischen Armee war genauso tief verwurzelt wie das der Inder: Die Offiziere betrachteten sich allesamt als Angehörige einer großen Familie. Ein Mann, der den roten Rock und die Schulterstücke eines Offiziers trug, war ein Bruder, egal ob und wie lange man ihn schon kannte – ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das durch die beschränkte Anzahl von Briten auf dem indischen Subkontinent noch verstärkt wurde.
Wesley umarmte seinen Kameraden vom 74. Hochlandregiment herzlich und gratulierte ihm zur Geburt seines Sohnes. Dann verbeugte er sich tief vor Lady McLeod. Schließlich stellte er den Gastgebern seine Offiziere vor. Nachdem John Sherbrooke der Dame des Hauses seine Reverenz erwiesen hatte, bewunderten alle gebührend das Kind, das in den Armen seiner schottischen Amme lag und trotz des Lärm im ganzen Haus fest schlief.
McLeod war ein Bär von einem Mann. Er überragte Arthur um einen ganzen Kopf. Seine Schultern waren breit wie ein Kleiderschrank und seine Stimme so laut und so tief, dass selbst ein freundliches Wort des Hochländers wie ein Befehl klang. »Lizzy, da jetzt auch das 33. Regiment den kleinen Prinzen gesehen hat, können Sie ihn ins Bett bringen«, brummte er die Kinderfrau gutmütig an. Dann packte seine linke Pranke den zarten Arm seiner hübschen jungen Frau, während die rechte den Kommandeur des 33. Regiments zu einem langen Tisch in einem völlig überfüllten Speisezimmer zerrte. Arthur erkannte Generalmajor John St. Leger, William Hickey und Sir John Shore. Die meisten der anderen Gäste waren ihm unbekannt. Connor McLeod stellte die Gentlemen einander vor. Dann endlich konnte das Dinner beginnen.
Es war eine laute, fröhliche, ja übermütige Ansammlung von Menschen, die sich an diesem Abend in Chinsurah eingefunden hatte, und der besondere Anlass würde gebührend gefeiert. Ein Toast nach dem anderen wurde auf den Erben der McLeods getrunken; der Champagner floss in Strömen. Jeder wollte dem kleinen Prinzen eine glückliche Zukunft wünschen. Die Bediensteten kamen kaum damit nach, immer wieder die großen Kristallgläser zu füllen, die sich unter Hochrufen, Hurras und lautem Lachen leerten. Obwohl Arthur der Unart britischer Offiziersmessen, bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken, abgeschworen hatte, hielt er bis zum 22. Toast mit seinen Offizieren des 33. Regiments mit. Erst als Connor McLeod laut nach dem Madeira rief und damit den umtriebigen Teil des
Abends mit Musik und Tanz einleitete, beschloss der Ire, es gut sein zu lassen.
»Sie werden Schottland doch nicht beleidigen, Wesley«, knurrte ein riesiger Bursche mit feuerrotem Gesicht und ebensolchem Haar ihm über den Tisch hinweg zu.
»Mit wem habe ich die Ehre?« lenkte Arthur von dieser unerwünschten Bemerkung ab, während er sein halb volles Champagnerglas nahm und sich erhob, um aus dem Speisesaal in einen angrenzenden Ballsaal umzuziehen.
»Baird!« knurrte der Hüne unfreundlich und mit alkoholschwerer Zunge. »Sir John Baird!«
Arthur verbeugte sich leicht. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir John. Ich habe viel von Ihnen gehört.«
Er freute sich nicht im Geringsten, die Aufmerksamkeit des Riesen mit dem roten Gesicht und den roten Haaren erregt zu haben. Sir John Baird war Generalmajor und zwölf Jahre älter als Arthur. Er hatte einen Ruf, der selbst in die abgelegensten Baracken von Dublin gedrungen war, und besaß den Charakter eines hungrigen, bösartigen Tigers. Baird war schon seit ewigen Zeiten in Indien, obwohl er die Inder und das Land hasste. Jeden Versuch einer Versetzung nach Europa durch die Horse Guards wusste Sir John – dank seiner einflussreichen familiären Verbindungen – geschickt zu verhindern. Seine gesamte Existenz schien sich nur um ein einziges Wort zu drehen: »Rache!«
Im Jahre 1780 war Baird auf dem blutigen Schlachtfeld von Perambaukum von Hyder Ali, dem Herrscher von Mysore, gefangengenommen worden und hatte dreieinhalb Jahre in Ketten in einem finsteren, verseuchten Verlies unter dem Sultanspalast von Seringapatam geschmachtet, bis ihm die Flucht aus dieser Hölle gelang. Seit diesen schrecklichen Tagen seiner endlosen Gefangenschaft in den Händen eines grausamen, skrupellosen Tyrannen lebte er nur noch dafür, einen Schlag gegen seinen Todfeind zu führen. Baird gierte danach, in den Krieg zu ziehen. Es ging dabei nicht um Englands Ruhm oder militärische Notwendigkeit, sondern nur darum, für jeden einzelnen Tag seines Leidens und seiner Verzweiflung in einem finsteren Verlies mindestens hundert Inder zur Hölle zu schicken. Wenn Baird nicht über seinen Racheplänen brütete, war er beständig auf der Suche nach Streit. Dabei war es ihm gleich, mit wem er stritt und warum. Sich mit den eigenen Landsleuten in den Haaren zu liegen, lenkte wenigstens zeitweilig seinen unruhigen Geist und seine zerstörte Seele von diesem alles verschlingenden Gedanken der Rache an Hyder Ali und Mysore ab.
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