„Los ihr beiden, lasst uns reingehen, bevor es anfängt zu regnen“, fordert uns meine Mutter auf.
Sie greift sich meine Reisetasche vom Beifahrersitz und scheucht uns hinein. Im Flur des Hauses angekommen, vernehme ich Stimmen aus der Küche und folge diesen.
„Du musst Alina sein, die Meisterin der Torten!“, kreischt mir jemand aufgeregt entgegen und eh ich mich versehe, werde ich auch schon an ein weibliches Wesen gerissen. Okay, dass muss Kerstin sein.
Als würde ich meine Torten mit meinem eigenen Leben beschützen, balanciere ich die Kartons mit einer Hand weit weg von mir. Ich bin überrascht, wie fremde Menschen den Punkt des Vorstellens und Kennenlernens überspringen und gleich in den Dicke-Freunde-Modus springen. Neugierig checke ich die neue Eroberung meines Bruders. Sie ist hübsch, gar keine Frage. Hat braune lange Haare, ist schlank und ein wenig größer als ich. Da mein Bruder immer auf extrem große Brüste stand, bin ich jetzt bei dem, was ich erkennen kann, doch etwas erstaunt. Sie sehen relativ klein aus - im Verhältnis zu den sonstigen Pamela Anderson Doubles.
„Hallo, ich bin Alina, aber du scheinst ja schon zu wissen, wer ich bin“, gebe ich schmunzelnd von mir, um meine Antwort zu entschärfen, da man mir meinen Sarkasmus sicher angehört hat.
„Entschuldige, aber ich bin so aufgeregt, dich endlich kennenzulernen. Überhaupt ist alles so aufregend. Wir planen die Hochzeit, und ich lerne Oles Familie kennen. Aber dafür hast du sicher Verständnis“, gibt Kerstin entschuldigend von sich.
„Hm, schon“, gebe ich stirnrunzelnd wieder. „Doch wieso macht ihr es nicht wie alle anderen? Erst kennenlernen und dann heiraten?“
Ich erkenne gerade noch, wie mein Vater die Lippen aufeinanderpresst und sich schlagartig umdreht, sodass kein anderer sein Lachen mitbekommt. Kerstin jedoch entgleiten die Gesichtszüge.
„Findest du etwa, es geht zu schnell? Weißt du, zwischen Ole und mir war es Liebe auf den ersten Blick!“ Daraufhin schaue ich meinen Bruder an und begrüße ihn ironisch.
„Hallo, du Lebensretter, von dir habe ich schon gehört“.
Als ich ihn umarme, flüstere ich ihm ins Ohr, dass nur er es hören kann.
„Und du bist sicher, dass sie dich nicht im Suff mit einem von Baywatch verwechselt hat?“
„Hallo, Kleine, du hast mir auch gefehlt“, antwortet er lieb säuselnd, doch sein warnender Blick spricht Bände.
Er weiß genau, wenn ich einmal in Fahrt bin, kann man mich so schnell nicht mehr ausbremsen.
„Ja, ihr zwei Turteltäubchen, ich hab da mal was vorbereitet.“
Ich schwenke übertrieben mit meiner rechten Hand zu den Kartons. Den Satz noch nicht mal richtig beendet, klatscht meine zukünftige Schwägerin schon wie ein aufgeregtes Kind in die Hände.
„O Gott, sind das etwa unsere Hochzeitstorten?“
Zwei große Kulleraugen schauen mich erwartungsvoll an, und da ich nicht zu gemein sein möchte, schlucke ich meine sarkastische Antwort runter und lächle liebreizend.
„Ja, die hab ich nur für euch gemacht. Da es Nachmittag ist, passt es nun hervorragend, diese Torten zu probieren.“
„Ganz genau, ich setz dann mal Kaffee auf und ihr setzt euch alle schon mal hin“, gibt meine Mutter glücklich von sich und ist schon auf dem Weg zu ihrer Kaffeemaschine.
Mein Vater steht Sekunden später mit Tellern und Kuchengabeln vor mir und quält sich ein Lächeln ab. Ich kann ihm ansehen, wie begeistert er von dieser Spontanhochzeit ist. Er hat sich das sicher auch anders vorgestellt. Als Papa, Ole und Kerstin Platz genommen haben, öffne ich die drei kleinen Kartons und präsentiere ihnen meine Vorschläge.
Insgeheim wünsche ich mir, ich hätte die Kartonagen zugelassen, denn Kerstin fängt bereits an zu schluchzen.
„Oh, sind die traumhaft schön. Die hast du extra für uns gemacht? Schau mal, Puschel.“
Zuerst wusste ich nicht so recht, ob ich sie hassen oder mögen sollte, denn ihre Art weiß ich noch nicht wirklich einzuordnen. Doch als sie meinen Bruder Puschel nennt, verschlucke ich mich an meinem eigenen Speichel und kann mich einfach nicht mehr beruhigen. In diesem Moment liebe ich diese nervtötende Frau, denn ab genau diesem Zeitpunkt habe ich ihn in der Hand. Bei meinem Bruder fällt der Groschen, denn sein Blick sagt alles.
„Sag irgendjemandem von meinen Freunden von diesem Kosenamen und du bist tot.“
Ich habe mich noch nie so über den Filterkaffee meiner Mutter gefreut wie in diesem Moment. Denn sie kommt genau in dieser Sekunde mit ihrer Kaffeekanne zu uns. Ich räuspere mich:
„Gut, nachdem wir mehr erfahren haben als nötig, würde ich vorschlagen, ich sage kurz etwas zu den Torten.“
Kerstin nickt eifrig, was meinen Verdacht nur bestätigt, dass sie meine Spitze gegen meinen Bruder nicht vernommen hat. Mein Vater genehmigt sich hastig einen Schluck aus seiner Tasse und nimmt es in Kauf, sich die Lippen mit dem frisch aufgebrühten Kaffee zu verbrennen.
„Das ist eine Eierlikör-Buttercreme-Torte mit Marzipanüberzug.“
„Oooohhh, Eierlikör. Ich liebe Eierlikör“, klatscht Kerstin begeistert.
„Wie schön!“, grinse ich zweideutig und deute auf die Nächste.
„Diese hier hat einen weißen Fondantüberzug und einen hellen Teig sowie eine Himbeer-Sahne-Creme als Füllung. Als Letztes haben wir hier noch eine Sachertorte. Ihr kennt ja sicher Sachertorte. Das ist quasi ein Schokoteig, der mit Marmelade bestrichen ist und einen Schokoguss als Überzug hat.“
„Hm, die Sachertorte würde mir zusagen“, schwärmt mein Bruder mit vollem Mund.
Meine Mutter war so geistesgegenwärtig und hat alle drei Torten angeschnitten.
„Also mir schmecken alle drei sehr gut“, sagt mein Vater anerkennend. Meine Mutter nickt zustimmend.
„Schatz, die sind alle drei so lecker. Da fällt mir ein, wieso ist Frank eigentlich wieder nicht mit?“
Als der Name Frank fällt, merke ich, wie meine Fast-Schwägerin die Ohren spitzt.
„Ja, der hat einen wichtigen Fall rein bekommen“, wehre ich dieses Gespräch ganz schnell ab.
Als mein Vater mich anschaut, als wüsste er mehr, als ich zugeben möchte, säusle ich: „Das ist doch jetzt zweitrangig. Hier geht es um eine Hochzeit.“
Ich lächle Katrin, ach nein Kerstin auffordernd an. Das ist genau das Futter, welches sie haben möchte und schon ist sie in ihrem Element. Jeder probiert sich durch die verschiedenen Geschmacksrichtungen und dazu gibt es fünf verschiedene Meinungen.
„Da ihr euch nicht einig seid, welche ihr als eure Hochzeitstorte nehmen sollt, kann ich euch nur aus Erfahrung sagen, nehmt doch alle drei. Nur ein wenig kleiner und schon ist für jeden etwas dabei.“
Ole und Kerstin überlegen und die zukünftige Braut beginnt zu strahlen. Und wenn mein Bruder sie so sieht, weiß er, dass sie glücklich ist.
„Genauso machen wir es, Schwesterlein. Du bist die Größte!“
Das ist für mich mein Stichwort. Ich nehme mein Notizbüchlein aus meiner Handtasche und notiere mir die drei gewünschten Torten.
„Wann ist denn eigentlich der große Tag?“, fällt es mir siedend heiß ein.
Die beiden Turteltäubchen rutschen unruhig auf der Eckbank meiner Eltern rum und auch diese schauen neugierig zu ihnen.
„Nun ja“, druckst Ole. „Wir hatten an heute in fünf Wochen gedacht.“
Meine Mutter zieht hörbar die Luft ein. „Oh, so schnell schon?“
Ich lege ihr beruhigend die Hand auf ihren Unterarm.
„Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir schon dieses Wochenende geheiratet. Doch leider war auf dem Standesamt kein Termin mehr frei“, antwortet Kerstin traurig.
„Wie schade“, untermale ich ihre Aussage. Jeder, der mich kennt, hört den Sarkasmus förmlich aus meiner Stimme tröpfeln. Memo an mich: Das kann nicht gut gehen.
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