1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Frisch ausgeruht setzte sich Diego an die Arbeit. Die Schleusung interessierte ihn nicht, aber als die Manhattan Pazifikniveau erreicht hatte, hielt er es nicht mehr lange aus. Unruhig ging er an Deck und hielt Ausschau.
Auf der linken Seite waren die Hafenanlagen von Panama-City zu sehen. Puerto Balboa befand sich schon auf normaler Meereshöhe und von hier aus war bereits die Bogenbrücke zu erkennen, die noch vor der Stadt den Kanal überspannte. Für Diego war die elegante Stahlkonstruktion immer so etwas wie ein Symbol der Freiheit gewesen, denn wenig später zog dann schon auf der Backbordseite die Skyline von Panama-City vorbei. Die Durchfahrt war geschafft, und vor ihnen lag endlich der offene Pazifik.
Vor die endgültige Freiheit auf den Weiten des Ozeans hatten die Götter des Meeres allerdings die King Caetan VII gesetzt, die ein Stück weit vor Panama-City auf Reede lag. Der luxuriöse Großsegler gehörte dem König des Pazifischen Raums, und der lud die Montenaux´ natürlich über Funk für den Abend ein. Also wurde wieder gestoppt und Diego setzte sich verdrießlich hinter seine Bücher. - Erst die Fahrt im Schneckentempo durch den Kanal und jetzt würden sie noch einen ganzen Tag verlieren. Diese Vereinnahmung unter dem Deckmantel der Gastfreundschaft behagte ihm überhaupt nicht.
Gegen Abend zog Diego sich für die Party um und stellte fest, dass er vor lauter Ärger zum ersten Mal seit seiner Abreise aus Marseille richtig gelernt hatte.
Die Höflichkeit gebot es, etwas vor der Zeit an Bord der King Caetan VII zu erscheinen, damit man sich noch ein wenig unterhalten konnte, bevor die Party begann. Das wurde einfach erwartet, und so war das Beiboot der Manhattan das erste, das längsseits des Großseglers ging.
„Was für ein seltener Besuch!“ Caetan, der König des Pazifischen Raums kam den Montenaux´ mit weit ausgebreiteten Armen auf dem Deck entgegen. Er sah aus wie ein gestandener Mann in mittleren Jahren, aber man sagte von ihm, dass er schon zur Zeit der Kreuzzüge gelebt hatte. Er musste im Lauf seines Lebens hunderte von Jahren an Lebenskraft gestohlen haben. „Schön, dass ihr mal wieder den Weg zu mir gefunden habt.“
„Weg gefunden?“, raunte Diego und handelte sich dafür einen warnenden Blick seiner Mutter ein. Ganz so, wie Caetan es darzustellen versuchte, war es ja nun wirklich nicht. Er hatte mit seinem prächtigen Viermaster förmlich auf der Lauer gelegen, und für die Manhattan hatte es nicht die geringste Chance gegeben, sich unbemerkt vorbeizumogeln.
Caetan hatte einen völlig anderen Charakter als Sochon, der König des Atlantischen Raums. So wie Sochon das einfache Leben schätzte, liebte Caetan den Prunk.
War Sochon eher bescheiden in seinen persönlichen Ansprüchen, so neigte sein Amtskollege aus dem Westen zur Unmäßigkeit in jeder Beziehung. Er liebte gutes, reichliches Essen, die Feste in seinem Palast waren legendär, und vor allem anderen liebte er Neuigkeiten. Er war regelrecht klatschsüchtig. Nur deswegen ankerte er so oft in diesen Gewässern, in denen eine Darksideryacht nach der anderen auftauchte. Es war fast so, als sei das Nadelöhr Panamakanal extra für den König des Pazifiks gebaut worden, um ihn zu erfreuen.
Das war natürlich nicht so, aber trotzdem hatte Caetan seinerzeit beim Bau ein hübsches Bündel Kanalaktien erworben. Eine gute Investition, denn der Kanal war von Beginn an zu einem Lebensnerv der Schifffahrt geworden und die Wertpapiere hatten jedes Jahr eine enorme Rendite abgeworfen.
Nachdem der etwas füllige Caetan Diegos Mutter fest umarmt, dem Vater die Hand geschüttelt und Diego selbst auf die Schulter geklopft hatte, fragte er sofort: „Wie geht es euch denn so? Was gibt es Neues im guten, alten Europa? Man hört ja so einige seltsame Dinge von der Gemeinde in Oostende.“
Diegos Vater lachte und begann zu erzählen, während sie Caetans Wohnbereich ansteuerten. Offenbar wusste er wirklich etwas über die angesprochenen Vorkommnisse in Belgien.
Diego hatte keine Lust daneben zu hocken, während seine Eltern Caetan mit irgendwelchen Klatschgeschichten aus Europa fütterten, also blieb er zurück, stellte sich an die Reling und schaute sehnsüchtig auf den Pazifik hinaus. Die Sonne stand schon dicht über dem Horizont und die ersten Motorboote mit Partygästen kamen an.
Caetan hatte ein eigenes Team, das darauf spezialisiert war, mit einem kleinen Boot an die Yachten heranzufahren und die Leute einzuladen. Eine Gratisparty mit Livemusik bekannter Gruppen bekam man auch als Yachtbesitzer nicht alle Tage geboten und so konnte Caetan sicher sein, dass an jedem Abend reichlich Besucher auf das Deck seines Schiffs kamen. – Nachschub für den ewigen Hunger auf Lebenskraft.
Immer mehr Leute kamen an Bord, aber die meisten der Gäste verschwanden nach der Kontrolle auf Waffen sofort unter Deck; wohl um herauszubekommen, wo es die Gratisdrinks gab und wo das Büfett aufgebaut war. Nahezu jeder von ihnen würde heute Abend unbemerkt einen kleinen Teil seiner Lebenskraft einbüßen.
Diegos Mitleid mit Caetans Gästen hielt sich in Grenzen. Er selbst würde sich nicht an diesem Beutezug beteiligen, aber immerhin bekamen die Leute etwas für ihre unfreiwillige Spende: Einen Abend, den sie wohl ihr - ein wenig verkürztes - Leben lang nicht vergessen würden. Das war die Logik der Darksider, von der auch Diego sich nie ganz hatte freimachen können.
Im großen Salon erklangen die ersten Takte der Musik und das Deck leerte sich. Diego spürte, wie jemand neben ihn trat.
„Wie geht es Sochon?“, sprach Caetan ihn an. „Man hört, er schreibt an einem Buch.“
„Sein Opus Magnum“, bestätigte Diego. „Die Geschichte unseres Volks, so wie er sie erlebt hat.“
„Geschichte?“ Caetan lachte auf. „Was soll denn da drin stehen? Wer soll es lesen?“
„Ich glaube, er macht es mehr für sich selbst.“ Diego hob die Schultern und sah Caetan an. „Auf jeden Fall darf niemand das Manuskript sehen.“
„Niemand?“ Caetan hob erstaunt die Augenbrauen. „Auch du nicht? Immerhin bist du sein Neffe.“
„Niemand!“ Mit einer verneinenden Geste machte Diego klar, dass es sinnlos war, ihn über den Inhalt von Sochons Werk aushorchen zu wollen.
Es war Caetan anzusehen, dass er gerne mehr gewusst hätte, aber mit einem lässig hingeworfenen: „Na, wen interessiert schon die Vergangenheit?“, beendete er zu Diegos Erleichterung von sich aus das Thema. Er wäre aber nicht Caetan, der König des Pazifischen Raums gewesen, wenn er nicht sofort seine Fühler in eine andere Richtung ausgestreckt hätte.
„Wie alt bist du jetzt eigentlich?“ Caetan lächelte Diego an und legte ihm mit väterlicher Geste eine Hand auf die Schulter. „Entschuldige meine Neugier, aber in deinem Alter darf man das doch noch fragen, oder?“
„Kein Problem“, winkte Diego ab. „Ich werde in ein paar Tagen Zwanzig.
„Erdenjahre, richtig?“
„Richtig!“, lächelte Diego. Im Glauben seines Volkes gab es ja auch noch die Planetenjahre, die jeweils vier Erdenjahre lang dauerten. Da war es schon von Bedeutung, welche Zählweise man anwandte.
„Ein schönes Alter.“ Caetan wandte sich von Diego ab und sah auf das Meer hinaus. „Ich habe mir meine erste Frau genommen, als ich Zwanzig war. Das war eine tolle Zeit. – Wirklich ein schönes Alter!“
Ah, darum ging es also. Caetan hatte das Gespräch mit Diego gesucht, um ihm eine seiner Töchter aufzuschwatzen. Jetzt musste Diego schnellstens die Notbremse ziehen, bevor sich in Caetans Kopf etwas verfestigte, was nicht sein konnte. „Hast du eigentlich von der Affaire um Dolores Del Toro gehört?“ fragte er, um Caetan abzulenken.
„Wer hat das nicht?“ Caetan schnaufte unwillig. „Dolores! Sie hat sich Lebenskraft von irgendeinem Touristenmädchen geholt, aber sie hat sich nicht beherrschen können. Sie hat sie fast umgebracht und jetzt gibt es da diese Siebzehnjährige, die aussieht wie eine Greisin. Wie kann man nur so dämlich sein, sich bei so was erwischen zu lassen?“
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