„Was ist?“ fragte sie, denn mein Gedankengang schien sich über eine längere Zeitspanne hingezogen zu haben.
„Oh, nichts“, murmelte ich. „Ein Abendessen ist mehr als ich verkraften kann!“ Das klang nun nicht unbedingt positiv, aber sie schien es zu überhören. Geflissentlich.
„Ich heiße Myriam!“ sagte sie und streckte mir die Hand entgegen. „Und du?“
„Sneyder.“ Sie sah mich überrascht an. „Alle nennen mich so“, versuchte ich das zu entschuldigen. Es war genauso mein Nach- wie mein Spitzname, und selbst ich nannte mich so. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht.
„Gut, Sneyder“, sagte sie leise. „Was isst du gerne?“
„Pizza!“ Aber die konnte ich mir selbst warm machen – und tat es mir ungeheurer Beharrlichkeit und Ausdauer viel zu oft. „Aber das muss nicht sein! Was kochst du denn gerne?“
Sie hob die Schultern. „Ich koche eigentlich nicht oft. Ich...“ Sie lachte. „...mache mir auch immer Pizza warm!“ Man musste sie einfach lieben. Und wenn ich „man“ sage, meine ich: „ich“. Ja, sie war zum Verlieben und ich war auf dem besten Weg, genau dieses Ziel zu erreichen. „Wir können ja irgendwo essen gehen, natürlich, warum bin ich da nicht vorher drauf gekommen? Ich lade dich zu einem wirklich ordentlichen Essen ein, warum sollten wir auch hier bleiben?“
Sie wies auf ihre Wohnung, die, wenn nicht hübscher, so doch zumindest aufgeräumter war als meine eigene.
„Also Pizza essen wir beide auch so oft genug.“ Wenn ich ihre Ausdrucksweise hörte, wurde mir rot vor Augen. „Wie wäre es“, sie sah mich herausfordernd an: „mit einem Steakhouse? Steak und Salat?“
„Klingt hervorragend.“ Seit die Detektei nicht mehr so gut lief, also seit ich sie übernommen hatte, war ich nicht mehr in einem Steakhouse gewesen, oder: hatte ich nicht mehr ordentlich gegessen.
„Ich hab schon lange nicht mehr in einem Steakhouse gegessen“, meinte Myriam und überwältigte mich mit ihrem Lächeln. „Seit meine Eltern nicht mehr leben.“ Das Lächeln verschwand. Ich hob fragend eine Braue. „Autounfall“, erklärte sie und das Strahlen wich aus ihrem hübschen Gesicht.
„Tut mir leid“, murmelte ich.
„Danke.“ Sie tätschelte meine Hand. „Deswegen habe ich mir auch solche Sorgen um meinen Bruder gemacht.“
Ich nickte mitfühlend. Vielleicht ergab diese ganze Sache mehr Sinn, als es den Anschein erweckt hatte.
Das Telefon begann zu läuten. Das musste ihr Bruder sein. Ich erhob mich.
„Wann?“ fragte sie, während sie den Hörer abnahm und die Sprechmuschel zuhielt.
„Morgen Abend?“ fragte ich.
„Gut“, sagte sie. Und: „Sneyder?“ Ich drehte mich, in der Tür stehend, um. „Danke für alles!“
„Nichts zu danken.“
„Hol mich um sechs ab!“ Ich hob fragend eine Braue. „Dann können wir uns noch unterhalten“, sagte sie und ich schloss mit einem leisen „Bis morgen“ die Tür, während sie sich ihrem Bruder zuwandte.
Draußen regnete es. Es machte mir nichts aus. Ich schwebte dahin, mein Geist in rosigen Wolken eingebettet. Sie war wundervoll, sie war das wundervollste Geschöpf, das ich seit Jahren kennen gelernt hatte. Bei ihr stimmte alles, sie war die Frau, nach der ich immer gesucht, nach der ich mich immer gesehnt hatte. Ich liebte sie, da gab es keinen Zweifel. Ich liebte Myriam Burns, die perfekte hübsche intelligente nette Frau.
Als ich meinen Wagen erreicht hatte, war ich klatschnass, aber das störte mich nicht. Nichts war aufregender, als frisch verliebt zu sein, kein Alkoholrausch konnte da mithalten, nichts ließ einen die Realität so sehr verdrängen. Der Tag hatte sich gelohnt, für diesen Tag hatte es sich gelohnt, morgens aufzustehen, für diesen Tag hatte es sich gelohnt, die Detektivagentur meines Vaters weiterzuführen, für diesen Tag hatte es sich gelohnt, zu leben!
Als ich zu Hause ankam, war ich trunken vor Freude, fiel ins Bett, starrte die Decke an und schwelgte in meinen Vorstellungen, wie es mit meiner Liebe Myriam werden könnte… aber niemals werden würde !
War es ein heftiger Niesanfall, der mich weckte oder war das erste, nachdem ich wach geworden war ein heftiger Niesanfall, der mich durchschüttelte? Die Grenze war fließend. Körperlich fühlte ich mich ziemlich beschissen, seelisch war ich auf einem Hoch, wie es angenehmer nicht sein konnte. Die Ruhe vor dem Sturm, die Anhöhe vor der Klippe, der Absprung vor dem Absturz. Um es kurz zu sagen: Ich war verliebt! Und ich wusste, dass das ganze nicht gut ausgehen würde. Oder ich nahm es zumindest an, ging davon aus, erwartete es.
Sie war… toll, um es in einem Wort zusammenzufassen. Auch passend waren wundervoll, phantastisch und wunderbar, aber ich wollte mich nicht zu sehr in sie hineinsteigern, bevor ich sie besser kennen gelernt hatte und die Wirklichkeit meiner Phantasie zwangsläufig nicht mehr standhalten konnte, aber… ach, dafür war es eh schon zu spät! Vor meinem geistigen Auge erschien ihr Gesicht, ihre Lippen, die sich zu diesem wundervollen Lächeln formten, ihre Augen, die mich ansahen, als würden sie möglicherweise das gleiche für mich empfinden. Das Leben war...
...wunderschön?
...trügerisch?
...ein Traum?
...irgendetwas, das unweigerlich deprimierend werden würde, wenn es auch noch so positiv anfing!
Ja, noch fühlte ich mich großartig, aber es brauchte nicht viel, um das zu ändern. Ich fühlte mich jung, voller Energie, voller Kraft, geladen. Gut, ich war jung, aber für gewöhnlich fühlte ich mich nicht so, für gewöhnlich fühlte ich mich gelangweilt, aber auf keinen Fall wie jemand, dem das Leben freundlich auf die Schulter klopfte und sagte: „Junge, viel Vergnügen!“
Schwungvoll sprang ich aus dem Bett, nieste den Fußboden voll und suchte ein Taschentuch, um das, was noch immer an meiner Nase hing daran zu hindern, meinen Fußboden zu besudeln. Mit dem Taschentuch in der Hand schlenderte ich in meine Küche, warf einen Blick in meinen deprimierend leeren Kühlschrank, was mir aber nichts ausmachte, schlenderte zurück, wusste nichts mit mir anzufangen, außer euphorisch und trunken vor Liebe zu sein. Lesen kam nicht in Frage, Fernsehen hätte mir mein enormes Gefühl der unglaublichen Glückseligkeit nur versauert, also wankte ich ziellos durch meine 2 ½-Zimmer-Wohnung und sonnte mich in meinem wohl nur sehr kurz andauernden Gefühl.
Es war herrlich. Es gab sie, sie! , die Frau, die ich lieben konnte, die Frau, die ich liebte! Das Leben hatte gute Seiten, merkwürdigerweise überschlug man sie meistens oder blätterte hastig darüber hinweg, weil man unbedingt das Ende wissen wollte.
Ich ließ mich am Küchenfenster nieder und starrte hinaus, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Mein Gehirn hatte keine Möglichkeit, irgendetwas aufzunehmen, das einzige, was sich in ihm befand war ihr Bild, dreidimensional, in Farbe und so real wie ein Wochenlohn von 3 Milliarden Euro. Da schwebte sie und ich wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass sie mir nie das sein würde oder vielleicht sogar konnte , was ich jetzt in ihr sah.
Und all das störte mich nicht. Ohne Gedanken an die Konsequenzen, die sich stets auch ohne vorherige Gedanken an sie einstellten, gab ich mich all meinen geistigen Ausschweifungen hin, meiner Idealisierung der Frau, die ich kennen gelernt hatte. Ich sah sie, von Hoffnungen, Wünschen, Phantasien gezeichnet, ausgeschmückt und in einem hübschen Rahmen verpackt. Ich müsste ins Büro gehen. Na und? Nicht einmal das konnte mir die Stimmung vermiesen. Ob ich nun hier an sie dachte oder im Büro, was machte es für einen Unterschied?
Ohne unnötige Reize meiner Umwelt wahrzunehmen zog ich mich an, begab mich in mein Büro und starrte vor mich hin, bis mich der Schwachsinn oder mein Rendezvous mit ihr oder sonst irgendeine Verbindung mit der Realität auf den Boden der Wirklichkeit zurückholen würde.
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