Es war der Mann auf dem Stuhl, der gesprochen hatte. Sein scharfer Blick war gnadenlos und voller Herausforderung.
Da sprach auch der Mann mit der Zigarette. Er sprach nur vier Worte, die dröhnend in der Dämmerung schwebten, obwohl er leise gesprochen hatte. Es war eine Frage. Er hatte sie schon mehrmals gestellt, in der harten Sprache dieses Landes, und immer die gleiche Antwort erhalten. Doch er wusste, dass er nicht die Wahrheit zu hören bekam. Und sie brauchten die Wahrheit, gerade jetzt.
Die Worte verklangen, als der schmächtige Körper am Eisenträger sich stärker zu winden begann. Der süßliche Gestank von verbranntem Fleisch verstärkte sich. Der Klebestreifen auf dem Mund erstickte jedes Geräusch, aber das Kopfschütteln war Antwort genug. Der kleine Bursche war zäh. Sein standhaftes Leugnen nötigte Respekt ab, auch wenn ihnen allen drei klar war, dass dieses Frage-und-Antwort-Spiel nicht ewig so weitergehen konnte.
Der Mann trat den Zigarettenstummel aus und machte nachdenklich ein, zwei Schritte rückwärts. Er musste nachdenken. Was hatte er gelernt? ‚Angst ist eine Waffe‘. Und Angst konnte man dosieren. Das gleiche galt auch für Schmerz. Wie bei einem Feuer konnte man bei Angst und Schmerz immer noch nachlegen, bis der Widerstand brach.
Irgendwann war für jeden die Grenze erreicht. Spannend blieb, wo diese Grenze lag und wie weit man gehen musste, um sie zu erreichen. Manche ertrugen die allerschlimmste Folter, andere wiederum knickten bereits bei der allerkleinsten Androhung von Schmerzen ein.
‚ Drohen‘, hatte sein Ausbilder gesagt, ‚kannst du nur für kurze Zeit. Danach nehmen sie dich nicht mehr ernst. Du musst ihnen zeigen, dass du stark bist und dich nicht scheust, Gewalt anzuwenden. Erst dann respektieren sie dich.‘
Das hatte damals gegolten, und für heute galt es genauso, wenn nicht sogar noch mehr. Der Mann, der sich ‚Eiswolf‘ nannte, verengte seine harten Augen; der kleine Bursche nahm ihn nicht ernst. Denn als ‚Polarwolf‘ gefragt hatte, da war die Antwort prompt und zu ihrer Zufriedenheit gewesen.
Vielleicht hatte der kleine Kerl gespürt, dass sie die Antwort eh schon kannten; vielleicht war ihm bei der letzten Frage – der wichtigsten – nicht klar geworden, wie wichtig die wahrheitsgemäße und allumfassende Antwort war.
Denn damit ihr Plan Erfolg hatte, musste er geheim bleiben. Nur sie, die Brüder im Geiste, durften davon wissen. Deshalb war es so wichtig, dass sie unerkannt blieben und ihre Tarnung bestehen blieb – besonders die seine. Es war sein Auftrag, er war der Auserwählte.
Der Mann, der sich ‚Eiswolf‘ nannte, gestattete sich einen Augenblick, um in wohligen Phantasien zu schwelgen. Ja, er würde ein Held sein und zudem würde er endlich seine Rache haben.
Dafür musste er sichergehen, dass niemand den Plan durchkreuzte; erst recht nicht so eine elende kleine Mistkröte, die sich weigerte ihm zu antworten. Es war klar, der Kleine nahm ihn einfach nicht ernst. Hätte er sonst nicht längst die Frage beantwortet? Es war an der Zeit, härtere Bandagen anzulegen.
‚ Polarwolf‘ hatte das Wort ausgesprochen, das eine, das keinen Widerstand und keine Gnade duldete. Es musste geschehen, das wusste er – und je mehr Kälte er zeigte, desto besser. Er spürte den lauernden Blick und wusste, dass es keinen Ausweg gab. Er musste handeln, kühl und gleichgültig.
Nachdenklich blickte sich der Mann in dem kahlen kalten Raum um. Außer dem Stuhl, auf dem ‚Polarwolf‘ schweigend und mit verschränkten Armen Platz genommen hatte, gab es hier nur Schrott.
Mehrere Stapel alter Autoreifen standen unordentlich und in sich zusammen gestürzt zwischen den verrosteten Metallteilen und sonstigen Materialien, die man hier im reichen Westen zur Reparatur motorisierter Fortbewegungsmittel benötigte oder vielmehr: benötigt hatte. Die Lagerhalle war wie die Werkstatt nebenan und der Rest des Geländes seit über zehn Jahren nicht mehr in Betrieb.
Langsam wanderte der Mann an den unordentlichen Haufen Schrott entlang, bis sein Blick schließlich auf den verrosteten Schraubenschlüssel fiel, der neben einem kleinen Hammer mit abgebrochenem Griff und einer kleinen Metallsäge auf dem staubigen Boden lag.
Kurz entschlossen griff er danach und wog die drei Gegenstände prüfend in der Hand, bevor er sich mit einem süffisanten Grinsen zu seinem Opfer umdrehte, das schlapp an fixierten Armen vor dem Eisenträger hing.
„ Du willst mir also nicht antworten“, stellte der Mann gleichgültig fest und hob den Hammerkopf auf Höhe des schweißglänzenden Gesichts, in dem die dunklen Augen unter schwer gewordenen Lidern zuckten. „Aber ich will, dass du mir antwortest. Das gehört sich so. Das nennt man Respekt. Also, ich frage dich noch einmal…“
Er wiederholte leise seine Frage, die der Junge wie all die Male zuvor mit einem stummen Kopfschütteln beantwortete. Der Mann musterte das kleine Gesicht nachdenklich, bevor er mit einem Ruck den Klebestreifen abzog, der den Mund des Jungen verschlossen hatte. Vielleicht kam er so schneller weiter, wenn er es fürs Erste auf die nettere Art versuchte.
Doch als er erneut seine Frage stellt, reagierte der Junge überhaupt nicht. Mit einem knappen Kopfschütteln hob der Mann die Hand mit dem Hammer darin hoch über seinen Kopf, zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, um sein Ziel zu fixieren, und ließ den Arm dann gleich einer Peitsche niederschwingen – direkt auf die nackte Flanke des Jungen zu.
Der Junge schrie nicht und zuckte auch nicht zusammen. Er hatte die Augen fest geschlossen, während seine aufgerissenen Lippen leicht zitterten und sich feine Blutströpfchen wie winzige rote Knospen darauf entfalteten. Diese apathische Ruhe war seltsam und brachte den Mann beinah aus dem Konzept. Er war es gewohnt, dass sich wenigstens eine kleine Reaktion zeigte. Darauf konnte er aufbauen, so hatte er es gelernt.
‚ Finde den schwachen Punkt‘, hatte sein Ausbilder gesagt. ‚Jeder hat einen. Schon kleinste Regungen verraten dir, wo du weiterbohren musst. Beobachte genau und du wirst sehen, jeder verrät sich.‘
Ganz anders aber dieser kleine Bursche hier. Der Mann war sich nicht einmal sicher, ob der Junge das Auftreffen des Hammers überhaupt noch spürte. Er gab keinen Laut von sich, sondern hing stumm an seinen gestreckten und bestimmt mittlerweile längst taub gewordenen dünnen Armen, die Kleider in Fetzen um die Hüfte hängend.
Der Hammerkopf hinterließ einen hässlichen roten Fleck auf Höhe der Nieren, dicht neben den kreisrunden dunkelrot-schwarzen Stellen verbrannten Fleisches. Ein Treffer in die Nieren, das wusste der Mann aus eigener Erfahrung, jagte Wellen des Schmerzes durch den ganzen Körper, so heftig und peinigend, dass es nur von einem gezielten Tritt zwischen die Beine übertroffen werden konnte.
Der Junge keuchte nicht einmal, auch wenn sein Atem eine Nuance schneller wurde. Der Mann beobachtete interessiert und mit einer Spur von Neugier, wie die geschlossenen Augenlider zu zittern begannen, als der Schmerz offenbar erst mit einiger Verspätung das Gehirn des Jungen erreichte. Ein feiner Schauer ließ den schmächtigen Körper für einige Sekunden erbeben. Doch noch immer kam dem Jungen kein Laut über die Lippen.
Der Mann stellte erneut seine Frage. Der Junge antwortete nicht, aber er zuckte vor Schmerz zusammen, als der Mann ohne Vorwarnung den Hammer mit der spitzen Kante zwischen die zerschlissenen Streifen Jeansstoff sausen ließ und die empfindlichste Stelle eines jeden Mannes traf.
Der Mann wartete einen Moment, bevor er seine nächste Frage stellte. Diesmal war es ihm, als ob der Junge antworten wollte. Natürlich wollte er nicht, dass der Hammer ihn noch einmal traf – solange, bis zwischen seinen Beinen nichts mehr übrig sein würde, das ihn von einem Mädchen unterscheiden konnte.
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