1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 „Mmh, jetzt ist er weg!“ Ärgerlich schüttelt Bea den Kopf. „Komischer Kerl!“
Ich hebe kurz die Schultern. „Hier laufen so viele Leute rum, wer weiß, wer das war“, erwidere ich leichthin und wende mich wieder ab. - Ich kann doch unmöglich erzählen, dass ich von Leuten mit hypnotischen Kräften verfolgt werde. Die beiden würden doch sofort wissen wollen, warum. Und dann? Wenn ich die Wahrheit sage, wenn ich ihnen sage, wovor ich wirklich Angst habe, erklären sie mich für verrückt. Lieber tue ich ganz unbefangen: „Na ja, egal, lasst uns gehen, sonst schickt Madame Ulliette noch einen Suchtrupp los.“
Nachdenklich verstaue ich meine Digicam im Rucksack. Verdammt! - Ich habe diesen Typen weder in den Katakomben noch hier gesehen.
An der Einfahrt zum Panamakanal gab es den üblichen Rückstau, aber der Kapitän nahm über Funk Verbindung mit der Verwaltung auf und zwei Minuten später war alles geregelt. Die Manhattan war mit ihren hundertvierzig Meter Länge nicht gerade winzig zu nennen, aber im Vergleich zu den Containerschiffen ringsum war sie doch deutlich kleiner. Sich zusammen mit einem Schiff der Panamax-Klasse schleusen zu lassen, kam aber trotzdem nicht in Frage. Die waren allesamt fast dreihundert Meter lang und brauchten die mehr als dreißig Meter breiten Schleusen komplett für sich.
Allerdings gehörte die aus dem Atlantik kommende Luxusjacht dem Großreeder René Felipe Montenaux, der für die Passagen seiner Schiffe jedes Jahr immense Beträge an die Kanalbehörde überweisen ließ. Das beschleunigte die Abfertigung dann doch erheblich. Also wurde noch am späten Nachmittag ein Konvoi aus kleineren Schiffen zusammengestellt, die die Schleusen gemeinsam benutzen konnten. In dieser Gesellschaft würde die große Yacht sofort in den Kanal einlaufen können.
Schon zwei Stunden nachdem die stahlgraue Manhattan in der Wartezone angelangt war, ging es also in einem bunten Pulk kleinerer Motorjachten weiter. Mit mäßiger Geschwindigkeit fuhren sie hinter einem älteren Frachtschiff auf die riesigen Schleusen zu, und ein hochmoderner Gastanker schloss sich ihnen in einiger Entfernung an.
Diego bekam in seiner Kabine von der ganzen Prozedur kaum etwas mit. Die Fahrt durch Mittelamerika interessierte ihn nicht. Die Manhattan war für die offene See gebaut, und die Enge des Kanals hatte bislang bei jeder Durchfahrt bedrückend auf ihn gewirkt. Außerdem hatte er im Moment mehr als genug damit zu tun, sich auf seine Immatrikulation in Berkeley vorzubereiten.
Südfrankreich war im Sommer einer der angesagtesten Plätze der Welt, deswegen war die Lernerei ein wenig zu kurz gekommen. Der Aufnahmetest in Berkeley würde für ihn, den Sohn eines milliardenschweren Reeders, kaum mehr als eine Formsache sein, aber man musste sich ja nicht gleich am ersten Tag blamieren.
Sofort nach der Abreise hatte Diego sich also hinter seinen PC geklemmt und eine wahre Burg aus Büchern um sich herum aufgebaut. Besser spät als nie. Schon erstaunlich, wie schnell Sonne und Strandleben einem das Gehirn lahm legen konnten. Diego war in der angenehmen Umgebung ein wenig faul geworden, und jetzt musste er doppelt und dreifach dafür büßen.
Vor den Fenstern der Kabine tauchte die kurze Abenddämmerung alles in rötliches Licht, und wie immer um diese Stunde waren die Erinnerungen an die letzten Wochen sehr intensiv: Besonders schlimm war es im Moment, dass immer wieder Lana vor Diegos innerem Auge erschien. Regelmäßig war dann an konzentrierte Arbeit nicht mehr zu denken. Viel zu oft saß er nur traumverloren da, starrte mit blicklosen Augen auf den Monitor oder in ein Buch und durchlebte jeden Augenblick mit Lana neu. Nachts schlich sie sich in seine Träume und selbst am Tag wich sie nicht von seiner Seite. Immer war sie in seinen Gedanken bei ihm und Diego hätte alles dafür gegeben, wenn sie auf dieser Reise wirklich hätte dabei sein können. Hier und in Berkeley und überhaupt für das ganze Leben!
Schon zweimal seit der Fahrzeugverladung in Marseille war Diego in das Frachtdeck hinabgestiegen, wo neben den Fahrzeugen seiner Eltern auch sein eigenes Porsche-Cabrio stand. Mit diesem Wagen waren Lana und er in der Provence unterwegs gewesen. Zwar waren ihr Duft und ihre Wärme schon lange verflogen und vergangen, aber trotzdem spürte er immer noch einen Hauch ihrer Energie, ihrer Lebendigkeit, wenn er sich in den Wagen setzte.
Draußen senkte sich die Dunkelheit über das Land und die Manhattan stoppte. Das musste jetzt die erste Schleuse sein. Diego riss sich mit einem tiefen Seufzer aus seinen Wunschträumen und wandte sich wieder dem Buch über Planktonunterarten im nördlichen Golfstrom zu. Das hatte zwar nichts mit seinem Studiengang zu tun, aber er hatte Meeresbiologie als Interessengebiet genannt, und da konnte es durchaus sein, dass die Aufnahmekommission ausloten wollte, wie ernsthaft sein Interesse denn nun wirklich war.
Nach einer unruhigen Nacht wurde Diego am nächsten Morgen durch ein deutliches Hungergefühl geweckt. Er bestellte beim Koch eine Kleinigkeit und ging in den unteren Salon. Das musste heute als Frühsport reichen. Nach dem Essen überkam ihn dann aber doch die Lust, eine Runde zu Schwimmen, also ging er zu dem mit Salzwasser gefüllten zehn mal fünf Meter großen Pool auf dem ersten Oberdeck. Seine Eltern waren schon da und ließen sich mit geschlossenen Augen dicht unter der Oberfläche treiben.
Diego schlüpfte aus seiner Kleidung, ließ sich ins Wasser gleiten und stand sofort mit ihnen in Verbindung. Ein Gefühl der Wärme und Zuneigung umfing ihn, wie er es sonst nur ein einziges Mal erlebt hatte: Das war zusammen mit Lana in der einsamen Badebucht gewesen. Dort, wo sie sich so nahe gekommen waren, wie nie zuvor und nie danach.
Diegos Körper stellte sich um, und nach kurzer Zeit war die Atemluft für ihn verzichtbar geworden. Genau wie seine Eltern ließ er sich ein Stückchen weit unter den Wasserspiegel absacken. Genüsslich spürte er das herrliche Gefühl des Salzwassers auf der Haut und schloss die Augen.
Dummerweise drängte sich ausgerechnet in diesem Moment des höchsten körperlichen Wohlbefindens wieder Lana in seine Gedanken, und natürlich bekamen seine Eltern das mit. Ein Impuls der Heiterkeit ging von ihnen aus, aber auch Verständnis und Sympathie waren spürbar. Diego ließ es gut sein. Es war ja schließlich kein Geheimnis, wie sehr er Lana mochte, und dass auch seine Eltern sich liebten, konnte er spüren, wann immer er mit ihnen zusammen war.
Schließlich drängte das wohlige Gefühl, völlig von Meerwasser umgeben zu sein, alle anderen Gedanken zurück. Nur ein paar Traumfetzen tauchten hier und da auf, aber sie waren zusammenhanglos und allesamt angenehm. Nach einigen Minuten der Selbstvergessenheit schwamm Diego ein paar Runden im Pool, wobei er darauf achtete, seine Eltern nicht zu stören, die immer noch völlig entspannt im Wasser trieben und es sich gut gehen ließen.
Die Manhattan zog ruhig durch das glatte Wasser des Kanals; nur wenn sie die Bugwellen entgegenkommender Frachter kreuzte, reagierte die gewaltige Motoryacht mit einer leichten Verneigung.
Diego hatte sich wieder angekleidet und war auf dem Weg zu seiner Kabine. Er warf der in bedrohlicher Nähe vorbeiziehenden Uferböschung einen kurzen Blick zu und ging weiter. Sie waren bis auf ein paar Ausweichstopps die ganze Nacht durchgefahren und mussten die Passage fast geschafft haben. Die erste Schleusung auf der Pazifikseite lag jedenfalls schon eine Weile hinter ihnen.
Diego sah über die Reling hinweg auf die anderen Yachten hinab, die sich um die Manhattan scharten, wie Küken um die Glucke. Anschluss zu halten war ihre einzige Chance, schnell und kostengünstig den Pazifik zu erreichen.
Die Manhattan verlor an Geschwindigkeit. Voraus mussten die Schleusen von Miraflores sein. Danach würde es dann endlich wieder zügig weitergehen.
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