»Willst du mich berauben, Oberst-Sahib?« rief Lutuf empört. »Juliallee! – Schrecklich!« fügte er ungehalten auf Hindustani hinzu. Alle britischen Offiziere, die auf dem Bhawanipur-Bazar versammelt waren, drehten die Köpfe in Richtung der vermeintlichen Streithähne. Kabir, der faule Bedienstete, hatte den Goldfuchs inzwischen gesattelt.
»Willst du mich betrügen, Mann aus den Bergen?« fauchte nun Wesley genauso laut. Seine Augen funkelten vergnügt.
»Wie du willst, Sahib!« Der Kabuli hob beschwichtigend die Hände. »Probiere den Fuchs! Ich habe dich gewarnt. Er wird dir das Genick brechen. Er ist nicht >jumalee< – wohlerzogen.«
Der britische Offizier machte ein ungehaltenes Gesicht. »Das werden wir sehen.«
Kabir brachte das Tier und hielt es fest, damit Arthur in den Sattel steigen konnte. John Sherbrooke hatte, wie alle anderen auch, die kleine Streiterei neugierig verfolgt. Nun verfolgte er interessiert eine unablässige Folge gefährlich aussehender Luftsprünge und Seitenhiebe. »Du schaffst es immer, den einzigen Teufel in einer ganzen Horde Engel auszumachen, mein Freund«, dachte er amüsiert. »Wenn die Viecher sich nicht aufführen, als würden sie von einem Schwarm Bienen gestochen, sind sie nichts für dich.«
Der Goldfuchs beruhigte sich allmählich und wölbte den Hals. Nur der heftig schlagende Schweif zeigte, wie unbehaglich das junge Tier sich noch unter dem Sattel fühlte. Leise und freundlich sprach Arthur auf das Pferd ein. Zehn Minuten später trabte es friedfertig im Kreis, wechselte willig von der einen auf die andere Hand und gestattete seinem Reiter, die Knie zu schließen, ohne mit einem Sprung in die Luft zu reagieren. Der Oberst schnalzte leicht mit der Zunge und gab sachte mit der Hand nach, während er den linken Schenkel gegen den Bauch des Goldfuchses drückte. Der Galopp war noch sehr schwankend und schlecht ausbalanciert. Es würde einige Mühe kosten, aus diesem wunderschönen Rohdiamanten ein Kriegspferd zu schleifen, auf das man sich auch in schwierigen Situationen verlassen konnte. Trotzdem beschloss Arthur, den Versuch zu wagen.
»Was kostet der Hengst?« erkundigte er sich bei Lutuf Ullah, nachdem er das Tier mit einiger Anstrengung zum Stehen gebracht hatte. »Gib mir sechzig Pfund Sterling, Sahib, und er gehört dir.« In den Augen des Kabuli blitzte der Schalk.
»Er ist das Fünffache wert«, flüsterte Arthur.
»Chabuk sawai – du bist ein kluger Kopf. Das Zehnfache, Wesley. Du hast seinen Stammbaum noch nicht gesehen. Aber wenn ich ihn schon nicht behalten kann, dann soll ein guter Reiter dieses Tier besitzen, nicht einer von diesen Verrückten im roten Rock, die ihn umbringen werden, weil sie dauernd mit langen Stöcken nach kleinen Bällen schlagen wollen.«
»Du magst Polo nicht, Lutuf?«
»Ein unsinniges Spiel. Man reitet die Pferde zuschanden. Und wofür?«
»Dieser hier wird nie auf einem grünen Rasen hinter einer Holzkugel her hetzen. Du hast mein Wort, Lutuf!« Arthur stieg vom Rücken des jungen Tieres und tätschelte ihm den Hals. »Ich bin mit dem Preis einverstanden. Lasse den Hengst heute Abend zu den Baracken des 33. Regiments bringen. Man wird dir dort dein Geld aushändigen.« »Shabash, shabash! Nimm das Tier mit, Oberst-Sahib! Als Zeichen meines guten Willens. Ich wollte dich vorhin mit dem Schwarzen nicht betrügen ... Heute Abend schicke ich dann meinen Bediensteten mit dem Stammbaum des Hengstes. Man soll ihm das Geld übergeben.«
»Einverstanden!« Arthur schlug in die dargebotene Rechte des Kabuli. Der Pferdehandel war besiegelt. Zufrieden betrachtete er seinen Goldfuchs, während Kabir dem jungen Tier Sattel und Zaumzeug abnahm und ihm ein Halfter mit einem Führstrick überstreifte. Ohne ein weiteres Wort an Lutuf Ullah zu richten, verließ Arthur den Zentralplatz des Pferdemarktes. Er ging mit seiner Neuerwerbung zu John Sherbrooke, der, an einen schattenspendenden Baum gelehnt, ein Stück abseits vom großen Trubel auf seinen Freund und Kommandeur wartete. Interessiert und bewundernd glitten die Augen des Oberstleutnants über den Hengst. »Der Bärtige hat dich nicht betrogen, Arthur. Wieviel hat er dir für dieses Prachtexemplar abgeknöpft?«
»Fast ein Geschenk. Er wollte nur sechzig Pfund, weil das Pferdchen sich ein bisschen unruhig verhält.«
»Ich hab einen Moment lang geglaubt, das Pferdchen würde dir das Genick brechen ...«
Mit strahlenden Augen tätschelte Wesley dem Fuchs den Hals. »Das Pferd, das mir das Genick bricht, ist noch nicht geboren, mein Freund.
Du brauchst nur Geduld und Ruhe und darfst nie grob zu ihnen sein ... Wenn du sie liebst, lieben sie dich auch und lassen dich nie im Stich. Hast du kein Tier gefunden, das dein Herz höher schlagen lässt?«
»Ehrlich gesagt, Arthur, ziehe ich es vor, den Schimmel zu kaufen, den St. Leger mir gestern gezeigt hat. Zumindest benimmt er sich, wie es sich für ein ordentliches britisches Pferd geziemt.«
Der Oberstleutnant war nicht besonders abenteuerlustig. Zu Hause in England warteten ein großes Erbe und ein Sitz im Oberhaus auf ihn. Er wollte sich in Indien, diesem schrecklichen Land, nicht auch noch den Hals brechen, wo er schon riskierte, an irgendeiner unbekannten, grauenvollen tropischen Krankheit zu sterben oder von den Spaniern totgeschossen zu werden. Er hatte seinen Vater gebeten, ihm ein Offizierspatent zu kaufen, weil er sich ein wenig gelangweilt hatte und eine schmucke Uniform die jungen Damen der Gesellschaft stets beeindruckte. Er hatte nicht vor, sein ganzes Leben als Soldat zu verbringen.
Während des gesamten Rückwegs durch den »maidan« redete Arthur munter auf das Pferd ein. John Sherbrooke fühlte sich von der angeregten Unterhaltung naturgemäß ausgeschlossen, doch er kannte seinen Kameraden schon so lange, dass er ihm verzieh. Wesley liebte Pferde über alles, und das Prachtexemplar, das er gerade auf dem Markt von Bhawanipur gekauft hatte, bedurfte mehr seiner Zusprache als der britische Oberstleutnant, der eine fremde Stadt mit fremden Geräuschen, fremden Gerüchen und neuen Eindrücken auch alleine verhältnismäßig zuversichtlich und furchtlos zu durchqueren vermochte. Das Füchschen tänzelte zwar und sprang auch ab und an erschrocken zur Seite, legte aber zutraulich die Ohren nach vorne und hörte seinem neuen Herrn aufmerksam zu.
John Sherbrooke konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Jedesmal wenn ich solche Dinge über meine Jemima sage, beschwert er sich, aber selbst ... Augapfel! Kleine Schönheit! Perle! Was muss der arme Gaul sich alles anhören!«
Während die Offiziere des 33. Infanterieregiments sich für die Abendgesellschaft bei ihren Kameraden vom 74. Hochlandregiment umkleideten und John Sherbrooke sich bei einem Glas kühler Limonade von seinem anstrengenden Nachmittag im Herzen Kalkuttas erholte, stand der Kommandeur des Regiments mit strahlenden Augen am Zaun der kleinen Koppel hinter den Stallungen und beobachtete seinen blutjungen Goldfuchs, der wie ein Fohlen durch die Gegend tobte und wilde Bocksprünge machte. Er dachte in diesem Augenblick weder an Sir John Shore und Spanisch-Manila noch an seine Idee vom geheimen Nachrichtendienst, der die Soldaten Englands mit wichtigen politischen und militärischen Informationen versorgen sollte, während sie im Felde standen. Auch die anstehende Feier der Geburt von Connor McLeods erstem Sohn schien er vergessen zu haben. Erst als all seine Offiziere abmarschbereit und in schmucken Uniformen hinter ihm standen, wandte er seinen Blick von dem Hengst ab.
»Er ist traumhaft schön, Sir«, flüsterte Major Francis West leise. Arthur nickte nur glücklich und atmete ein paarmal tief durch, um sich von den Ereignissen dieses denkwürdigen Nachmittags zu erholen. »Hat er schon einen Namen?« erkundigte sich West. Er war der zweite Pferdenarr des 33. Regiments und stand in nichts hinter seinem Kommandeur zurück, wenn es um Vierbeiner ging.
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