„Warum nicht?“
„Korelev, es liegen bereits wenige Stunden nach Ermittlungsbeginn zwei Beschwerden von Ihren Kollegen auf meinem Tisch. Dazu kommt, dass wir den Verdächtigen nicht kriminaltechnisch erfassen können, weil ihn auf einem Foto nicht einmal seine eigene Mutter erkennen würde. Und der Vermieter klagt über Kopf- und Rückenschmerzen. Ich habe Ihnen bereits mehrere Male zu verstehen gegeben, dass ich wünsche, dass Sie sich bei Vernehmungen an die Vorschriften halten. Sie wissen, dass ich keine Rambo-Alleingänge wünsche. Und Sie haben sich wieder einmal über diese Anordnung hinweggesetzt. Sie haben Verdächtige alleine verhört, unnötige Gewalt angewandt und Kollegen diskreditiert. Dazu haben Sie beim Kollegen Berger die notwendige Hilfeleistung unterlassen. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“
„Ich habe eine Spur gefunden, die uns wahrscheinlich zum Mörder führt. Diesem Hinweis möchte ich nachgehen.“
„Chefinspektor, ich möchte von Ihnen wissen, was Sie zu Ihren Verfehlungen zu sagen haben. Sie wissen, dass ich Sie jederzeit in die Wüste schicken könnte.“ Major Kahl lächelte überlegen.
„Natürlich können Sie das, Herr Major“, antwortete ich ruhig. Innerlich kämpfte ich mit meiner Antwort. Wenn ich weiter in diesem Fall ermitteln wollte, dann durfte ich keinesfalls die Antwort geben, die mir als erstes in den Kopf geschossen war.
„Aber wenn es mir wieder gelingen würde, diesen Fall rasch zu lösen, dann würde ich wahrscheinlich erwähnen, dass ich erst durch unser derzeitiges Gespräch auf die richtige Spur gekommen bin. Ihnen ist dann die Beförderung sicher und Sie kämen ins Kommando. Dann hätten Sie, was Sie wollen und wären mich los. Zwei Fliegen mit einer Klatsche, Herr Major.“
Kahl hatte seinen Kopf über einen Aktenstapel gesenkt, um mir zu demonstrieren, wie gleichgültig ihm meine Meinung war. Als ich den Satz beendet hatte, sah ich, wie sich die Kopfhaut zwischen dem angegrauten Haarkranz rot verfärbte.
„Glauben Sie ja nicht, dass Sie der Einzige sind, der diesen Fall lösen könnte. Nehmen wir nur Ihren bemerkenswerten Kollegen, Chefinspektor Spitzer.“
Es war mir klar, warum Kahl ausgerechnet Spitzer ins Gespräch brachte. Kahl wusste genau, dass ich Spitzer nicht ausstehen konnte. Alleine schon aus diesem Grund mochte er ihn.
„Selbstverständlich könnte Kollege Spitzer diesen Fall bearbeiten.“ Ich machte eine kleine Pause, um die volle Aufmerksamkeit zu erlangen.
„Aber dann müssten Sie sich von der Beförderung verabschieden.“
„Das geht zu weit, Chefinspektor! Ich dulde solche Frechheiten nicht. Kollege Spitzer ist ein ausgezeichneter Polizist, der sich Respekt verdient hat.“
„Ist das alles, Herr Major? Ich hab noch zu tun.“
„Sie halten sich ab sofort streng an die Vorschrift, haben Sie gehört? Wenn ich noch eine Beschwerde höre, dann unterschreibe ich Ihre Versetzung ins Archiv! Ist das klar?“ Ich drehte mich wortlos um und verließ das Büro.
Zurück in meinem Büro klingelte das Telefon. Ich hob ab, lauschte und legte schlecht gelaunt auf. Dr. Karner hatte auf der Kleidung des Toten keine verwertbaren Spuren gefunden. Die Funküberprüfung des anonymen Anrufes ergab auch nichts Genaueres. Einzig die Vermutung, dass es sich bei der Mordwaffe um einen Baseballschläger handelte, war richtig. Schlecht war, dass wir die Mordwaffe nicht gefunden hatten und wahrscheinlich auch nicht mehr finden würden. Ich überlegte. In diesem Fall passte gar nichts zusammen. Das einzig Konkrete, was wir in der Hand hatten, war der Tote. Die Spuren verliefen allesamt im Sand. Ich verabschiedete mich von der Vorstellung, den Fall rasch klären zu können. Entweder war dieser Fall sehr schlau vorbereitet und ausgeführt worden oder nur ein kolossaler Zufall. Aber wer glaubt schon an Zufälle?
Als ich an diesem Abend meine Wohnung betrat, begann ich diese sehr genau aufzuräumen. Das geschah nicht, weil ich einen Reinlichkeitswahn hatte, sondern weil ich so am leichtesten feststellen konnte, ob ich während meiner Abwesenheit ungebetenen Besuch bekommen hatte oder nicht. Diese Vorgehensweise hatte mir schon ein paar Mal das Leben gerettet. Ich platzierte an gewissen Stellen in der Wohnung unauffällig einzelne Haare oder Staub. An diesen Merkmalen konnte ich später sofort erkennen, ob jemand eine Tür geöffnet, Möbel verschoben oder sich hinter einem Schrank versteckt hatte. Leider konnte diese Taktik auch nach hinten losgehen. Meine letzte Freundin wollte mich einmal überraschen und hatte sich unauffällig meinen Zweitschlüssel besorgt. Sie hatte fast unbekleidet in meinem Bett in der völlig dunklen Wohnung gewartet. Ich war gerade mit einem gefährlichen Fall beschäftigt und als ich nach Hause kam, schrillten meine Alarmglocken, da gleich bei der Eingangstür der angebrachte Hinweis fehlte. Mit der Waffe im Anschlag schlich ich durch die Wohnung. Als ich aus dem Schlafzimmer Geräusche hörte, krachte ich hinein und stand mit der Waffe im Anschlag vor einer fast nackten aber umso willigeren 25-jährigen Brünetten. Aus dem netten Abend zu zweit wurde eine trostlose Nacht alleine. Am nächsten Tag hatte sie mich dann endgültig zum Wahnsinnigen erklärt und in die Wüste geschickt.
Auf dem Heimweg war ich an einem Elektrogeschäft vorbei gegangen und hatte einen Blick auf den großen Bildschirm in der Auslage geworfen. Ich blieb stehen. In den Kurznachrichten brachten sie gerade einen Bericht über die Mafia in Russland. Zurzeit schien es vor allem in Moskau fast täglich zu Zwischenfällen zu kommen. Die Miliz war in Alarmbereitschaft und konnte sich nur durch eine Sondergesetzgebung einen gewissen Spielraum gegenüber den Verbrechern schaffen. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass diese Vorkommnisse eng mit meinem Fall zu tun haben sollten.
Nachdem ich heute Morgen aus dem Russen nichts von Bedeutung herausgebracht hatte, musste ich mir meine Informationen anderen Orts beschaffen. Vor allem ging mir der eine Satz von Dmitri nicht mehr aus dem Kopf: „Korelev, Sie und Ihre Bullenkollegen sind schon so gut wie tot.“
Natürlich hatte ich schon viele Drohungen erhalten, aber dass mich ein mir völlig Unbekannter so vertraut beim Namen nannte, war neu. Ich musste meine Informanten abklappern, in die einschlägigen Lokale gehen und meine Unbeliebtheit in diesen Kreisen in die Waagschale werfen. Zur Not hatte ich ja noch meinen Ausweis und meine Waffe mit. Ich verließ meine präparierte Wohnung und ging ein paar Minuten die Hauptstraße entlang. Dann bog ich in eine schmale Seitengasse und betrat das nächstgelegene Lokal. Das Licht in der Bar war gedämpft, fast schon nicht mehr wahrnehmbar. Nur die Bar selbst war hell erleuchtet. An ihr saßen - wie Schaufensterpuppen aneinander gereiht - einige Damen in verschiedensten spärlichen Outfits. Der Laden hatte immer schon die Ehre die Nummer Eins meiner Tour zu sein. Hier erfuhr ich zwar selten etwas wirklich Wichtiges, aber die Atmosphäre half mir dabei, in die richtige Stimmung zu kommen. Ich wusste, dass hier alle logen ohne dass sie etwas gegen mich gehabt hätten. Die Angestellten waren harmlos, aber einem Polizisten gegenüber konnten sie einfach nicht die Wahrheit sagen. Wenn ich nach bestimmten Namen fragte, kannten sie niemanden und hatten diese Personen mit Sicherheit auch nie in ihrem Leben gesehen. Wenn ich Bilder herumzeigte, waren die Fotos scheinbar so schlecht, dass niemand erkennbar war. Wenn ich nach dem Wetter fragte, regnete es selbst wenn die Sonne schien. Wenn ich ein Bier bestellte, bekam ich Kaffee. Ich blickte in die Gesichter der adretten Damen, die frisch herausgeputzt auf ihren Hockern saßen, und des Barkeepers und sah ihnen beim Lügen zu.
„Welche Ehre, dass Sie uns besuchen, Herr Inspektor!“, verkündete der Barkeeper deutlich zu laut, als ich den schweren roten Samtvorhang hinter der Eingangstür zur Seite schob. Die Schaufensterpuppen blickten zu mir herüber, griffen zu einem Glas Sekt oder pafften an ihrer Zigarette. In den dunklen, kaum beleuchteten Sitzecken stoppten die Unterhaltungen und es wurde unnatürlich ruhig im Lokal.
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