Ihr Moritz von und zu Blaustein
Wenn ich manchmal meine weibliche Zweibeinerin des Morgens oder des Abends vor ihrem gut überfüllten Kleiderschrank beobachte, umspielt ein wissendes Schmunzeln meine Lippen. So klar und deutlich wie sie sonst die Dinge behandelt, so unschlüssig erscheint sie bei der Menge, der nach einem mir unverständlichen System sortierten Ober- und Unterteile. Immer wieder in nicht freundlicher Art vor sich hinmurmelnd zieht sie einzelne Teile heraus, hält sie an die passenden Stellen, tritt zur Überprüfung der Wirkung vor Spiegel, verdreht sich dabei zur Betrachtung in eigenartige Posen, um dann das gewählte Objekt unter Abgabe von Zischlauten wieder in den Schrank zurück zu hängen. In diesem ersten Akt des Dramas vollziehen sich diese Vorgänge noch in gemäßigten Bewegungen. Im zweiten Akt werden die Bewegungen dann unkontrollierter, die Schnelligkeit steigert sich und die Zischlaute nehmen an Intensität zu. Im Finale fliegen dann die ehemals sorgsam gefalteten und aufgehängten Kleidungsstücke unter lautstarkem Protest auf das Bett, bilden einen weichen Berg auf dem ich mich gerne zum Ruhen niederlassen würde, es bei der angespannten Stimmung aber tunlichst vermeide. Oft endet dieses Schauspiel plötzlich und unerwartet schnell, die Zweibeinerin schnappt sich scheinbar wahllos Teile, die sie sich dann mit überraschender Geschwindigkeit überstreift, irgendwelches Beiwerk packt und unser gemeinsames Heim unter lauten Knall mehrerer Türen rasend schnell verlässt. In diesem Augenblick weiß ich dann ganz sicher, dass die Teile im Schrank eine Ergänzung erfahren werden. Wenn ich mich dann auf dem hinterlassenen Berg genüsslich zur Ruhe begebe, denk ich mir: Egal was sie anhat, ich mag sie immer.
Ihr Moritz von und zu Blaustein
Nach einigen tausend Jahren kann meine Gattung mit Stolz behaupten, dass es ihr gelungen ist, den Zweibeiner davon zu überzeugen, dass unsere Erhaltung von eminenter Bedeutung ist. Nach einer Phase im Mittelalter, die ein paar hundert Jahre dauerte und vom Aberglauben geprägt war, haben wir heute alle Refugien der Zweibeiner erobert. Wie der Zweibeiner nicht mehr jagt, um sich zu ernähren, müssen wir unsere Daseinsberechtigung nicht mehr an der Anzahl der gefangen Mäuse messen lassen. Beide haben die Jagd inzwischen zum Hobby erkoren. Es ist uns gelungen, von den Zweibeinern Besitz zu ergreifen, wir laufen über sie, wenn sie ruhen, wir schlafen mit und auf ihnen. Wenn wir unseren Hunger mitteilen, dann reichen sie uns die Speisen. Wir haben sie im Laufe der Zeit zu perfekten Dienern erzogen, und dies ohne dass sie es gemerkt haben. Wie sagte schon George Mikes: „Du kannst dir einen Hund halten; aber es ist die Katze, die sich Menschen hält, weil sie ihr nützliche Haustiere sind.“
Ihr Moritz von und zu Blaustein
Meiner Aufmerksamkeit ist es nicht entgangen, dass die Zweibeiner sich ständig auf der Flucht zu befinden scheinen. Sie hetzen dahin, rennen, stoßen hemmungslos den Kopf zwischen die Schultern gezogen, streben einem Stier gleich einem mir nicht ersichtlichen Ziel zu. Anfangs vermutete ich, dass es in der jeweiligen Nähe etwas umsonst gibt. In diesem Irrtum beging ich den fatalen Fehler, mich eines Tages diesem Strom anzuschließen. Eingebunden in dieser Masse gab es für mich kein Entrinnen, immer weiter in eine Richtung trieb mich der Strom und so landete ich an Ufern, die ich nie erreichen wollte. Ich konnte nicht entscheiden, handeln oder einen anderen Weg finden außer jenem den die Masse bestimmte. Dieses bedrückende Erlebnis lässt mich heute den Fluss lieber von außen beobachten, manchmal gehe ich am Rande mit, behalte mir aber die Freiheit auszusteigen oder einen anderen Weg zu nehmen. Dabei denke ich mir, wohl dem der nicht jeder Mode nachläuft, der manchmal sie verneint und sich dabei sich doch den Blick auf das Wesentliche bewahrt.
Ihr Moritz von und zu Blaustein
Im Frühling in den Reben ein zartes Grün sich regt, langsam sich ausbreitet, einem Teppich gleich über den Hang sich legt, immer der Sonne entgegenstrebend, mit jugendlichem. Elan sich windend, streckend, alles andere nicht beachtend und lockend mit Duft und Frische einen jeden einlädt zu entdecken. Im Sommer das Blattwerk in saftigem Grün, die Rispen blühen, doch schon durch des Winzers Messer gegeizt, dadurch manch Unnötiges abgestreift, erwacht, das Eigene entdeckt, zielstrebig in voller Pracht seinem Sinn entgegen strebend. Im Herbst dann voller ausgereifter Frucht mit verlockender Süße, es ist vollbracht. Doch schnell naht die Ernte, die Frucht verschwindet und nach einem letzen feurigen Farbenspiel der Blätter ist alles kahl. Und danach ein letztes Mal geschnitten, gestutzt auf die passende Größe bevor die Decke der Kälte die Ruhe bringt. So wie der Weinberg im immer wiederkehrenden Zyklus der Jahreszeiten sein Gesicht verändert, so verhält es sich mit dem Leben. Ein jeder mag seinen sonnigen Hang finden, indem seine Wurzeln den richtigen Halt haben und die Schnitte des Lebens nicht alle Triebe zerstören, damit es immer wieder zu einem neuen Erwachen kommt.
Ihr Moritz von und zu Blaustein
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