„Mann, Chef, ich wollte das gleich heute machen. Ich schwör‘s Ihnen! Die sind erst gestern Abend zu mir gekommen. Und heute ist Einer tot. Scheiße, Mann! Ich wollte es Ihnen wirklich gleich sagen, aber ich hab selbst nichts davon gewusst.“
„Wovon haben Sie nichts gewusst?“
„Na, dass ich wieder eine Lieferung bekomme. Das war diesmal anders.“
„Wie anders?“
„Normalerweise kriege ich vier oder fünf Tage vorher Bescheid. Dann richte ich alles her und sehe zu, dass die Vorräte aufgefüllt sind. Wenn ich plötzlich für zehn oder zwanzig Leute einkaufen gehe, dann fällt das gleich auf. Na und diesmal war gar nichts. Die sind in der Nacht einfach vor der Tür gestanden und ich musste sie rein lassen. Der große Typ hat gesagt, dass sie nur ein oder zwei Tage bei mir bleiben und dann weiter ziehen. Wenn die Lieferung angekündigt ist, sind sie länger bei mir.“
„Und weiter.“
„Nichts weiter. Heute Morgen komme ich runter um Ihnen Ihr Frühstück zu bringen und da liegt der eine vor dem Fenster und rührt sich nicht mehr. Keine fünf Minuten später rückt hier die halbe Armee an und stellt mir das Haus auf den Kopf.“
„Haben Sie die Polizei angerufen?“ hakte ich nach.
„Nein, Mann, haben Sie nicht zugehört? Ich hab den Toten selber noch nicht mal richtig gesehen, da wart Ihr schon vor der Haustüre.“
„Gibt es in dieser Wohnung ein Telefon?“
„Nein, Chef, machen Sie Witze? Ich weiß nicht, wer angerufen hat.“
„Wie sollte es weitergehen? Wann werden die Männer abgeholt?“
„Ehrlich Chef, das weiß ich nicht. Sie haben gesagt, sie melden sich heute oder morgen bei mir. Bis dahin soll ich aufpassen und die Penner nicht vor die Hunde gehen lassen.“ Ich machte einen kleinen Schritt auf den Vermieter zu und blickte zu ihm herab. Der Mann war um gut zehn Zentimeter kleiner und mir stieg der fettige Schweißgeruch aus seinen Haaren in die Nase. Ich musste mich beherrschen, dass ich nicht gleich wieder einen Schritt zurück machte.
„Sie haben jetzt noch genau fünf Sekunden Zeit, Schweiger, mir irgendeine vernünftige Antwort zu geben. Außer, dass Sie von nichts gewusst haben, niemanden erkannt haben und nicht wissen wie es weitergehen soll, haben Sie mir noch nichts gesagt. Schweiger, Sie machen ihrem Namen alle Ehre.“ Der Mann lächelte verlegen - eine Mischung aus Unsicherheit und Hoffnung. Gerade als er zu einer weiteren Ausrede ansetzen wollte, ging ich zum Angriff über. Mit einer raschen Bewegung versetzte ich dem Mann einen Stoß und beförderte ihn damit krachend in die Badewanne. Schweiger versuchte noch sich festzuhalten, schlug aber mit Rücken und Hinterkopf auf den Wannenrand und die Mauer. Ein lauter Schmerzensschrei und ein hochroter schwitzender Schädel waren die Folge. Die Beamtin im Flur drehte sich um als sie den Lärm und den Schrei hörte und stürzte zur Badezimmertür herein. Ich lehnte auf den Beinen des Vermieters, der mit dem Hintern in der Wanne saß und sich nach Luft schnappend den Hinterkopf rieb.
„Helfen Sie mir!“, keuchte der Mann und ich fuhr herum.
„Verschwinden Sie hier!“ fauchte ich die Beamtin an.
„Ich…äh…wir haben Krach gehört und ich …“, stotterte die Polizistin.
„Was!!“ herrschte ich sie an. „Verschwinden Sie.“
„Sie wissen, dass das gegen die Vorschrift ist?“, versuchte ihm die Polizistin Paroli zu bieten. Ich drehte mich zu ihr um und ging langsam auf sie zu.
„Macht es Ihnen Spaß, mich bei meiner Arbeit zu behindern? Wenn es Ihnen nämlich Spaß macht, dann können Sie sich bereits als Klofrau im Prater bewerben.“ Meine Stimme war leise, fast flüsternd, aber schneidend und bedrohlich.
„Und Ihre Vorschriften liegen dort, wo sie hingehören. In der Schublade im Schreibtisch. Wenn Sie auf Kriminelle treffen, dann gebe ich Ihnen den Tipp, vergessen Sie die Vorschriften und machen Sie ihre Arbeit. Und jetzt suchen Sie sich eine Aufgabe, die uns hilft, diese Mistkerle festzunageln und lassen Sie mich in Ruhe. Wenn ich mit dem Gespräch mit Herrn Schweiger fertig bin, möchte ich Sie auf meinem Tatort nicht mehr sehen. Ist das klar?“ Dann bugsierte ich die Beamtin auf den Flur und schloss die Türe wieder.
Während ich mich wieder zu Schweiger umdrehte, der immer noch jammernd in der Badewanne steckte, versuchte ich die nervige Kollegin aus meinen Gedanken zu verdrängen und mich wieder auf mein Ziel zu konzentrieren. Ich war mir sicher, dass ich wegen dieses Zwischenfalls wieder bei diesem Schreibtisch-Napoleon von der Internen Abteilung antreten musste. Seit der die Leitung der Abteilung übernommen und damit die Chance bekommen hatte, den ganzen Tag hinter dem Schreibtisch zu hocken, hatte er das auch getan. Der Major kannte natürlich alle Vorschriften auswendig und zitierte mit Freude die einzelnen Paragraphen, gegen die ich bei meinen Ermittlungen verstoßen hatte. Meistens handelte es sich dabei um die Art und Weise, wie ich meine Informationen erhielt. Natürlich war es entscheidend, ob die Beweise und Aussagen vor Gericht halten würden, doch ich hatte ein sehr feines Gespür für den notwendigen Grad an Überzeugungskraft. Legalität war für mich extrem wichtig, sonst wäre ich nicht Polizist geworden. Aber für mich war es entscheidend, Kriminelle aus dem Verkehr zu ziehen. Und wenn dafür die Vorschriften und Gesetze nicht ausreichten, dann erweiterte ich spontan meinen Spielraum. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deswegen nicht. Auch nicht, wenn eine Befragung einmal rauer wurde. Kriminelle hielten sich auch nicht an Vorschriften und Gesetze. In erster Linie war mir das Ergebnis wichtig und erst in zweiter Linie der Weg bis dahin. Zwischen dem Major und mir herrschten klare Verhältnisse. Der Major konnte mich nicht leiden und umgekehrt war es genauso. Der einzige Unterschied zwischen uns beiden bestand darin, dass ich mit dieser Situation kein Problem hatte. Im Gegensatz dazu hatte es sich der Major zur Aufgabe gemacht, mich so rasch als möglich loszuwerden. Und wenn ich dabei noch in den tiefsten Keller verschwinden würde, dann wäre das aus seiner Sicht das Beste. Doch die Erfolge gaben bisher immer mir Recht. Und die Rüffel, die ich mir wegen meiner Ermittlungsmethoden einfing, betrachtete ich als Teil meiner Arbeit.
Ich drehte mich wieder zu Schweiger um. Der ruderte wild mit den Armen in der Badewanne und versuchte hinter meinem Rücken wieder auf die Beine zu kommen.
„Lassen Sie das, Schweiger. Und machen Sie den Mund auf. Was sind das für Leute? Was wollen die hier? Und warum sind keine Mädchen dabei?“
„Chef, ich weiß es wirklich nicht. Das sind keine normalen Jungs. Das sehe ich auch. Aber ich weiß wirklich nicht, was die wollen!“ Er machte eine kurze Pause.
„Mir wird das Ganze zu heiß. Können Sie mich nicht mitnehmen. In Schutzhaft oder sowas. Mann, Sie müssen mich schützen!“
Schweiger hatte seine Taktik geändert, aber ich fiel auf den Trick nicht herein.
„Ich hab Angst vor diesen Typen. Die machen keine Gefangenen. Wenn die mitkriegen, dass die Polizei da war, dann bin ich Geschichte. Ich flehe Sie an. Nehmen Sie mich mit, bitte!“
Wenn er nicht so ein hässliches, stinkendes Schwein wäre, hätte er einem fast leidtun können.
„Ich werde Sie mitnehmen, Schweiger. Aber freuen Sie sich nicht zu früh. Wir beide sind noch nicht fertig. Sie werden sich noch an Dinge erinnern, von denen Sie gar nicht wussten, dass sie sie jemals vergessen haben. Das verspreche ich Ihnen. Und Gnade Ihnen Gott, wenn ich dahinter komme, dass Sie mich belogen haben!“
Ich öffnete die Badezimmertür und trat auf den Flur hinaus. Ich blieb einen Augenblick stehen und zog dann langsam meinen Mantel aus.
„Jetzt legt er erst richtig los“, raunte der ältere Polizist seinem jüngeren Kollegen ins Ohr. In seiner Stimme schwang ein Unterton irgendwo zwischen Achtung und Sorge mit.
Читать дальше