In Deutschland mieten wir mit meiner jüngeren Schwester, Sonja, eine Wohnung in unserer Studentenstadt Jena. Noch kurz vor der Abreise hatten wir unsere Wohnung zur besten WG der Welt auserkoren. Weil wir uns einfach super verstehen, nachsichtig sind, zusammen feiern und eben mehr als nur Freundinnen sind. Ich würde sogar sagen: „es gibt keine bessere Freundin als eine Schwester und keine bessere Schwester als dich.“
Wenn ich mir das so Recht überlege wäre es nur fair, einen geteilten ersten Platz für unsere beiden "Luxusappartements" zu geben.
Der Unterrichtsstil - Bin ich etwa wieder in der Schule?
Zu meinem ersten Seminar kam ich ein paar Minuten zu spät. Ich hatte mit meiner Betreuerin, also dem Mentor vor Ort in Moskau, einen Termin wahrgenommen und den letzten Schliff an dem Stundenplan vorgenommen. Sie begleitete mich auch zur Tür und wies mich an, mich zu entschuldigen und vorzustellen. „Oh, mein Gott!“, dachte ich mir nur. Ich fühlte mich, wie ein kleines Mädchen, welches nicht in die Schule gehen will und auf Anweisungen von ihren Eltern hören muss. Ich versuchte dieses Gefühl so schnell wie möglich zu untergraben. Also kam ich rein uns stellte mich vor und sagte auch aus welcher Uni ich sei. Auf Russisch klang das so: „Ja s Jeny, iz Germanii.“
Der Professor schaute mich mit einem fragenden Blick an: „Liegt Wien etwa nicht in Österreich?“ (Er hatte wohl „is Veny“ verstanden, was übersetzt Wien bedeutet.)
Ich schaute ihn an und wusste erst nicht was er denn meint. Die ganze Klasse schaute mich an. Unglücklicherweise hatte ich mich auch noch der ersten Reihe platziert. Endlich wiederholte jemand „Aus Jena!“
-Na dann, ok. Machen wir mit unserem Seminar weiter.
Uff, dachte ich mir.
Am Ende der Stunde standen drei Mädels vor mir und fragten: „ Bist du sicher, dass du in unsere Gruppe reingehörst?“
Tja, nicht besonders freundlich.
-Ja, klar, sagte ich darauf. Ich werde dieses Semester die Vorlesung Management und das Seminar dazu zu dieser Zeit besuchen.
-Dann brauchst du bestimmte Infos, sagte das rothaarige Mädchen schon viel freundlicher.
-Wir bekommen alle Vorlesungen auf unsere gemeinsame E-Mail-Adresse. Hier, ich schreibe dir die Adresse und das Passwort dazu auf.
-Vielen Dank.
So schnell kann sich alles zum guten wenden und so machte ich die erste Bekanntschaft mit meinen Kommilitonen. Später wurde mir dann erst klar, woher diese direkte und unglaubliche Frage kam.
Dafür musste ich erst einige Details über das Lehrsystem erfahren. Es ist nämlich so, alle Studienanfänger eines Jahrgangs werden in Gruppen eingeteilt. Diese Gruppen haben dann auch einen strikten Stundenplan gemeinsam, D. h. sie haben keinen flexiblen Stundenplan und können sich nicht zwischen unterschiedlichen Seminaren zu verschiedenen Zeiten entscheiden. Deswegen hätte ich in jede andere Gruppe hineinkommen können. Doch ich habe es nicht bereut mich für diese entschieden zu haben.
Erinnerungskomplex Pokolnnaja Gora
An der Metro Station Park Pobedy steigen wir aus und erblicken das Licht der Welt. Wir, drei Mädels aus Deutschland, haben einen relativ kurzen Weg für Moskauer Verhältnisse hingelegt. Und sind nun am Gedächtnispark angelangt. (Dieser befindet sich zwischen dem Kutuzov-Prospekt und der Minskaja Straße.) Obwohl sogar ganze zwei Mal das Umsteigen anstand. Und zwar an der „Park der Kultur“, von dort aus nur eine Haltestelle im Kreisverkehr bis Kievskaja. Dann ist es gar nicht mehr weit. An der dunkel-blauen Linie entlang gefahren, mussten wir an der nächsten Haltestelle schon aussteigen.
Es ist Mitte September. Die Herbstluft hat noch eine Brise Sommerluft von der Mutter Natur beigemischt bekommen.
Ich fühle mich immer noch so als wäre ich auf unbestimmte Zeit im Urlaub und habe all die Zeit der Welt.
Die Sonne scheint, das Studium macht Spaß! Was kann es noch besseres geben? Doch es geht noch besser. Ich freue mich über die banalsten Dinge auf dieser Welt. Wie zum Beispiel der schöne Springbrunnen. Diese werden so schön beleuchtet, dass es fast schon viel zu schön ist. Der Wind weht einige Wassertropfen in unsere Richtung. Ich bekomme unwillkürlich eine angenehme Erfrischung. Die Wassertropfen sind eine willkommene Abwechslung auf meiner Haut.
Die Brunnen breiten sich über den gesamten Park aus, bis hin zu dem Museum. Hinter dem Museum geht es noch weiter. Dort befindet sich eine Art Hochzeitsallee. An dem Platz wird oft und gerne geheiratet. Anscheinend hat dieser Ort etwas Magisches für die Moskvichi.
Überhaupt habe ich in dieser kurzen Zeit so viele Hochzeiten wie noch nie gesehen. Sogar bis kurz in den tiefen Winter hinein geben sich die Verliebten das Ja- Wort und die Gefühle lassen in der Kälte kein bisschen nach.
Der Asphalt von der Hochzeitsallee ist mit verbundenen goldenen Ringen gekennzeichnet. Ein Ring ist soweit ich weiß fast überall auf der Welt ein Symbol für Ewigkeit und Unendlichkeit. Das Gold steht für sich selbst. Die Russen lieben das Gold. Nicht nur auf den Kuppeln und in Museen. Mann und Frau schmückt sich durchaus gerne damit. Man zeigt halt, was man hat. Bei Hochzeitsringen ist es aber auch selbstverständlich. Auch in anderen Ländern ist es Brauch und Sitte goldene Ringe einander anzustecken. So sollten auch die Ringe ein Symbol für die ewige Liebe und Treue der Partner werden.
Als uns ein wunderschönes Pärchen entgegenkommt mit Gefolge von Freunden und Fotografen erlebe ich eine Art Déjà-vu.
Ich habe einmal die Gelegenheit mit den Arbeitskollegen meiner Mutti Sehenswürdigkeiten Moskaus zu erkunden. Ich war gerade mal zehn oder elf Jahre alt, als wir mit unserer Familie durch sommerliches Moskau schlenderten.
Obwohl wir sehr viele Dinge an dem Tag gesehen haben, ist dieses Bild in meinem Gedächtnis als eine Art Foto abgespeichert. Wir standen an einem der vielen Verkaufsstände, an dem die Bewohner Moskaus und zahlreiche Touristengruppen sich tummeln uns Souvenirs für die Lieben zu Hause erwerben wollen. Selbstverständlich wurden wir, die Kinder, von den Plüschtieren magisch angezogen. Also standen wir da und quängelten was das Zeug hält.
In dem Augenblick kam auch ein Hochzeitspärchen zu dem besagten Stand. Der Bräutigam nahm sofort das größte Plüschtier, einen riesengroßen kitschigen Bären, er war nämlich rosa, und wollte es seiner Geliebten kaufen.
- Ich weiß gar nicht, ob es eine solch gute Idee ist, sagte die Braut verlegen und doch sichtlich gerührt.
Ich weiß auch gar nicht wieso, aber sie schaute dabei mit ihren großen hübsch geschminkten Augen meine Mama an. So ähnlich als würde sie Rat bei einer erfahrenen Frau suchen.
-Na klar, antwortete meine Mum. Das wird sicher eine gute Erinnerung an den schönsten Tag in deinem Leben werden. Es kann sonst sein, dass ihr es bereut den Bären nicht gekauft zu haben.
Und tatsächlich folgten die zwei dem Rat meiner Mutti. Wir hingegen haben auch einen Bären bekommen, allerdings alle drei jeweils die viel kleinere Variante. Es war aber eine riesen Freude über die Errungenschaft.
Nun, ein ganzes Jahrzehnt später, bin ich wieder an dem zauberhaften Erinnerungskomplex Poklonnaja Gora. Es hat sich nicht viel verändert. So soll es ja auch sein. Schließlich ist es eine Sehenswürdigkeit. Doch auch die Händler oder zumindest deren Warenangebot haben sich nicht wirklich gewandelt. Es wurden genauso viele Plüschtiere und Helium gefüllte Luftballons angeboten. Und die Kinder quängelten wie wir einst und bekamen meist etwas zur Ablenkung, wie zum Beispiel eine kleine Seifenblase-Dose. Eine ganz einfache Dose mit Shampoo und Wasser verdünnt. Doch solch eine banale Kleinigkeit kann einem Kind sehr viel Freude bereiten. Außerdem ist es eine viel billigere Variante im Vergleich zu den Plüschtieren oder Helium gefüllten Luftballons. Wahrscheinlich ist es für die Eltern immer noch besser dieses Ablenkmanöver anzuwenden.
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