Der Mann erwartete eine Antwort, doch der Junge presste nur die Lippen fester aufeinander und schwieg. Leise seufzend nahm der Mann den Hammer in die linke Hand und hob stattdessen den rostigen Schraubenschlüssel in die Höhe, um ihn wieder ohne Vorwarnung nach unten sausen zu lassen. Er hörte das hässliche Splittern von Knochen, als das Metall das Jochbein des Jungen traf.
Das Gesicht zuckte zur Seite, um die verletzte Wange zu schützen, doch es kam nicht weit, da die Fesseln kaum eine Bewegung des Körpers zuließen, schon gar nicht eine ausweichende.
Der Mann sah auf die Displayanzeige seines Smartphones. Er wusste, wann er heute angefangen hatte. Niemals hätte er geglaubt, dass der kleine Bursche so lange durchhalten würde. Ob es ein Fehler gewesen war? Vielleicht hatten sie sich getäuscht?
Aber nein, es hatte schon alles seine Richtigkeit. Der Mann gab sich einen Ruck und wechselte erneut die Werkzeuge, um es noch einmal mit dem Hammer zu versuchen. Sobald der Schmerz abebbte, das wusste er, war die Angst vor neuen Schmerzen am höchsten. Und genau das musste er nutzen.
Er holte aus und zielte erneut auf die zerrissene Jeans. Dieses Mal zuckte der Junge heftig zusammen und bäumte sich in seinen Fesseln auf, auch wenn er weiterhin keinen Laut von sich gab. Doch seine schmale nackte Brust mit den hässlichen Brandmalen darauf hob und senkte sich stärker als zuvor, während sein Atem erneut eine Spur schneller wurde.
Der Mann grinste zufrieden. Er war auf dem richtigen Weg. Er hatte die Dosis richtig gewählt und würde sie langsam aber stetig steigern – solange, bis er die Grenze des Jungen gefunden hatte.
Testweise strich er langsam mit dem kühlen Hammerkopf über die nackte Haut des Jungen, ließ das Metall vom Brustbein hinunter zum Bauchnabel und am Saum der kaputt gerissenen Jeans entlang wandern, unter der es in den grauen Shorts heiß war und heftig bebte. Eine Schwelle war überschritten. Der Mann wiederholte seine Frage. Doch die Antwort war Schweigen.
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Steppenwolfan Polarwolf
Betreff: Partyplanung.
Im Frühling ist es soweit, die große Party soll steigen. Details folgen. Ideen für Gästeliste?
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Ludmilla Zettergren blickt auf, als die Türglocke klingelt. Die Lindholm-Kinder sind gerade gegangen – die beiden aschblonden Jungen die Taschen randvoll mit Süßigkeiten, während ihre große Schwester Britta die große braune Papiertüte mit den Einkäufen im Arm gehalten hat wie ein Kleinkind. Ob sie wohl noch etwas vergessen haben?
Doch es sind weder Birger noch der kleine Benka oder Britta, die ordentlich die Ladentür hinter sich geschlossen haben, sondern eine junge Frau mit blauen Augen und goldblonden Zöpfen unter einem modisch bunten Kopftuch, das wie ein kleines Dreieck ihren Scheitel bedeckt.
„ Hej Kiki“, sagt Ludmilla erstaunt. „Schon zurück?“
„Der Verleger konnte sich nicht entscheiden“, seufzt die Goldblonde und zieht einen Einkaufszettel aus der Tasche ihrer schwarzen Lederjacke. „‚Tut uns wirklich leid, Fräulein Sundström‘, hat er gesagt, ‚aber für diesen Monat wird das nichts mit Solmans Fünfhundertseitenwerk.‘ Sie wollen wohl erst noch ein paar Einkünfte über den Autoren einziehen, bevor sie sich entschließen, den Roman ins Schwedische übersetzen zu lassen. Ich frage mich nur, warum er mir das nicht am Telefon sagen konnte?“
„Das tut mir leid“, murmelt Ludmilla, setzt die leise protestierende Katze Minka zu Boden und nimmt den Einkaufszettel entgegen. Während sie Spaghetti, zwei Dosen Tomaten und Rinderhack zusammensucht, fährt sie versöhnlich fort: „Aber immerhin haben sie dir die Fahrt in die Hauptstadt gezahlt, nicht wahr? Bist du vielleicht ein bisschen shoppen gegangen?“
„Nur kurz in die Drottninggatan“, antwortet Kiki achselzuckend, „wollte nach einer neuen Sommerjacke schauen. Aber es gab nichts, was mir gefallen hätte.“
„Christer fährt morgen aufs Festland“, schlägt Ludmilla vor. „Also, wenn du mit willst, sag ihm Bescheid. Er fährt mit dem Motorboot und holt das Feuerwerk.“
„Ich schaue mal, danke. Oh, und Tomatenmark, bitte, das habe ich vergessen aufzuschreiben. Und Basilikum, aber nur wenn du frischen da hast. Knoblauch und Zwiebeln habe ich noch.“
„Ein kleiner Topf ist noch da“, lächelt Ludmilla und wendet sich um zur Tür in den Nebenraum, in dem das gekühlte Lager ist. Doch bevor sie nach einem umsichtigen Schritt über Minkas graues Perserfell hinweg auch nur die Türklinke erreicht hat, wird die Ladentür so schwungvoll aufgestoßen, dass die kleine Glocke Sturm läutet.
„Mutter!“ ruft die hereinstürzende Frau, deren Wangen rote Flecken zieren. Ihr hellblondes kinnlanges Haar ist zerzaust, während der dicke Wollpullover über der schlammbespritzten Jeans vor Hitze zu strahlen scheint. „Weißt du, wo Kim steckt? Er ist nicht auf der Fähre gewesen, auch heute morgen nicht. Agneta hat ihn heute morgen am Steg gesehen, aber Britta und die Jungs haben mir gerade gesagt, dass sie ihn nicht auf der Fähre gesehen haben, geschweige denn in der Schule. Das ist jetzt schon das zweite Mal in dieser Woche!“
„Nun beruhige dich, Carina“, antwortet Ludmilla mit beherrschter Stimme, die über ihren wahren Schrecken hinwegtäuscht. „Der Junge wird wohl wieder zum Angeln gefahren sein. Du hättest ihm nicht Mark Twain zu lesen geben sollen.“
„Er ist nicht zum Angeln gefahren“, erwidert Carina und stemmt die Hände in die offenbar schmerzenden Seiten. „Ich habe natürlich gleich nachgesehen, ob er wieder mit Christers Boot hinüber zum Lillemalm gerudert ist. Danach bin ich die ganze Insel abgelaufen und habe nach ihm gerufen. Oh Gott, es ist ihm ganz bestimmt etwas Schreckliches zugestoßen!“
„Nun beruhige dich doch“, sagt Ludmilla beschwichtigend, während sie sich zusammenreißen muss und nur innerlich den Kopf schüttelt. Carina neigt zum Überdramatisieren. „Bestimmt ist alles ganz harmlos. Kim wird schon wieder auftauchen, spätestens zum Abendessen.“
„Jungen in dem Alter“, schaltet sich nun Kiki Sundström ein, die ihre Einkäufe in einem Leinenbeutel verstaut und einen großen Geldschein auf die Ladentheke legt, „erleben die Welt noch als Abenteuer. Er hat bestimmt wieder im Wald Indianer gespielt und über all dem Anschleichen und Pfeil-und-Bogen-Schießen die Schule vergessen.“
„Er ist gerade erst zehn geworden“, erwidert Carina streng. „Und er geht noch gern in die Schule. Du hast doch sein letztes Zeugnis gesehen. So gut war nicht mal meins, als ich so alt war. Das sieht ihm gar nicht ähnlich, einfach die Schule zu schwänzen. Was ist nur am Montag geschehen, dass er jetzt schon zum zweiten Mal nicht auf der Fähre und in der Schule war? Und wo steckt er? Ich mache mir wirklich große Sorgen.“
„Er kann ja nicht weit gekommen sein“, versucht Ludmilla ihre immer noch vor sich hin keuchende Tochter zu beruhigen. „Dies ist schließlich eine Insel.“
„Ja“, antwortet Carina mit einem schiefen Grinsen, „und eine verdammt große, wenn man sie im Hundertmetertempo abläuft. Ich war sogar drüben am Steg zum Riddarsteen…“
„Und, hat der alte Griesgram dich hinüber gelassen?“ fragt Ludmilla, obwohl sie die Antwort eigentlich schon weiß.
„Ha“, macht Carina knapp und schüttelt den Kopf. „Mit dem Bootshaken hat er mir gedroht. Er war wohl gerade dabei, mit seinem kleinen Kahn zum Angeln in den Sund hinaus zu fahren. Er hat mich beschimpft, wie er es immer tut. Du kennst das ja, Mutter.“
„Der alte Stinkstiefel“, murmelt Ludmilla achselzuckend. „Was bin ich froh, dass er nicht hier bei uns auf der Insel, sondern auf seinem ‚Ritterstein‘ wohnt.“
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