Nur noch halbwach erinnerte ich mich an seine Worte von vorhin: „Morgen ...“ – morgen ..., dachte ich und schlief ein.
*
Wie habe ich einen Tag wirklich leben können ohne dich, Konrad, wie einen Morgen erwachen, ohne auf deinen Schlaf eifersüchtig zu sein? Ich küsste deine borstigen Wangen bis sich deine Arme um mich schlossen. Wie konnte es eine Zeit geben, ohne in deiner Nähe zu sein? Und deine Hände waren immer bereit, mich zu streicheln, dein Mund mich zu kosen und deine Wärme umhüllte mich. Behutsam hast du mich zum ersten Mal genommen, als du deinen Rausch ausgeschlafen hattest. Vergessen war die Enttäuschung der ersten Nacht. Und ich fieberte jeder Vereinigung mit dir erneut entgegen.
Ich lernte es, im flackernden Schein der Kerzen am Abend vor dem etwas blinden und gesprungenen Spiegel kokett mein Haar zu kämmen, dass es weich meinen Nacken umspielte. Mit jedem knisternden Strich des Kammes lockte ich dich. Und du kamst als Verführer, rissest mich leidenschaftlich an dich, zerwühltest mein eben geglättetes Haar und warst doch der Verführte. Ich spürte die Macht, die ich über dich besaß. Du gehörtest zu mir. Nichts konnte uns mehr trennen. Ich drehte den silbernen Ring an meinem Finger und glaubte, mit diesem Ring, mit meinem Körper, Frau und erwachsen geworden zu sein.
Nie wieder habe ich eine Zeit so bewusst gelebt, wie diese zwei Wochen dort in der bescheidenen alten Laube. Wir gingen eng umschlungen am Ufer des in der Nähe vorbeifließenden Kanals entlang, wir lagen dicht beieinander in Liegestühlen im Garten und träumten. Aber es gab auch Arbeit in Haus und Garten, die verrichtet werden musste. Bald merkte ich, wie ordentlich Konrad all seine Sachen wegräumte. Mir kamen die Worte eines Cousins über seinen Vater in den Sinn: „Wenn er könnte, würde er noch Haken in seiner Hosentasche anbringen, um darin alles ordentlich aufzuhängen.“ Das konnte beinahe auf Konrad passen. Ich bemühte mich auch, meine Sachen stets aufzuräumen, aber eigentlich lag mir das nicht.
Ich war gewöhnt an ein eigenes Zimmer, wo nichts, was herumlag, jemand im Wege war. Zu Mamas Leidwesen war ich nie besonders ordentlich. Manchmal war sie in mein Zimmer gekommen, hatte sich kritisch umgesehen und vorwurfsvoll gesagt: „Es könnte nichts schaden, wenn du wieder einmal aufräumst.“ Was war ich dann froh, wenn sie nicht noch den Schrank öffnete, aus dem ihr bestimmt alles entgegengequollen wäre.
An Konrads Ordnungssinn musste ich mich nun gewöhnen. Es war mir peinlich, wenn er ein Nachthemd oder Strümpfe von mir aufhob, die achtlos auf den Boden gefallen waren. Schweigend, noch mit amüsiertem Lächeln hielt er sie mir entgegen. Hastig stopfte ich sie sogleich unter die Bettdecke, die keineswegs so sauber gefaltet auf dem Bett lag, wie er es gewöhnt war. Ich war schon froh, wenn er mich nicht fragte, was die Strümpfe im Bett zu suchen hätten.
Auch im Garten war nicht zu übersehen, wie sehr Konrad Ordnung liebte. Voller Geduld und Ausdauer beschäftigte er sich mit diesem winzigen Stück Erde.
„Na, wieder auf Unkrautjagd“, rief ihm der Nachbar launig über den Zaun zu.
„Bei uns können Sie weitermachen, wenn Sie bei sich kein Unkraut mehr finden“, ergänzte ihn seine Frau, und die krausen Locken, die ihr volles Gesicht umrahmten wippten vergnügt dazu.
Das waren gemütliche, freundliche Leute. Seit im Krieg ihre Wohnung in der Stadt von Bomben zerstört worden war, und sie froh waren, mit dem Leben davongekommen zu sein, wohnten sie jetzt ständig in ihrer Laube. Sie hatten inzwischen einen Raum angebaut, aus Steinen, welche die Trümmerfrauen aus dem Häuserschutt wieder verwendbar gemacht hatten. Zu ihnen führte auch eine elektrische Leitung auf hohen Pfählen den Weg entlang. Sie waren nicht die Einzigen in dieser Siedlung, die froh waren, hier eine Bleibe gefunden zu haben, nachdem sie durch Bomben obdachlos geworden waren.
Er hatte eine sonnenverbrannte Glatze und blickte mit zusammengekniffenen Augen neugierig zu uns herüber. Sie trug ständig eine bunte Kittelschürze. Mit ihren nackten drallen Armen erinnerte sie mich an Tante Luise. Sie sahen beide nicht aus, als müssten sie sich viel Sorgen um das Beschaffen von Lebensmitteln machen. Oft zogen um die Mittagszeit verführerische Gerüche aus ihrer Küche zu uns herüber.
Am ersten Tag, als ich mich zuerst verlegen aus der Laube hinter Konrad in den Garten getraut hatte, kamen sie an den Zaun und riefen uns zu sich. Sie reichten uns einen Teller mit selbstgebackenem Apfelkuchen herüber. Verlockend stieg uns der Duft davon in die Nase. Das war eine willkommene Überraschung.
„Jetzt sind Sie sicher hungrig“, sagte die Nachbarin dazu und kicherte.
„Na klar!“, ergänzte ihr Mann und zwinkerte mit den Augen Konrad zu, woraufhin ich rot wurde.
Konrad fand immer etwas zu tun im Garten. Die Arbeit im Haus überließ er mir. „Jetzt habe ich doch jemand für die Frauenarbeit“, erklärte er mir verschmitzt.
Ich war nicht sicher, ob er das ernst meinte. Papa hatte Mama nie im Haushalt geholfen, er war verantwortlich für kleine Reparaturen, die er leisten konnte, und Mama für Waschen, Putzen und Kochen. Arbeitsteilung nannte er das. Allerdings war Mama auch nie berufstätig gewesen. „Papas Geld reicht, und die Kinder brauchen die Mutter.“ So war ihre Meinung.
Doch wie würde es nun bei uns sein? Erwartete Konrad etwa, dass ich im Beruf Geld verdiene und daneben zugleich alle Hausarbeit ausführe? Wir sind doch nicht von gestern! Gab es nicht bereits Frauen, die von ihren Männern erwarteten, dass sie im Haushalt mithelfen? Auch wenn diejenigen noch als „Pantoffelhelden“ verspottet und belächelt wurden, es schienen mehr und mehr zu werden.
Doch diese aufmüpfigen Gedanken währten nicht lange. Noch überwog der Wunsch, alles für ihn zu tun, was ihn glücklich machte, und selbst von ihm geliebt zu werden.
So tat ich mein Bestes. Konrad schien zu erwarten, dass ich alles konnte. Oder tat er nur so? Dabei fühlte ich mich unsicher und unbeholfen bei der ungewohnten Arbeit. Zu selten hatte Mama von mir verlangt, ihr zu helfen, um jetzt alles zu können. Wie von Mama vorhergesehen machte mir der gusseiserne Herd besonders zu schaffen. Er war wirklich mumienhaft alt. Er vermittelte mir den Eindruck, als könne er jeden Moment zusammenfallen. Die Ofentür hing nur noch an einer Angel. Ich musste sehr aufpassen, um sie richtig zu schließen. Wie sollte ich in ihm Feuer entfachen? Ich hatte damit keine Erfahrung. Zu gern blies er mir zuerst eine dunkle Wolke Qualm ins Gesicht, ehe er sich bei langsam züngelnden Flammen erwärmte.
Wenn ich dann endlich einen Topf zum Kochen auf ihn setzte, so kochte es entweder über oder gar nicht. Konrad zeigte mir, wie man die eisernen Ringe mit dem Feuerhaken in das Feuerloch schob, um damit die Hitze für den Topf zu regulieren. Es sah so leicht bei ihm aus. Doch ich brach mir fast die Finger dabei ab und verbrannte sie mir.
„Verfluchte Scheiße!“, entfuhr es mir wütend.
Konrad, der gerade eine Kanne voll Wasser vom Garten in die Küche brachte, sah mich erstaunt an. Ich schämte mich, als hätte mich Mama beim Fluchen erwischt. Sie konnte es nicht ausstehen. „Wo hast du nur dieses zornige Temperament her?“, fragte sie dann. Ob Konrad nie fluchte? Wir wussten wirklich sehr wenig voneinander.
Konrad überging es, was er auch dachte. Schnell stellte er die Kanne ab, kam zu mir, nahm meine Hand, pustete über die verbrannte Stelle und spöttelte: „Ooooch, hast du dir wehgetan?“
Spott, war das Letzte, was ich jetzt bei meinen misslingenden Versuchen vertragen konnte, auch wenn er noch so liebevoll gemeint war. Scheinbar scherzhaft warf ich ihn aus der Küche. Bei weiteren Versuchen mit diesem widerwilligen Gesellen von Herd wollte ich keinen Zeugen haben.
Doch was wollte, was konnte ich eigentlich kochen? Bratkartoffeln, Spiegeleier jeden Tag? Damit würde wohl Konrad nicht zufrieden sein.
Читать дальше