Schließlich reinigte er seine Holzschuhe mit einem alten Lappen notdürftig von dem ekelhaften Schmutz. Dann stellte er den Spaten wieder in den Geräteschuppen, streifte seine Schuhe über und schlich langsam zu seinem Haus zurück.
„Du bist schon wieder da?“ empfing ihn seine Frau und schaute ihn ungläubig an. „Du hast ja noch deine Arbeitskleidung an.“ Vorwurfsvoll betrachtete sie zweifelnd die mit Erdkrusten beschmutzte Arbeitshose. Wie sollte sie diese wieder sauber bekommen? Warum konnte ihr Mann nicht ein bisschen besser aufpassen und auf sie, die Hausfrau, Rücksicht nehmen?
Sie sah auf die große Küchenuhr und schüttelte den Kopf. Ihm war sicher wieder einmal die Arbeit zu viel geworden.
„Das ging ja schnell. Hast du die Büsche schon ausgegraben? Ich dachte, du kommst erst um zehn. Das Frühstück ist noch nicht fertig.“
Sie versuchte, einen ruhigen Ton anzuschlagen, denn sie wollte keinen Streit anzetteln.
Hinnerk konnte nicht verhindern, dass sie zum Fenster ging und den Acker in Augenschein nahm. Sie ist neugierig wie immer, konnte er nur geringschätzig denken. Und sie redete entschieden zu viel.
„Das ist doch mühsamer als ich dachte,“ rechtfertigte er sich mit brüchiger Stimme und mit immer noch zitternden Knien, „ich werde heute Nachmittag weitermachen. Ich glaube, ich habe mich verausgabt.“
Hinnerk ließ sich kraftlos auf einen Stuhl sinken und atmete schwer. Das soeben Geschehene hatte seine ganze Energie verbraucht. Im Augenblick fühlte er nur eine große Leere. An das Frühstück hatte er nun wirklich nicht gedacht und Hunger verspürte er auch keinen. Im Gegenteil, ihm war immer noch übel von dem Anblick des ausgegrabenen Fundes auf seinem Acker.
Doch musste er Zeit gewinnen. Den forschenden Blick seiner Frau übersah er geflissentlich. Swantje schien ihn auf Schritt und Tritt zu beobachten. Das Frühstück ließ er ausfallen. Der verwunderte Blick seiner Frau interessierte ihn im Moment nicht. Er trank jedoch etwas von dem dünnen Kaffee, der seinem Magen überhaupt nicht bekam. Die Zeit bis zum Mittag verbrachte er grübelnd auf der Torftruhe neben dem warmen Ofen.
Pünktlich um ein Uhr tischte Swantje Wurzeleintopf auf. Darin schwammen ein paar Stückchen Rindfleisch.
„Eintopf am Sonntag?“ fragte Hinnerk gleichgültig und schien mit seinen Gedanken woanders zu sein. Sie könnte ihm auch Gras vorsetzen und er hätte es gegessen, denn ihm schmeckte alles gleich oder besser gesagt, ihm schmeckte überhaupt nichts mehr. Scheinbar hatten sich sein Appetit und sein Geschmackssinn verflüchtigt.
Swantje beobachtete ihn abwartend, als sei sie auf dem Sprung.
„Drei Tage vor dem Zahltag gibt’s nichts anderes,“ bestimmte sie und giftete ihn mit bissigem Unterton an: „Vielleicht solltest du nicht so viel Geld für Bier und Schnaps ausgeben! Deine Zechtouren nehmen wirklich überhand. Es ist einfach nicht zu fassen.“
Sie begann, sich immer mehr in Rage zu reden und warf die Blechlöffel auf den Holztisch, dass es nur so klapperte.
Hinnerk stierte sie nur abwesend an. In einer normalen Situation hätte es böse Kommentare von ihm gegeben. Aber dies waren keine alltäglichen Verhältnisse mehr. Nicht nach diesem grausamen Fund, den er gemacht hatte.
Er verzweifelte angesichts seiner Gewalttat an Oskar Marakow. Könnte er sie rückgängig machen, würde es auf der Stelle tun und sogar Freundschaft mit diesem schließen. Aber vielleicht war es ja gar nicht Oskar, dessen Skeletteile er ausgegraben hatte? Vielleicht hatte ein anderer einen Mord begangen und wollte ihn vertuschen? Für kurze Augenblicke tröstete er sich mit diesem Gedanken.
Aber mit seiner Frau konnte er weder darüber sprechen noch konnte er nun weiter essen. Er legte den Löffel neben seinen noch fast vollen Teller auf den Tisch und schob ihn Swantje zu, weil er wusste, wie gerne Sie Wurzeleintopf aß. Vielleicht konnte er sogar wieder etwas gutmachen mit dieser Geste, obgleich sie für ihn kein Opfer bedeutete. Aber seine in der letzten Zeit ausgestoßenen harten Worte taten ihm jetzt leid. Seine Frau aber schob den Teller sofort entsetzt zurück und weigerte sich, auch nur einen Löffel davon zu essen. „Ich mag auch nicht mehr,“ sagte sie, „ich schaffe es kaum, meinen Teller leer zu essen.“
Und dann fügte sie beschwichtigend hinzu: „Außerdem möchte ich ein paar Pfund abnehmen.“ Hinnerk musterte sie nun mit erstauntem Blick, denn das hatte sie wirklich nicht nötig. Swantjes Gestalt hatte ihm immer gefallen. Außerdem hatte er solche Äußerungen noch nie von ihr gehört und er begann, sich immer mehr über seine Frau zu wundern, die ihm mit einem Mal wie eine Fremde erschien. Sie sollte sich doch glücklich schätzen, dass sie in diesen schlechten Zeiten überhaupt etwas zu beißen hatte. Seine Gedanken ruhten wie schwarze Schatten in seinem Innern.
Swantje entleerte den Eintopf samt Tellerresten in den Abfalleimer. Hinnerk wunderte sich schon wieder. Das hatte sie noch nie getan. Sonst gab sie die Reste in den Topf und wärmte den Inhalt abends wieder auf.
Nach dem Essen wusch Swantje sofort das Geschirr im Spülbecken gründlich aus. Hinnerk versuchte, sich ein wenig auszuruhen, konnte aber seine Gedanken nicht abschalten. Und der Wurzeleintopf rumorte in seinem Magen und war ihm nicht bekommen, obwohl er doch nur ein paar Löffel davon gegessen hatte.
Er versuchte seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, was ihm nicht gelingen wollte. Die Nacht mit Oskar Marakow ließ sich nicht verscheuchen. Immer wieder tauchte der helle Schädel vor seinem inneren Auge auf. Was hatte er getan? Er erinnerte sich noch genau an das Verhalten seiner Frau, als sei es gestern gewesen. Wieso konnte er sich nicht an alles erinnern?
Swantje war nach der Nacht, die er mit Oskar verbracht hatte, Tage lang stumm geblieben. Sie war ihm aus dem Weg gegangen und hatte mit Gleichmut an ihm vorbeigesehen. Beide hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen, denn auch Hinnerk konnte ziemlich stur sein und war sich keiner Schuld bewusst gewesen. Das unbedeutende Zechgelage mit dem schönen Oskar konnte sie doch nicht zum Anlass genommen haben, ihn für ewige Zeiten zu ignorieren, hatte er bitterböse gedacht. Am fünften Tag hatte sie mit bissigem Unterton gefragt: „Wo ist eigentlich dein Ehering?“ und deutete auf seinen rechten Ringfinger, der dort, wo der Ring eigentlich getragen werden sollte, einen hellen Streifen aufwies. Aber von einem Ring war keine Spur zu sehen. Darauf wusste er nichts zu erwidern. Swantje saß mit griesgrämigem Gesicht vor ihm und fixierte ihn geringschätzig. Irgendetwas gefiel ihr nicht und sie fragte sich, was ihr Mann zu verbergen hatte.
„Welche Antwort würde dir denn gefallen?“ hatte er geblafft und sie missmutig angesehen und hinzugefügt: „Du bist eine richtige Kratzbürste. Öl mal deine Stimme, denn sie kratzt wie eine Bürste.“
Und das hatte er so ungeheuer lustig gefunden, dass er begonnen hatte, wie ein Verrückter zu lachen und kaum wieder damit aufhören konnte. Seine Augen aber hatten wie Irrlichter geflackert. „Den habe ich in den Kanal geworfen,“ hatte er schließlich das Gespräch beendet, nun wieder mürrisch, denn seine Stimmungen wechselten von einer Minute zur anderen. Er wollte nun nichts mehr davon hören. Hinnerk war ging hinausgegangen, um weiteren lästigen Fragen seiner Frau auszuweichen. Was ging es sie an, wo er seinen Ehering verloren hatte? Das war und blieb allein seine Sache.
Seine Frau aber hatte ihm nicht ein Wort geglaubt. Eine Zeit lang hatte sich ihre Kommunikation nur noch auf das Nötigste beschränkt. Swantje hatte beleidigt und mit blassem Gesicht ihre tägliche Hausarbeit verrichtet und wäre am liebsten davongelaufen. Wie in ihren Träumen. Aber ihre Ehe war bittere Wirklichkeit und kein Traum.
Hinnerk lag ausgestreckt in seinem Bett um zu ruhen. Wie sollte er es nur schaffen, die verdammten Rhododendronbüsche auszugraben? Was würde er noch finden? Plötzlich fiel ihm sein Ehering wieder ein.
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