„Die King Caetan liegt vor der Küste und er ist an Bord“, erzählte Thakur.
„Woher weißt du das?“
„Komm mit ins Schlafzimmer und ich zeig’s dir.“
Greta stand auf und folgte Thakur. „Wow!“, entfuhr es ihr, als sie das riesige Teleskop auf dem schweren Stativ entdeckte, das in der Nähe des Fensters stand. Sofort steuerte sie auf das Gerät zu.
„Warte noch!“ Thakur setzte sich auf den Stuhl vor das Teleskop, schaute durch das Okular und richtete das Gerät neu aus. Die Elektromotoren summten kurz auf und richteten die Optik wieder genau auf das Schiff. Unmerklich schwenkte das Teleskop um ein paar hundertstel Grad nach rechts. „So, jetzt!“ Thakur gab das Okular frei und stand auf.
Greta setzte sich, beugte sich zu dem Gerät hinab und konnte ein zweites „Wow!“ nicht unterdrücken. „Zum Greifen nah!“, staunte sie. „Man kann die Glieder der Ankerkette erkennen. Gib mir mal die Fernbedienung.“
Thakur händigte ihr das Kästchen mit den Steuerelementen für die X- und Y-Achse sowie die Zoom- und Schärfefunktion aus.
Greta machte sich kurz mit dem Gerät vertraut und ließ dann die Motoren schnurren. Was immer man ihr sonst nachsagen konnte: Berührungsängste mit technischen Anlagen kannte sie nicht. Offenbar suchte sie das ganze Schiff mit maximaler Vergrößerung ab.
„Ah, da ist er ja!“, knurrte sie plötzlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
„Caetan?“
„Caetan!“, bestätigte Greta. „Ich könnte die Knöpfe an seinem Hemd zählen. Wie kräftig er aussieht. Man möchte schwören, dass er noch keine Fünfzig ist.“ Sie richtete sich auf und reckte sich. „Tolles Gerät!“, meinte sie. „Gibt’s die nicht auch mit Kamerafunktion, sodass das Bild auf einem Monitor erscheint?“
„Gibt es“, bestätigte Thakur, „aber der Verlust an Bildschärfe ist zu groß. Pure Optik ist besser. Übernimmst du mal die Überwachung? Ich hab schon einen total steifen Hals. Es müsste gleich losgehen.“
„Was geht los?“ Greta beugte sich wieder über das Okular und strich sich die halblangen, roten Haare in den Nacken.
„Die Party. Schätze, Caetan bekommt gleich jede Menge Besuch.“
„War das gestern auch so?“ Greta sah Thakur kurz an.
„Ja! Lauter Touristen, die er von seinen Leuten einladen lässt.“
„Ich lade dich zum Essen ein, und du wirst das Essen sein“, meinte Greta und wandte sich wieder dem Teleskop zu.
„So sieht das aus!“ Thakur verließ den Schlafraum und machte es sich im Wohnzimmer gemütlich. Seine Nackenwirbel knirschten bei jeder Bewegung des Kopfes wie eingerostete Türangeln. - Vielleicht wäre eine Observierung über Okularkamera und Monitor doch besser gewesen.
Es dauerte nicht lange und aus dem Nebenraum kam die erste Meldung: „Da legen Motorboote an und noch so einige sind aus der Kanalzone unterwegs.“
„Genau wie gestern.“ Thakur versuchte immer noch, seinen verspannten Nacken wieder geschmeidig zu bekommen. „Schau genau hin. So nah ist man selten dran.“
Wenig später schien die Party schon voll im Gange zu sein. „Völlig hemmungslos!“, ließ Greta sich hören. „Die wissen gar nicht mehr, was sie tun. – Widerlich! - Die armen Leute!“
„Hm“, machte Thakur. Er spürte schon wieder den Neid in sich aufsteigen. „Das geht jetzt noch eine Zeit so weiter. Das wollte ich nur wissen - dass die jeden Abend Party machen, meine ich.“
„Ich will da hin!“ Greta kam durch die Tür und zeigte hinaus auf das Meer, wo das große Segelschiff gemächlich in der Dünung auf und ab schwang. Mit bloßem Auge betrachtet war es so klein, dass man es mit dem Daumen der ausgestreckten Hand hätte abdecken können. „Ich habe einen Plan und ich will auf das Schiff!“
„Lass uns das bereden, wenn Izzy da ist“, schlug Thakur vor. So hatten sie es immer gemacht und daran würde sich auch nichts ändern. „Für heute ist Feierabend. Was meinst du, wollen wir uns ein nettes Restaurant in der Stadt suchen? Ich lade dich ein.“
„Ich bin dabei.“ Greta hatte sofort begriffen, dass es sinnlos war, mit ihrem Plan vorpreschen zu wollen, solange sie noch nicht vollzählig waren. Vielleicht hatte Izzy ja einen noch viel besseren Vorschlag. „Außer Bordverpflegung habe ich heute noch nichts gehabt. Mit was willst du mich denn füttern?“
„Schauen wir mal.“ Thakur setzte sich vor sein Notebook. Greta kam heran und sah ihm über die Schulter. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ein Lokal gefunden, das ihren Ansprüchen genügte. Es wurde sogar ein kleines Unterhaltungsprogramm geboten, und Thakur reservierte sofort online einen Tisch für neun Uhr.
„Ein bisschen Zeit haben wir noch. Vorher einen kleinen Stadtbummel? Wir nehmen uns ein Taxi, lassen uns schon mal in die Nähe des Restaurants bringen und laufen ein bisschen rum.“
„Gern!“ Greta griff nach ihrer Handtasche, steuerte auf das Bad zu und schloss die Tür hinter sich. Nach zwei Minuten tauchte sie wieder auf. „Kann losgehen!“, verkündete sie. „Meinst du, dass noch ein paar Läden auf haben?“
„Aber sicher!“ Gut gelaunt ließ Thakur seiner Kollegin an der Zimmertür den Vortritt. Er war zufrieden. Der Job lief gut an und das Restaurant, das sie ausgesucht hatten, war fast schon eine Garantie für einen unterhaltsamen Abend. Greta machte einen hochmotivierten Eindruck und jetzt musste nur noch Izzy auftauchen. Aller Erfahrung nach würde das morgen der Fall sein, und dann konnten sie darangehen, einen Plan auszuarbeiten. So langsam wurde das Jagdfieber in Thakur wach. Caetan war so gut wie tot. Die ganze gestohlene Lebenskraft würde ihm nichts nützen. Thakur konnte es kaum erwarten, ihn sterben zu sehen.
Gegen Mittag des nächsten Tages stand Izzy vor der Tür des Zimmers im neunzehnten Stock. Nach kurzer Begrüßung führte Greta ihn ins Schlafzimmer, wo Thakur gerade Schichtdienst am Teleskop machte. Im Moment war auf der King Caetan nicht viel los. Wie ein Totenschiff dümpelte der Viermaster in der Mittagshitze. Nur eine dünne, bläuliche Abgasfahne am Heck verriet, dass der Generator lief, der die Bordelektrik mit Strom versorgte. Noch nicht einmal Wachen waren zu sehen. Thakur vermutete, dass die Überwachung der Umgebung über Kameras in der Takelage lief.
Izzy zeigte sich bei weitem nicht so beeindruckt von dem Teleskop wie Greta. Während seiner Militärzeit hatte er auf Zerstörern ebenso leistungsfähige Optiken kennengelernt, die von der Schiffsartillerie zur Zielortung und Entfernungsbestimmung benutzt wurden. „Hi, Thakur“, grüßte er nur. „Na, lohnt sich die Quälerei? Warum lässt du das nicht über einen Monitor laufen?“
„Ist besser so!“, brachte Thakur säuerlich hervor. Es war ganz offensichtlich, dass er einen Fehler gemacht hatte, aber dass seine Leute ihm das so deutlich sagten, konnte er nur schwer ertragen. „Lass uns rübergehen. Ich gebe es auf. Da drüben ist ja doch nichts los. – Hast du einen Schlachtplan mitgebracht?“
„Sicher doch!“ Izzy verließ den Raum schon wieder, während Thakur sich noch mühsam aufrichtete und reckte. „Lass uns über den Job reden.“
„Schlachtplan“ traf es genau, denn Izzy war für eine recht brachiale Lösung. Er schlug vor, Caetan im Wasser aufzulauern. Schließlich war es das Fest des Wassers, da verlangte der Ritus es, dass der König ins Meer stieg und den Göttern dankte. Izzy bot sich an, die Sache bei dieser Gelegenheit mit Pressluftharpune und Explosivpfeilen klarzumachen, wie er sich ausdrückte. Für ihn als ausgebildeten Kampfschwimmer wäre das sicher ein gangbarer Weg gewesen, aber es blieben Unsicherheiten: Allein würde der König bestimmt nicht sein, und wenn seine Leute Izzy vorzeitig entdeckten, sah es schlecht aus für ihn – und für den Plan. Wenn der König bemerkte, dass man es auf ihn abgesehen hatte, würde er mit Sicherheit sofort in den Weiten des Pazifiks verschwinden und so schnell nicht wieder auftauchen.
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