Am Montag früh schrieb ich eine kurze Email ans Auslandsamt. Nur wenige Minuten später klingelte mein Telefon. Eine junge Frauenstimme meldete sich: „Die Bestätigung von MSU ist da, wollen sie es abholen oder soll ich es zuschicken?“
„Oh, mein Gott, ich werde in Moskau studieren, dachte ich nur in diesem Augenblick. Schon allein von dieser Nachricht war ich in dem Moment überglücklich. Selbstverständlich wollte ich es abholen. Mit dem Moped flitzte ich in die Stadt.
Schon sehr kurze Zeit später hielt ich dieses Schreiben in meinen Händen!
Jetzt ist es endlich offiziell, freute ich mich. Da steht es, schwarz auf weiß, ich darf ein Semester lang an der Moskauer Staatlichen Universität Lomonosov studieren, die Kultur und Lehrmethoden des Landes kennen lernen. Schon deshalb war ich euphorisiert und fröhlich gespannt. Dass ich in einer Millionen Metropole wohnen werde, daran dachte ich in dem Augenblick überhaupt nicht. Ich glaube, es war eher ein unterschwelliges Gefühl von Freiheit. Es ist ein bisschen wie noch mal Erstsemester sein. Man darf von zu Hause ausziehen und schon richtiges Erwachsenenleben anfangen. Das heißt noch mal voll durchstarten. Es war einfach nur toll.
Doch schon bald wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Denn damit war noch nicht alles erledigt. Es hieß jetzt nämlich, Visum beantragen, Tickets kaufen, Koffer packen. Mit viel Geduld und Durchhaltevermögen haben sich auch die kleinsten Erledigungen vor der Abreise perfekt organisieren lassen.
Nun saß ich im Flugzeug Nr. 1648Y Leipzig-Moskau ohne einen Rückticket mit dabei zu haben.
Schleichweg zum neuen Wohnsitz
Auch wenn sich jeder vorstellen kann, dass in der Elf- Millionen- Metropole alles schnell gehen muss und diese Stadt fast nie schläft, dem muss ich Recht geben. Doch wenn man glaubt mal ganz flink von A nach B kommen zu können, der täuscht sich gewaltig. Diese Erfahrung hatte ich gleich bei meiner Ankunft gemacht und werde es noch öfters erleben. Der Flughafen Scheremetjevo befindet sich außerhalb von Moskau. Es sind ca. 30 km bis zum neuen Wohnheim, in dem wir leben sollten. Doch auch mitten in der Woche und besonders abends sind die Straßen meist so voll, dass es einfach nur naiv wäre zu glauben seine Rechnung folgendermaßen vorzunehmen: bei durchschnittlich 80-90 km/h brauche ich ca. so und so viel Zeit einzuplanen. Das trifft auf Moskauer Straßen überhaupt nicht zu. Und so durfte ich als erste Erfahrung mit den berühmten Moskauer Staus machen. Wenigstens hatte ich in der Zeit jemanden zum Reden. Selbstverständlich wurde ich abgeholt und zum Hauptgebäude MSU gefahren.
Ich muss schon sagen, es kam viel besser als ich je gedacht hätte. Da es noch nicht sicher war in welchem Wohnheim ich wohnen werde- es gab nämlich noch einen an der Metrostation Jugo-Zapadnaja-war es eine 50/50 Chance entweder im Hauptgebäude MSU bei Vorobjövi Gory oder im Wohnheim paar Metro Haltestellen weiter, eine Unterkunft zu bekommen. Und das Schicksal war sehr gnädig zu mir und die Coinflip- Entscheidung fiel zu meinen Gunsten aus. Also durfte ich mich im Hauptgebäude der ältesten und angesehensten Universität Moskaus ansiedeln. Zuerst konnte ich es überhaupt nicht glauben. Wie soll ich mitten in der Uni wohnen, wie war das möglich? Doch wenn man das Gebäude betrachtet wird einem schnell einiges klar. Es ist einfach nur riesig, verfügt über einige Anbauten, sogar über zwei eigene Mensen und eine Schwimmhalle. Im Hauptgebäude selbst haben nur Physiker Vorlesungen, nach eigenen Umfragen. Auf dem Gelände MSUs finden sich im Umkreis viele andere Fakultäten wieder. So auch die Wirtschatsfakultät, Institut für Fremdsprachen und andere.
Am nächsten Tag würde ich am liebsten die Stadt erkunden, doch als erstes stand Immatrikulation an der Tagesordnung an.
Sofort nach dem Frühstuck, stand die Einschreibung an der Uni an. Doch wie man es sich schon vorstellen kann, war es nicht so einfach. Schon allein die Anzahl der Studierenden, die an diesem sonnigen Septembertag in die Metropole ihr Studium anfangen wollten war überwältigend.
Doch als erstes mussten überhaupt die Räumlichkeiten gefunden werden.
Da ich mir nicht besser zu helfen wusste, habe ich angefangen die Kommilitonen nach dem Weg zu der Anmeldungsstelle zu erfragen. Erst schien jeder nur mit seinen eigenen Vorhaben so sehr beschäftigt zu sein, oder wusste selbst nicht, wo sich der besagte Raum Nummer 11 befand, dass mir keiner so Recht Beachtung schenken wollte.
Beim fünften Versuch hatte ich letztendlich Glück. Ein sehr nettes Mädel hat sich sogar bereit erklärt mich zum Zimmer 11 zu begleiten. Es war die Rettung in der Not. Denn als wir durch das Uni-Labyrinth zu meinem Ziel liefen, wurde mir klar: alleine hätte ich das nie gefunden. Zuerst musste man eine halbe Etage runter, an der ersten Treppe vorbei und in die nächste Abzweigung nach links abgebogen. Uff, mit fremde Hilfe, aber immer hin geschafft. Ich war da.
Da stand ich nun in einer Reihe mit anderen potentiellen Studentinnen und Studenten. In der Schlange hinter mir standen sehr viele Chinesen, die alle ein Papierchen, schon etwas zerknüllt, in der Hand hielten. Auch sie wünschten es sich, immatrikuliert zu sein.
Vom Beginn meines Irrlaufs durch das Labyrinth der MSU traf ich im Fahrstuhl zwei Mädels. An sich nichts besonderes, doch plötzlich hörte ich mir so sehr vertraute Sprache. Die zwei waren auch aus Deutschland angereist, studierten aber Sprachwissenschaften. Sie haben mich auch sofort vorgewarnt, die Immatrikulation würde acht Stunden in Anspruch nehmen und es wäre ein reines hin- und herrennen. Doch ich nahm die Vorwarnung mehr als gelassen hin. Es steht halt an der Tagesordnung an. Was sein muss, muss sein. Außerdem habe ich ja Zeit. Deswegen nahm ich die Wartezeit in der Schlange entsprechend gelassen hin.
Die zweit beste Wohngemeinschaft der Welt
Ich hatte bisher gar nicht erwähnt, dass ich mit meiner älteren Schwester den Schritt ins Auslandsstudium gewagt habe. Auch wenn wir beide in Moskau geboren sind, ist es doch ein mulmiges Gefühl für so lange Zeit Deutschland zu verlassen, Freunde und Familie hinter sich zu lassen. Das liegt daran, wenn man fast sein ganzes Leben lang in Europa wohnt. Doch es war meine eigene Entscheidung gewesen und damit eine gute Entscheidung. Tatsächlich ist es das Beste was mir durchaus eh passiert ist. ich kann es jedem nur ans Herz legen, ein Auslandssemester zu absolvieren. Ich wollte unbedingt über den sogenannten Tellerrand hinausschauen und meinen Horizont erweitern. Und wenn man das so sieht, ich es mir sehr gut gelungen. Meine Welt war schon davor rießengroß, doch jetzt bin ich mir meiner Prioritäten noch mehr bewusst.
Ich weiß zwar nicht genau, wie es andere Studentenwohnheime sowohl in Russland, als auch in anderen Ländern mit der Sicherheit handhaben, doch hier wird sehr viel Wert darauf gelegt. Bevor man seine Zimmer erreicht muss man an insgesamt drei Wachposten vorbei und zwei Mal seinen Studentenausweis vorzeigen. Nach 23 Uhr kommt man sogar nur mit Wohnschein in das Gebäude hinein. Ich fühlte mich zwar auch ziemlich wohl hier, doch womöglich ist es sogar einer der Gründe hierfür. Wahrscheinlich ist es auch notwendig auf Grund der sehr hohen Anzahl der Studierenden und dem historischen Gebäude. Außerdem steht die Universität auch politisch im Vordergrund und Besuch von Putin oder Medvedev oder gar Hilary Clinton, wie im Jahr 2009 sind keine Seltenheit. Als der Besuch der Clinton Anstand war dies in aller Munde. Man hörte in der Kantine, auf der Treppe, im Geschäft: „Hast du auch schon gehört..?“ „Gehst du auch hin?“ „Clinton in MGU!“
Ich habe es von meiner Schwester erfahren und wir haben uns dieses Ereigniss auch nicht entgehen lassen. Überhaupt lebt es sich zu zweit viel besser als alleine. Gleich in der ersten Semesterwoche lernte ich ein Mädchen bei meiner bzw. unserer Betreuerin kennen. Sie war nämlich auch aus Deutschland für ein Semester nach Moskau angereist. Sie hatte das Zimmer für sich allein und merkte doch, dass es etwas einsam ist. Auch wenn wir kaum zu Hause waren, merkt man besonders abends die Stille und Einsamkeit zu Hause. Selbstverständlich wird manch einer über einiger Mitbewohner sagen: „Lieber gar keine, als so einen.“(Was ich übrigens sehr gut nachvollziehen kann.) Doch ich kann über meine Schwester gar nicht klagen. Im Gegenteil. Sie übernahm freiwillig fast alle Hausarbeiten und das freute mich gewaltig. Mein Stundenplan war so ausgelegt, dass ich zum Nachmittag Vorlesungen hatte und erst spät abends Heim kam. Es war ein gutes Gefühl nicht in die leere Wohnung zurückkehren zu müssen. Vor allem als sich der Herbst dem Ende zu neigte und es sehr früh dunkel wurde. Dann war es besonders gemütlich jemanden in dem Appartement vorzufinden. Meist war das Essen auch schon fertig. Und war aßen und lachten viel miteinander. An einem Abend beschlossen wir zusammen Spanisch zu lernen. Da Irene bereits Unterrichtsstunden an der Universität bekommt, hatte sie das berühmte Lied von „Cocodrillo“ gelernt und wir sangen das zusammen.
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