»Was hast du vor, mein Freund?« tönte es aus dem angenehm kühlen Salon auf die Veranda hinaus, als Wesley seine Papiere wegpackte. John Sherbrooke hatte sich die Zeit mit Faulenzen vertrieben, doch den lieben langen Tag von Jemima zu träumen, wurde ihm doch ein wenig langweilig. Alleine wagte er sich kaum in die belebten Straßen von Kalkutta; deshalb hoffte er, dass sein Kommandeur nicht dienstlich fort musste, sondern private Pläne verfolgte.
»Los, zieh dir deinen roten Rock über und vergiss Jemima, John! Vingetty hat mir genau erklärt, wie man zum Bhawanipur-Bazar kommt.«
»Du willst dir ein Pferd kaufen?«
»Wenn ich unentwegt zu Fuß gehe, schade ich dem Ruf des 33. Regiments. Die anderen werden noch denken, wir könnten uns nicht einmal mehr Beritt leisten.«
»Hast du schon was Bestimmtes im Auge?«
Wesley grinste wie ein Verschwörer. »Man hat mir einen Händler aus Kabul empfohlen, der die besten Tiere in ganz Indien anbietet.«
Die beiden jungen Offiziere verließen gemeinsam die Kaserne bei Fort William. Zuerst mussten sie eine große Parklandschaft durchqueren, die direkt an den Sitz des Generalgouverneurs und die Truppenunterkünfte der Briten anschloss. An einem kleinen See vorbei schlenderten die Offiziere in Richtung Pferdemarkt. Im Gegensatz zu den Bazaren der Kaufleute, die sich in der Nähe der Jain-Tempel am äußersten nördlichen Rand der Stadt befanden, boten die Pferdehändler ihre Vollblüter und Poloponys direkt am Rande des britischen Teils der Stadt an. Ihre Kundschaft rekrutierte sich fast ausschließlich aus den Offizieren, die in Bengalen stationiert waren. Es waren gute Kunden, die immer bereit waren, für gute Tiere Höchstpreise zu bezahlen.
Es war kaum möglich, den Pferdemarkt von Bhawanipur zu verfehlen. Schon von weitem hörten Wesley und Sherbrooke schrilles Wiehern und aufgeregtes Schnauben und Stampfen. Jeder Pferdehändler hatte seine eigene Philosophie: Der eine band seine Tiere an starken Seilen in einer langen Reihe an und führte den Kaufinteressenten an ihnen vorbei. Der andere ließ seine Herde frei in einem eingezäunten Bereich laufen und befahl seinen Knechten, das gewünschte Tier einzufangen und dann an einem Seil vortraben zu lassen. Wieder andere zogen es vor, alle Tiere gesattelt in einem Stallzelt zu belassen und dann gemäß dem Wunsch des Käufers selbst ein Tier auszuwählen und vorzuführen. Diesen Männern war nur eines gemein: Alle stammten aus dem Norden, aus den Bergregionen und aus Afghanistan, und alle beteten zu Allah. Fünfmal am Tag kam der Markt für fünf Minuten zu einem völligen Stillstand. Man hörte kein Rufen und Feilschen mehr, nur noch das Schnauben der Tiere und den einstimmigen Ruf »Allah u Akbar!« – »Allah ist groß!«
Arthur und Sherbrooke hatten Glück. Sie erreichten ihren Bestimmungsort nicht in einer dieser religiös bedingten Pausen, sondern in einem Augenblick größter Betriebsamkeit. Es war nicht schwer, Lutuf Ullah auszumachen. Er war der bei weitem wichtigste Händler des ganzen Bazars und nahm den gesamten Mittelteil der großen Marktfläche in Anspruch. Lutuf hatte fast einhundert Pferde von seiner letzten Reise nach Turkmenistan und Dagestan mitgebracht. Es waren wunderbare Tiere, groß und muskulös und dennoch elegant und rassig. Es waren Pferde für den Krieg, zäh, ausdauernd, genügsam und schnell wie Windhunde. Mit Poloponys wollte Lutuf sich nicht abgeben. Er betrachtete sie als Spielzeug, als schmückendes Beiwerk. Rasch hatte Arthur den hennagefärbten Bart und die breite Gestalt des Kabuli in einer Menschenansammlung ausgemacht. »Also die Beschreibung stimmt schon mal, John. Das da drüben ist unser Mann.« Sherbrooke betrachtete zuerst den Pferdehändler, dann die Tiere, die allesamt frei in einem mit Seilen abgezäunten Paddock herumliefen. »Wesley, du wirst dich ruinieren! Auf den ersten Blick ist keines dieser Prachtstücke weniger als 100 Pfund Sterling wert.«
Arthur zuckte mit den Schultern. »Ist doch egal, womit ich den Sold dreier Jahre durchbringe. Außerdem hab ich nicht vor, auf einem Polo-Pony in den Krieg zu ziehen.«
»Du hast dich schon in Dublin dauernd wegen dieser Viecher ruiniert. Lernst du denn nie dazu?« versuchte der Oberstleutnant seinen Kommandeur vor Schaden zu bewahren. Auch wenn Wesley sich kaum noch die Kartoffel in der Suppe hatte leisten können, hatte er immer nur gute, teure Pferde geritten. Während des Flandernfeldzugs hatte sich seine Theorie vom Unterschied zwischen gut und schlecht für einen Soldaten im Felde zwar mehr als einmal bewahrheitet – trotzdem konnte Sherbrooke sich angesichts der Tiere, die Lutuf Ullah anbot, ein verzweifeltes Kopfschütteln nicht verkneifen. Doch in diesem Augenblick war es für die brüderliche Sorge des jungen Offiziers bereits zu spät. Sein Kommandeur war zielstrebig zwischen den Seilen durchgeschlüpft und mitten in Lutuf Ullahs Herde verschwunden. Der bärtige Kabuli hatte den potentiellen Kunden aus dem Augenwinkel bemerkt. Er verabschiedete sich mit einem kurzen Kopfnicken von den Männern, mit denen er gesprochen hatte. Dann verschwand er ebenfalls inmitten seiner Tiere.
Arthur hatte sich bereits ein Tier ausgesucht. Prüfend hob er das Vorderbein des Pferdes und bog es kräftig nach oben. »Namaste – Ich grüße dich, Lutuf Ullah«, zischte er dem Mann aus Kabul leise in seinem noch ungelenken Hindustani zu. Dann fuhr er genauso leise auf Englisch fort: » Es wäre besser, wenn wir uns hier, inmitten englischer Soldaten, nicht kennen würden.«
»Schämst du dich etwa meiner Bekanntschaft, Wesley-Sahib?« brummte Lutuf ungehalten.
»Sei nicht gleich so aufbrausend, mein Freund. Ich werde dich morgen Abend im Kaschmir-Serai besuchen, denn ich habe dir einen interessanten Vorschlag zu machen, bei dem du das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden kannst und viele Pferde an die britischen Offiziere verkaufen wirst.« Arthur zog das Hinterbein des Goldfuchses kräftig nach außen. Der Kabuli brummte jetzt nicht mehr ungehalten, sondern amüsiert. »Entweder ist Wesley-Sahib ein bestechlicher britischer Offizier, der einem kleinen >dustoorie< nicht abgeneigt ist, oder der größte Halunke, den der gute König Georg je in dieses Land geschickt hat.«
»Weder das eine noch das andere«, flüsterte Arthur leise. Dann wandte er sich um und verkündete laut und vernehmlich: »Kann ich das Tier ausprobieren?«
Der Kabuli packte den Goldfuchs am Halfter und führte ihn aus der Herde hinaus an die Abzäunung. In der Sprache seiner Heimat rief er nach einem Bediensteten: »Kabir, du fauler Herumtreiber! Sattle den Fuchs für den Oberst-Sahib!« Dann drehte er sich zu Arthur um und schaute ihm amüsiert in die Augen. »Du hast die Sprache der Diplomatie bereits gelernt, Wesley-Sahib aus Dublin.«
Arthur erwiderte seinen Blick genauso amüsiert und fuhr geschäftsmäßig fort: »Was verlangst du für den Hengst?«
»Du bist ein Halunke, Wesley-Sahib. Du hast dir das beste Pferd von allen ausgesucht. Eigentlich wollte ich den Goldfuchs selbst behalten«, flüsterte der Kabuli, dann fuhr er mit lauter Stimme fort: »Es ist ein wildes, junges Tier – kaum zugeritten. Versucht lieber den großen Schwarzen dort.« Arthur folgte ihm zu einem grobschlächtigen, schwerknochigen Tier mit Senkrücken. »Nur fünfzig Pfund Sterling für diesen edlen Vollblüter. Ich garantiere Euch, dass seine Abstammung bis auf die Pferde des Propheten zurückreicht.«
Der Oberst umkreiste die vierbeinige Katastrophe mit Kennerblick. »Kastriert ist er auch noch! Gütiger Himmel, Lutuf, nur weil ich zu Fuß bei dir aufgetaucht bin, heißt das noch lange nicht, dass ich ein Kutschpferd brauche.« Eine zweite Umrundung des Tieres folgte. »Sieht ganz ordentlich aus, dieser Schwarze. Ich schicke dir den Quartiermeister meines Regiments vorbei. Er braucht ein kräftiges Tier, um den Proviantwagen vom Markt zu ziehen. Ich biete dir zwei Pfund.«
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