Es traf ihn dann auch recht hart, als wir ihm über Nacht den Kredit kündigten und die 150.000 Euro zuzüglich Zinsen und Zinseszins, damit insgesamt rund 500.000 Euro, zurück verlangten. Meine Bank war da schon durchaus tolerant, wir ließen ihm immerhin vier Wochen Zeit für die Rückzahlung. Hat er aber leider nicht gepackt. Tja, immer schön auf dem Teppich bleiben und niemals blauäugig in so eine Sache schlittern, kann ich da nur sagen. Aber wie heißt es so schön: „Des einen Pech ist des anderen Glück.“
Durch die Zwangsversteigerung war das Ganze ein herrliches Schnäppchen für mich.
So billig hätte ich auf dem freien Markt doch solch ein schönes Häuschen nie und nimmer bekommen. Nun ist es wenigstens in allerbesten Händen. Und durch die private Insolvenz ist der gute Mann dann ja auch nach sechs Jahren völlig schuldenfrei, kann ein neues sorgloses Leben beginnen und sich für seine Familie noch mal was richtig Schönes aufbauen. Dann ist er noch unter 60, das ist doch kein Alter! Wenn ich da an meine 80-jährigen Kunden denke!
Also, es gibt immer einen Weg, welcher es auch sein mag.
Ich als Banker bin jedenfalls sehr stolz darauf, durch mein Tun dazu beitragen zu dürfen, dass meine Kunden stets flexibel bleiben und sich immer wieder aufs Neue im Leben behaupten können. Gibt’s denn etwas Schöneres, als solch menschliche Kräfte kontinuierlich freizusetzen? Für mich nicht!
Ich bin einem Vertreter für Haus- und Haftpflicht hörig
Das Eingeständnis einer Frau, die der Versicherungsbranche verfallen ist
Pochenden Herzens steigt Sabine Maus die steinernen Stufen des ehrwürdigen Gerichtsgebäudes nach oben. In ihrem Kopf hämmert es. Es sind immer und immer wieder die gleichen Worte, die sie sich einprägt:
„Ich bin klein und dünn und muss den Beschützerinstinkt wecken. Ich bin klein und dünn und muss den Beschützerinstinkt wecken. Ich bin klein und dünn und muss …“
Wenig später sitzt Sabine Maus im Gerichtssaal 223, neben ihr Rechtsanwältin Undine Seif, auch in ihrem Kopf hämmert es. Auch bei ihr sind es immer und immer wieder die gleichen Worte, die sie sich einprägt:
„Ich bin groß und stabil und hasse die Männer. Ich muss sie mit meinem Geist ersticken. Ich bin groß und stabil und hasse die Männer. Ich muss sie mit meinem …“
„Hiermit eröffnen wir die heutige Gerichtsverhandlung“, unterbricht Richter Hochmuth die Gedankenreise von Rechtsanwältin Seif. „Heutiger Kläger ist der Versicherungsvertreter Rudolf Übrig, vertreten durch seinen Anwalt Dr. Fabian Pracht. Die Beklagte ist Frau Sabine Maus, der Belästigung, Freiheitsberaubung sowie Körperverletzung vorgeworfen werden. Sie wird vertreten durch Rechtsanwältin Undine Seif.“
Sabine Maus treibt es die Tränen in die Augen. Er ist nicht gekommen! Rudolf Übrig ist nicht erschienen! Und sie hatte sich so auf ihn gefreut! Sie wollte doch ein letztes Mal versuchen, sein Herz zu erobern. Und nun war auch diese Chance vertan.
„Dr. Pracht, bitte schildern Sie uns den genauen Sachverhalt Ihrer Anklage!“, hört Sabine Maus wie durch eine Nebelwand.
Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht, ein schlanker, hoch gewachsener junger Mann, der gut und gerne auch ei-ne Traumkarriere in der Zahnpastawerbung hätte hinlegen können, erhebt sich sportlich von seinem Stuhl. Die schmalen Lippen von Rechtsanwältin Undine Seif verkneifen sich ins Nichts. Sie begreift: Es wird eine Sauarbeit werden, diesen Schönling fertig zu machen. Und es wird auf keinen Fall einfach, mit dieser lädierten Bandscheibe ebenso sportlich aufwärts zu gleiten. Sabine Maus dagegen hat sich ein sanftes Lächeln zurecht gelegt. Ihr Kopf ist in Richtung Gegenanwalt geneigt und der Körper nach vorn gekrümmt, um noch kleiner und unscheinbarer zu wirken.
‚Sie können mir nichts Böses’, denkt Sabine Maus. ‚Sie müssen sich selbst schuldig fühlen, wenn sie mich verurteilen.’
Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht spricht mit Blickkontakt zu Richter Hochmuth.
‚Warum schaut er nicht zu mir?’, ärgert sich Sabine Maus. ‚Dann würde er doch gleich von Anfang an sehen, dass er mir eigentlich helfen, statt schaden muss’, denkt sie verbittert.
„Mein Mandant, Herr Rudolf Übrig, ist ein angesehener Versicherungsvertreter für Haus- und Haftpflicht“, hört Sabine Maus den schönen Rechtsanwalt sagen.
„Rudolf Übrig musste sein ganz normales und durchaus wünschenswertes Vertreterleben aufgeben, da seine ehemalige Kundin, Sabine Maus, ihn verfolgte, mit Telefonterror marterte und schließlich zu Hause überfiel und knebelte. Meinem Mandanten sprangen dadurch zwei sehr einträgliche Kunden ab. Rentnerin Thea Tapps wollte an jenem Tag eine hochwertige Hausratversicherung für ihr Zimmer im Seniorenheim ‚Abendrot’ abschließen. Ein stilvolles Zimmer, das eine beträchtliche Prämie hätte bringen können. Stattdessen wurde die Rentnerin von der Beklagten, Frau Sabine Maus, telefonisch gebeten, sich in Geduld zu üben und keinem neuen Vertreter in die Falle zu gehen. Herr Rudolf Übrig sei zurzeit nicht pässlich, werde sich aber in Kürze bei ihr melden, sobald er wieder zu Kräften gekommen sei. Die alte Dame erlitt daraufhin einen Herzstillstand, den die Hilfskraft, eine Ein-Euro-Jobberin, die zuvor 22 Jahre im Paketdienst der Deutschen Post tätig war, nicht zu beheben vermochte.“
„Dafür kann ich nichts!“, haucht Sabine Maus zart in den Gerichtssaal. „Das habe ich nicht gewollt, sie hätte doch meine Omi sein können“, ergänzt sie mit ganz viel Schmacht in ihrer Stimme.
„Ich muss die Beklagte bitten, den Hergang der Dinge, vorgetragen durch den Klägeranwalt Dr. Fabian Pracht, autorisiert vom Kläger Rudolf Übrig, dem Geschädigten, nicht zu unterbrechen!“, ruft Richter Hochmuth mit strenger Stimme. Sabine Maus zuckt zusammen.
‚Warum spricht er so böse zu mir?’, denkt sie. ‚Sieht er denn gar nicht, dass ich klein und zart bin und man mich beschützen muss?’
„Der zweite einträgliche Auftrag, der meinem Mandanten durch das Kidnapping von Frau Sabine Maus entgangen ist, war eine teure Hundehaftpflicht des Hundehalters Bodo Toll“, fährt Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht frisch fort. „Herr Toll betreibt eine Züchtung, in der er schwer depressive Rottweiler mit auffällig hyperaktiven Schäferhundmischlingen und übergewichtigen Bullterriern kreuzt. Die vielfältigen, komplexen Auflagen der Ordnungsbehörde haben natürlich eine außerordentlich hohe Hundehaftpflicht zur Folge. Mein Mandant hätte von der Provision für diese Prämie viereinhalb Jahre sich, seine Ex-Frau und seine beiden Kinder - Studenten im 14. und 16. Semester - ausreichend, sogar mit einer leichten Tendenz zum Luxuriösen, versorgen können. Auch dies ist ihm nun nicht mehr vergönnt, da Herr Toll natürlich nicht eine Sekunde unversichert sein wollte und ein anderer Versicherungsvertreter dann diesen schönen fetten Fischzug machen durfte. Einmal abgesehen vom materiellen Schaden, der meinem Mandanten damit zugefügt wurde, die seelischen Qualen bleiben wohl ein Leben lang auf seiner Seele haften.“
Rechtsanwältin Undine Seif erhebt sich schräg nach oben, ihre breite linke Hüfte schmerzt und die rechte Bandscheibe puckert wie ein aufgeregter Puls.
„Was die angesprochenen angeblichen seelischen Qualen des hier nicht anwesenden Klägers anbetrifft, so möchte ich doch im Namen meiner Mandantin, Frau Sabine Maus, festgehalten wissen, dass sich Herr Rudolf Übrig anfangs hat sehr gern von meiner Mandantin umflirten lassen. Außerdem ließ er selbst keine Gelegenheit aus, ihr - wenn auch ungeschickte und inhaltlich bedeutungslose, um nicht zu sagen zutiefst dümmliche - Komplimente zumachen. Das motivierte die von Ihnen zu Unrecht Beklagte in natürlichster und menschlichster Weise zu einer positiven und aktiven Gegenreaktion, nur auf wesentlich höherem intellektuellem Niveau, als das bei Ihrem Mandanten jemals möglich sein wird.“
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