Wir selbst liegen nicht direkt vor Leningrad, sondern an einem Kessel davor, der bei einem eventuellen Angriff automatisch zusammenbrechen wird. Na, wir wollen die Dinge mal abwarten, denn vorläufig sind wir wieder hier, und vielleicht hält der Russe diesen Winter (der sowieso zu unseren Gunsten sehr milde auszufallen scheint, denn seither haben wir noch keinen richtigen Frost gehabt) gar nicht mehr durch. Seine Moral ist jedenfalls sehr erschüttert, wie aus den Aussagen der zahlreichen Überläufer zu entnehmen ist. England will jetzt auch noch seine Lieferungen einstellen, und die Hauptindustrie und Ernährungsgebiete hat er auch verloren. Es steht verdammt schlecht um ihn! Wenn nur Stalingrad bald fällt, und wenn nur der Engländer allmählich seine Angriffe einstellt, dann sind wir schon sehr weit. Ihr seid ja nun hoffentlich gesichert durch Eure tolle Flak, ich möchte wissen, wie das Ding funktionieren wird. Nachher richten nur noch die abgeschossenen Flugzeuge Schaden an.
So, nun aber zu Deinen lieben Briefen: Deine lb. Päckchen habe ich, wie gesagt, alle dankend erhalten, es steht allerdings eines mit der Mettwurst aus (vielleicht ist es ja ein Nachkömmling) Man soll jedenfalls nie die Hoffnung zu früh aufgeben. Jetzt nummerieren wir ja fleißig, und da kann uns nichts unterlaufen. „Was Du hast schwarz auf weiß, kannst Du getrost nach Hause tragen!“, sagt Goethe sehr richtig.
Apropos Goethe: seinen Faust schickst Du mir doch mal, nicht? Philosophieren tun wir übrigens den ganzen Tag, sehr furchtbar! Hier kommt man auf manchen tiefsinnigen Gedankengang, den nachzugehen man zu Haus kaum Zeit gefunden hätte. Ich glaube, damit langweile ich Euch nur; Ihr wollt lieber hören, daß ich noch immer meinen alten Humor habe. Hab' ich, hab' ich!! Wo wir uns wieder so wohl fühlen. Hoffentlich habt Ihr ihn auch noch (Mensch, bei 100 g Fleischerhöhung, da lacht einem ja das Herz. Dazu verdient Ihr durch die Vorauszahlung der Grundsteuern noch so viel Geld. Ihr seid ja direkt Kriegsgewinnler. Mutti kriegt jetzt noch einen neuen Ring und hat dazu noch Zarah-Leander-Zähne bekommen. Ich schäme mich ja direkt, wenn ich mit meinem bescheidenen 12-Pfunds-Heimaturlauber-Speck- und Wurst-Paket mal auf Urlaub kommen sollte. Und so schöne eingemachte Sachen habt Ihr, da läuft einem ja das Wasser im Munde zusammen. Da kann man nicht lange “murren und knurren“. Da wird eben der goldene Humor behalten.
Ich habe eben den Brief unterbrochen, war auf Wache. Es ist zwar schon 1 Uhr, aber der Brief soll morgen früh noch weg. Ich habe vorhin verdammt schlecht geschrieben, nicht? Ich werde mir jetzt mehr Mühe geben.
Es ist ja so schön, daß es Euch allen zu Hause gut geht, und daß Du Dir auch einmal etwas gönnst und in die Stadt gehst. Ich denke noch gern an die Zeiten zurück, wo wir beiden zusammen in die Stadt gegangen sind und uns einen schönen Nachmittag gemacht haben, das war immer sehr schön. Nun ist Walti auch schon „erwachsen“ und geht mit Dir. Ist er eigentlich noch immer so vornehm? Vielleicht schreibt er mir ja einmal wieder oder hat er nichts mehr für seinen Bruder über? Er wird wohl auch schon eine Braut haben, Bräute gehen ja selbstverständlich vor. Wer ist denn die „Glückliche“, Walti, eine aus dem Klipper? Was meinst Du, wenn Du sie mal für einen Nachmittag versetzt und mir mal kurz etwas berichtest. Du kannst Dich dann ja damit entschuldigen.
Und mein Opi hegt auch die Absicht, sich wieder zu produzieren? Das finde ich aber nett, er ist doch ein feiner Kerl. Na, ich komme bald mal längs und dann zwitschern wir einen (Gimmel). Und Du, Mutti, hast wieder großen Besuch gehabt, mit der vorhergehenden großen Bäckerei: ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sie alle reingehauen haben. Willst Du zu Deinem Geburtstag wieder alle einladen? Da wirst Du wohl wieder den ganzen Tag pütschern.
Übrigens ist dieses noch nicht der amtliche Geburtstagsbrief, die großen Sachen sollen erst noch steigen. Hoffentlich klappt alles. Jetzt schon zu gratulieren, finde ich nicht richtig, das tut man nicht. Bis zum großen Tage wünsche ich Dir jedenfalls alles Gute.
So, hoffentlich habe ich Euch nicht mit meinen vielen Seiten gelangweilt, das würde mir unendlich leid tun. Aber wenn ich dabei bin, höre ich auch nicht wieder auf. 2 Uhr ist es gleich, dafür ist aber morgen Sonntag.
Alles Liebe und Gute wünscht Euch,
Euer Werner
Geburtstagsluftfeldpostbrief - Rußland, den 3.XI.42
Mein liebes, gutes Geburtstagskind!!
Bevor ich nun zum amtlichen Teil meines Briefes schreite, möchte ich mich erst einmal recht recht herzlich für Dein liebes Päckchen vom 16.10. bedanken, das ich gestern mit großer Freude empfing. Es waren Deine wunderbaren Kuchen, die ich, da sie so vorzüglich mundeten, in kurzer Zeit verdrückt hatte. Ja, ich konnte nicht widerstehen, und hab' es auch nicht bereut, denn sie bereiteten mir einige Minuten schlemmerhaften Genusses. Also habe noch einmal recht herzlichen Dank dafür.
Und nun, wie gesagt, zum amtlichen Teil. Erst einmal hoffe ich von ganzem Herzen, daß dieser Brief gerade am Morgen Deines Geburtstages eintreffen möge, denn sonst wäre ja sein eigentlicher Zweck verfehlt. Doch nichtsdestotrotz, ich gratuliere Dir erst mal recht herzlich und wünsche Dir für diesen Tag und die Zukunft alles nur erdenklich Gute. Gleichzeitig möchte ich auch die Hoffnung aussprechen, daß Du das Glück haben mögest, in den kommenden Jahren dieses Fest nicht nur in einem Glorreichen Frieden, sondern wieder im Kreise Deiner ganzen Familie zu feiern. Die Hauptsache jedoch ist, daß Du uns noch recht, recht lange gesund bleibst, das andere wird sich ja alles schon von selbst finden. Ich glaube, es ist dieses Jahr das erste Mal, daß ich Dir nicht persönlich gratulieren kann. Wie gerne hätte ich es getan, und wie gern hätte ich Dir selbst ein schönes Geschenk überreicht; doch wir haben eben Krieg und so bleiben niemandem eventuelle Unannehmlichkeiten erspart. Ich habe aber doch versucht, mich für Deine liebe Sorge um mich, und für all das, was Du für mich getan hast, ein ganz kleines bißchen zu revanchieren. Hoffentlich klappt alles, na Du wirst es sicher dann selbst schon merken. Mehr will ich nicht verraten!!
Sicher wirst Du wieder viel Besuch haben und Deine Kränzchendamen werden wohl auch alle erscheinen. Dann hast Du sicher wieder die Tage vorher so schön gebacken, eingekauft und alles vorbereitet und wenn dann der Besuch da ist, wirst Du umherlaufen und rennen, um es allen so schön wie möglich zu machen. Nur Du selbst wirst dann von dem nichts haben. Ja, ich kenne Dich doch, so war es doch immer Dein Ziel, alles am Schönsten zu machen und zu haben. (Es ist Deine einzige Schwäche!) Ich will Dir damit selbstverständlich an einem solchen Tage keine Vorwürfe machen, es ist ja auch kein Fehler, doch, ich glaube, Du tätest viel, viel besser daran, wenn Du Dir endlich einmal, nach so vielen Jahren unermüdlicher Arbeit und Sorge um uns, ein bißchen Ausspannung und Erholung gönnst. Ich habe Dir es ja schon so oft gesagt: einmal lebt man nur und solange man das Glück hat, soll man auch nicht versäumen, die schönen Stunden, die einem geboten werden, zu kosten. Es ist nur gut, daß Du es inzwischen schon ein ganz kleines bißchen eingesehen hast.
So, offiziell möchte ich heute nicht mehr werden, ein entsprechender Brief soll bald folgen. Eines jedoch möchte ich Dir noch schnell (denn es ist schon bald 12 Uhr und der Brief muß unbedingt noch fort) zur Beruhigung mitteilen: ich fühle mich ausgezeichnet und kann weder von meinem alten Humor noch von meiner guten Laune etwas anderes behaupten.
Laß Dir noch einmal alles, alles Gute wünschen und sei recht herzlich gegrüßt
von Deinem Werner
Rußland, d. 11.11.42
Meine liebe Mutti, lieber Walti und liebes Großväterchen!
Ich habe ja schon ein recht schlechtes Gewissen, denn ich hatte versprochen, an Deinem Geburtstag zu schreiben und heut' ist schon der 11. Aber, man kann sich ja hier nichts vornehmen, und so ist natürlich wieder eine Luftpostmarke fällig. Meine 2. möchte ich Dir überlassen.
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