Kapitel 6
Die leere Kammer
Ich habe soeben die letzten Kämpfe gegen meinen inneren Schweinehund geführt und bin etwas platt von der heftigen Auseinandersetzung. Sich selbst zu widersprechen ist ein echter Kraftakt und man weiß vorher nie, wie es ausgeht. Es kommt einfach dazu, wenn man einem Impuls nicht folgen will, weil man ein gewisses Bewusstsein zurückerlangt hat. Dann bemerkt man, dass es ein ungewollter und nicht geplanter Impuls ist. Das kann sich bis zu äußerst krankhaftem Verhalten steigern, wenn man die Kraft, gewissen Impulsen zu widerstehen nicht aufzubringen vermag. Wie z.B. bei Sexsüchtigen, die dann zu Vergewaltigern mutieren. Diese selbst armen Teufel, wenn auch Täter, wissen genau, dass sie das nicht sind und auch nicht sein wollen. Und doch erlauben sie ihrem Unterbewusstsein der Stärkere zu sein und nehmen in Kauf, Menschen schweren Schaden zuzufügen und dafür ins Gefängnis oder in die Anstalt zu gehen. Ich verstehe jeden, der sich das Rauchen abgewöhnen möchte und hundertmal die letzte Zigarette qualmt, halb begonnene Packungen wegwirft, um sich wieder eine komplett neue zu kaufen. Entzugserscheinungen nennt man das, was einem körperlich da widerfährt und das tut gefühlt auch richtig weh.
Seinem inneren Drang zu widerstehen, einen Konflikt auf dieser Ebene auszulösen, kann zum Teil ähnliche Dinge hervorbringen. Muskeln verhärten, man neigt zu Erkältungen oder anderen Symptomen, die man nicht in dem Maße bekäme, wenn man einfach nachgeben würde. Versuche mal eine Wand zu verschieben die Dir im Weg steht, ohne das entsprechende Werkzeug. Immer gleich zum Therapeuten rennen kann teuer und langwierig werden. Und nur wenn dieser meinen Konflikt auch findet, kann er mir mehr oder weniger dabei helfen. Konfrontieren muss ich es letztlich doch selber. Aber genau da liegt die Krux begraben, selten bringe ich die dazugehörige Kraft auf und deshalb macht es wohl auch Sinn, sich helfen zu lassen. Wer es dann aber schafft, gleichgültig ob aus eigener Kraft oder gemeinsam, wird eine weitere Hürde los sein und befreiter seinen eigentlichen Weg beschreiten können. Ab einem gewissen Grad an Befreiung passiert dann vielleicht das, was ich gerade erlebt habe. Es fehlt etwas! Das Spaßige daran ist, ich werde nicht versuchen es zurückzuholen. Die meisten Dinge verlieren wir nicht gerne, schon gar nicht unsere Kontrolle. Da aber diese Attacken aus dem Hinterkopf nicht gerade förderlich sind, muss man ihnen auch nicht nachtrauern.
Ich möchte versuchen folgendes zu beschreiben: „ Es ist merkwürdig ruhig in mir. Ich merke, dass etwas nicht da ist, was aber immer zu einem gewissen Grad da war. Dabei spielt es keine Rolle, ob es heftig in den Vordergrund zu treten versuchte oder lediglich unter der Oberfläche so dahin schlummerte. Es ist weg, irgendjemand muss einen Stecker gezogen haben. Lustiger Weise geht mir aber nicht der Strom aus, ich fühle im Gegenteil, dass mein Akku eher an Fülle hinzugewonnen hat. Diese Ruhe ist sehr gewöhnungsbedürftig. Mann, ich habe eine Familie gegründet, damit ich mal nicht als Einsiedler ende. Mein Kopf fühlt sich an, wie ein totaler Single, keine Nebengeräusche, kein Streit, keine Reibereien, keine offenen Fragen oder fehlende Pläne. Es gibt keine Bewegung von irgendetwas, selbst einsam am Meeresstrand zu sitzen und den Sonnenuntergang zu betrachten bedeutet mehr Action zu erleben.
Ich erwische mich dabei, wie ich anfange zu genießen. Ich habe meine Selbstbestimmung wieder und solange ich selbst keinem Lärm verursache, mich selbst nicht verrückt mache, zu engen Zeitplänen hinterherhetze oder meine ständig irgendeine unnötige Aktion zu machen, lebe ich einfach. Nein, ich bin kein Aussteiger, was soll ich im Outback? Nein, ich bin kein Verweigerer, im Gegenteil. Meine Aufgaben nehme ich sogar konzentrierter wahr, als zuvor. Mein Engagement ist gewachsen, es macht mehr Spaß als früher. Ängste zu versagen, Lampenfieber oder andere beeinträchtigende Sichtweisen bzw. Gefühle sind verschwunden. Es ist fast so, als gehörten sie nie zu mir und ich hatte keine Ahnung, dass ich sie nicht brauchte. Wozu also wiederbeschaffen, wenn der Zweck den sie erfüllten hoch widersprüchlich und auf jeden Fall zu hinterfragen ist. Ich muss jetzt allerdings alles selbst verantworten.
Wenn man keinen Poltergeist in seinen Gedanken hat, gibt es auch keine Ausreden da wäre der kleine Mann im Ohr, der einem dieses und jenes geflüstert hat. Merkwürdig wie einstudierte, nach immer gleichem Muster verlaufende Verhaltensweisen sich verabschiedet, den Geist aufgegeben und nicht zurückgefunden haben. Der Dachboden ist wieder besenrein, der Keller aufgeräumt. Der ganze Ballast wurde als Sondermüll abgeholt, was bleibt ist eine ordentlich leere Kammer.
Jetzt geht es nur noch darum, sie mit wertvollen Dingen wieder zu füllen. Denn selbst der klarste Verstand arbeitet ohne Ausbildung nicht gut. Deshalb brauchen wir wertvolle Studien und Daten, damit wir die Welt tatsächlich verbessern können. Gut, dass wir das mal klargestellt haben. Da ich jetzt auch nicht mehr willkürlich durch den Tag schreite, sondern genau tue was gerade anliegt ohne mich lange dazu überwinden zu müssen, habe ich mehr Zeit. Da war ich eigentlich schon vorher recht gradlinig drin. Aber jeden Schritt oder Handschlag selbst entschieden zu haben, ist noch etwas anderes als Staub zu wischen, nur weil mein zweites Ich eine Staubphobie hat.
Ich werde eine Weile brauchen damit klarzukommen, mich mit dieser unbekannten geistigen Freiheit zurechtzufinden. Aber es ist schön, weil ich fühle, dass es eine Verbesserung bedeutet, die mich mein Leben in Zukunft leichter führen und meine Umgebung und die darin wohnenden Mitmenschen besser verstehen lässt. Agieren statt reagieren, geradeaus gehen statt herum zu eiern, zu wissen was richtig ist und es umzusetzen, das muss der neue Plan sein. Die Kammer soll ihren Zweck haben und bekommen, was immer deren Sinn einmal zu sein vermag.
Kapitel 7
Frieden
Da ich nun im wahrsten Sinn des Wortes „selige Ruhe“ gefunden habe, möchte ich Dich mitnehmen an diesen besonderen Ort der inneren Ausgeglichenheit. Ich dachte, ich müsste wirklich nichts sehen, aber so ist es nicht.
Ich nähere mich allmählich langsam einem in dunkles Orange getauchtes Universum, indem es außer diesem gedämpften Licht nichts zu geben scheint. Es ist als ob ich schwebe, einfach dahinein gleite, jedenfalls sehe ich meine Füße nicht. Über dem Boden, falls es einen gibt, liegt ein zarter Nebel. Dieser kräuselt sich wie in kleinen Wolken, als ob man dort hindurchfallen könnte. Es erinnert mich ein wenig an eine Therme mit Dampfsauna und Ruheraum. Der Ort ist Teil meines Verstandes, wie ein riesiges Lager indem es nichts gibt außer mir und dem sanften Licht. Selbst wenn ich der Ansicht wäre, dass dort irgendetwas sein müsste, ich vermisse niemanden. Ich bin mir selbst ausgeliefert und finde es super. Ich brauche keine Kommunikation, keine Tipps oder Ratschläge. Ich vermisse keine Bewegung, welcher Art auch immer.
Ich stelle fest, dass dieser Raum in seiner unendlichen Größe allein mir gehört und ich damit machen kann was immer ich will. Bei so viel Einsamkeit könnte man sich fürchten, Panikattacken bekommen und versuchen zu fliehen. Ich wüsste wirklich nicht vor wem und wohin? Es ist so unglaublich toll, diesen Platz allein mit meinen Gedanken, Wünschen, Plänen aller Art und Visionen der allergrößten Kunst zu gestalten, ohne dass hier irgendjemand oder etwas dazwischen quatscht. Das ist ein unfassbarer Frieden, eine Harmonie, die ich mir im Zusammenleben mit anderen nicht vorzustellen vermag, da immer einer querschießt. Mal ganz abgesehen von üblen Machenschaften, Menschen die Dir nicht wohlgesonnen sind, ihre völlig unverdiente Macht missbrauchen oder anderweitig das Leben schwer machen wollen. So sehr im Reinen mit mir selbst war ich noch nie zu einer vorherigen Zeit, an die ich mich offen erinnern könnte.
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