Mein Mann sah mich verlegen an.
„Nicht beim Kaffee, Schatz!“
Ich verstand ihn nicht und protestierte:
„Na, hör’ mal! Weißt du, wie teuer die Hämorrhoiden-Präparate in der Apotheke sind? Alle natürlich von der Bezahlliste gestrichen! Ach, Vivien, da fällt mir ein: Die böse Zehen-Gicht von deinem Vater - dafür ist doch das Doldengewächs auch bestens geeignet.“
Vivien stand auf und sagte hastig:
„Ich hol’ dann mal die restliche Schlagsahne aus dem Eisschrank.“
Swen beugte sich über den Kaffeetisch und flüsterte uns zu:
„Seid ihr schon lange in Hartz IV? Mensch, das hättet ihr doch sagen können, wozu sind Freunde denn da?“
Ich kam mir vor wie unter Außerirdischen. Da saßen wir nun mitten in der Natur und ignorierten all ihre gesundheitsfördernden Schätze. Ich durfte doch meinen Wissensvorsprung nicht egoistisch für mich behalten, Freunden wünscht man schließlich nur das Beste! Wie gut, dass ich die beiden mit meinem schönen Geschenk nicht gleich überfallen hatte, so konnte ich es jetzt gut und stilvoll platzieren. Mit spannungsvoller Geste setzte ich ein Glas braunen Inhalts auf den Kaffeetisch.
„Für eure tolle Gastfreundschaft, liebe Vivien, lieber Swen!“, sagte ich genüsslich.
Vivien nahm das Glas in die Hand.
„Süß, der Streifenkarostoff hier oben und die niedliche Schleife! Ein selbst gemachter Kräuteressig? Ganz vielen Dank!“
Vivien drückte mich inniglich.
„Eigentlich ist das für eure Gemüsepflanzen, sie werden dadurch noch gehaltvoller und gesünder“, korrigierte ich. „Eine hochkonzentrierte, ganz natürliche Pflanzenjauche, kann 1:10.000 verdünnt werden.“
Mein Mann erstarrte:
„Schatz! Das ist doch viel zu stark, das ätzt einem ja alles weg!“
Vivien zitterte und ließ das Glas schreiend fallen. Laut scheppernd zerbrach es auf dem steinigen Terrassenboden, auf dem sich eine trübe und stark übel riechende Flüssigkeit verteilte. Die rötlich-braunen Klinker änderten ihre Farbe augenblicklich in gelblich-weiß. Wo sich vorher noch kleine niedliche Grashalme aus den Fugen schoben, krümmten sich nun armselig verschrumpelte Stängel.
„Oh, schade um die vielen schönen Wildkräuter, die auf eurer Terrasse wachsen wollten“, hörte ich mich sagen. Dann spürte ich einen harten Griff am Arm und mein Mann rief:
„Ach, wir hätten doch fast vergessen, dass die Zwillinge gleich vom Kindergeburtstag zurückkommen. Da muss ich ihnen ja fix noch einen Kamillensud kochen. Ihr wisst doch, der viele Süßkram zu solchen Geburtstagen, das gibt immer übelste Magen- und Darmbeschwerden.“
Vivien und Swen nickten heftig und begleiteten uns stumm zum Gartentor.
„Das nächste Mal bei uns, ja? Ich hab’ da ein paar ganz neue Rezepte, alles urgesunde Sachen“, sagte ich, während mich mein Mann nach draußen schubste.
„Wir melden uns“, erwiderte Swen.
„Alles Gute für euch!“, stammelte Vivien.
Seitdem haben wir leider nie wieder etwas von unseren Freunden gehört, dafür aber den Tag genauestens ausgewertet. Ich musste schmerzlich erkennen, dass ich um eine Therapie wohl nicht mehr herumkommen würde, wollte ich mich wieder normal fühlen. Nach vielen Recherchen fand ich dann schließlich auch einen speziell ausgebildeten Therapeuten, der sich ausschließlich der Sucht nach Gesundheitstipps widmete. Endlich erfuhr ich, dass ich doch keine Außenseiterin war. Was für eine großartige Erleichterung! Sogar ein Fachname existierte für dieses Leiden schon – Psychosomatische Naturhörigkeit, kurz PsNa. Seitdem tauschen wir Betroffenen in den Therapiestunden unsere Rezepte und Tipps und lachen uns über die vielen dussligen E-Stoff-Fresser halb tot. Lachen ist bekanntlich die beste Medizin.
Der Therapeut lässt sich auch nicht mit Bargeld oder Schecks abspeisen, sondern besteht auf unsere Tinkturen, Kekse und Jauchen. Leider zahlen die Krankenkassen die aufwändige Therapie noch nicht, dabei nimmt sie uns PsNa-Betroffenen doch jede Menge Druck. Und wir sind außerordentlich kreativ. Demnächst kommt unsere selbstproduzierte Doppel-CD „Bärenklau und Wiesenwinde, Hits ganz natürlich“ auf den Markt. Ein Hörbuch steht kurz vor der Fertigstellung und soll unter dem Titel: „Hopfensprossen und gekochte Kletten - die anderen Wiesengeschichten“ die Bestsellerliste erobern.
Ich habe auch einen ganz neuen Freundeskreis, die Kinder allerdings wollten nach unserer Scheidung zum Vater. Aber das alles habe ich mit meiner regelmäßigen Johanniskraut- und Baldriankur sehr gut im Griff.
Ich bin wieder mitten im Leben!
Ich arbeite in einem verspotteten Beruf
Der trotzige Stolz eines höheren Bankangestellten, der sich seine Position hart ermobbt hat
Ich bin ein Mann in den besten Jahren und habe mich hart und mühevoll auf den Posten des Regionalleiters in einer gutfrequentierten Bank hochgemobbt. Natürlich weiß ich, dass mein Banker-Beruf, vor allem in höherer Position, in den letzten Jahren ganz kräftig in die Schmuddelecke gerutscht ist. Aber das prallt vollkommen ab an mir, so wie belanglose Wassertropfen auf einer schmierigen Ölschicht, ein Bild, das mir übrigens außerordentlich gefällt.
Als ich über ein paar Ecken von diesem Buchprojekt erfuhr, mir also zu Ohren kam, dass hier erzählt wird, was Menschen so tun und nicht lassen können, wollte ich um jeden Preis mit von der Partie sein. Vielleicht gelingt es mir, meine Branche über dieses Forum ein wenig rein zu waschen. Wenn nicht - ich habe es wenigstens versucht und werde dann auch nicht schlechter leben als vorher. Aber meine Entwicklung zeigt doch ganz deutlich, dass man mit glasklarem, pragmatischem Verstand, eisernem Willen und Zielstrebigkeit nahezu alles erreichen kann, was einem wichtig ist. Also, lesen Sie, wie ich das wurde, was ich heute bin …
Schon als kleiner Junge wusste ich, dass ich einmal Banker werden möchte. Daher bin ich seit frühester Kindheit mit Spott und Häme eng vertraut. So musste ich mir ewig dumme Sprüche anhören wie:
„Der Klaus, der Klaus, holt aus dir den letzten Pfennig raus“ oder „Hört alle her, der Klaus ist krank, will beruflich mal zur Bank.“
Das tat schon sehr weh! Aber ich war zum Glück von klein auf selbstbezogen, stur und rechthaberisch - Eigenschaften, ohne die ich in meinem Traumberuf natürlich nicht die geringste Chance gehabt hätte. Dass der Wunsch des Bankers so früh bei mir geprägt wurde, liegt vor allem an meiner Mutter. Während andere Babys putzige Spielklappern bekamen, nahm meine Mutter aus Sparsamkeitsgründen eine leere Tomatenheringsbüchse, füllte sie mit kleinen Geldstücken und verschloss sie wieder. Damit soll ich dann stundenlang geklappert haben, das Geräusch der klirrenden Münzen hat mich von Blähungen, Zahnweh und Dellwarzen abgelenkt. Bis weit in die Pubertät hinein konnte mich das Klirren einer mit Geld gefüllten Fischbüchse vor abartigen hormonellen Entgleisungen bewahren. Zu dieser Zeit hat sich wohl in meinem Charakter die tiefe Herzensbindung gegenüber Geld manifestiert.
Erste praktische Erfahrungen im Geldscheffeln sammelte ich bei meinem älteren Bruder Ralf, der im Gegensatz zu mir ziemlich verfressen, faul und geistig träge war. Ein Kinderspiel für mich, ihm mit diesen Schwächen das Taschengeld und mehr abzuluchsen. Um seine Macht als älterer Bruder zu demonstrieren, rief er einmal:
„Banker-Klaus, spann’ deine Wade, hol’ Bruder Ralf fix Schokolade!“
Er gab mir ein paar Groschen und ich musste in den nächsten Laden flitzen. Unterwegs fand ich einen demolierten Füllfederhalter und steckte ihn ein. Vor Ralf trat ich dann völlig verrotzt und verzweifelt und hielt ihm den zerdepperten Füllfederhalter vor die Nase. Dabei rief ich schluchzend:
„Bin im Laden auf den hier drauf gefallen! Wenn Mama erfährt, dass der kaputt ist … Ich muss doch sagen, dass das beim Schokoladeholen passiert ist.“
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