„Wir wissen was ihr vorhabt – unterschätzt uns nicht!“ dröhnte es unter allen drei Kapuzen einstimmig hervor. Ein dumpfes Schlagen unterbrach das Gespräch. Der Ork war wohl in Bewegung gekommen und drückte sein grünes Gesicht in das vergitterte Fenster seiner Zellentür. Er fauchte aufgebracht: “ Schwache Menschen lasst mich raus – ich töte, Fleischsäcke!“
Derjenige der am nächsten stand, schwebte auf die Tür zu. Mit seiner gleitenden, schwerelosen Bewegung kam das Flüstern zurück. Der Ork grunzte und fletschte herausfordernd seine spitzen Hauer und ließ nicht mehr von dem Gitterfenster ab. Doch plötzlich erstarrte sein Blick. Stumm verschwand sein rundes Gesicht aus der Öffnung. Der Schatten verflüchtigte sich, wurde zu einem schwarzen Wirbel, der sich gleich darauf durch die Gitter zwängte und im Innern der Zelle verschwand. Noch ein letztes Mal hörte man den Ork fluchen, dann begann er zu schreien. Selbst Bagatosh wurde eisig, bei diesem ungewohntem Geräusch. Melasha schluckte. Alle anderen Gefangenen horchten verängstigt nach dem letzten Laut des Orks, der gurgelnd aus dem Zellentrakt dröhnte.
„Wir haben beschlossen euch in unsere Obhut zu nehmen – bevor ihr da draußen noch mehr Unheil anrichtet, sozusagen wie in alten Zeiten, bevor eure kümmerliche Existenz begann!“ Der verschwundene Schatten rauchte aus dem Kerkerfenster, baute sich Schicht um Schicht auf und schwebte flüsternd heran. Bagatosh und Melasha schenkten sich einen fragenden Blick, sollten sie sich beleidigt fühlen? Sie grinsten Breit und wendeten sich erneut, ganz selbstbewusst ihren Kerkermeistern zu.
„Wer – oder was seid ihr eigentlich?“ Bagatosh war aufgestanden und sah dem mittleren Wesen entschlossen und lauernd in die glühenden Höhlungen.
„Eure Meister – Begründer des schwarzen Orden, ehemalige Mentoren der Assassinen, euer Klerus sozusagen.“
Melasha drückte ein gelangweiltes: „PFF“, heraus und drehte sich provokant weg. Er hatte genug gehört, dieses hochtrabende Gerede tat in seinen Ohren weh. Er war bereits seit Tagen hier eingesperrt und ganz allmählich entnervt. Bagatosh ahnte so etwas schon, nach den jüngsten Ereignissen, aber ein Begriff materte ihn. Es waren alte Geschichten, sehr vage, die Quellen nur bruchstückhaft übermittelt.
„Ihr seid also die eintausend Augen?“
Die Wesen schwiegen. Das leise, hintergründige Flüstern verstummte. Sie schienen sich anzusehen, darüber auszutauschen was sie antworten sollten.
„Das ist wahr – so nannte man uns einst“, ergriff der mittlere das Wort, „Aber so nannte uns schon lange niemand mehr – es klingt so fremd doch irgendwie - es waren unsere Vorfahren, die Wurzel.“
„Des Übels", konstatierte Bagatosh, "Es waren Grabräuber, Taugenichtse, einfache Leute die nach Artefakten suchten, als sich der Himmel, von Drachen gereinigt, endlich aufklärte. Sie suchten kriechend auf allen Vieren wie Ratten auf den Schlachtfeldern nach Beute – richtig?“
„Anfangs – doch die magische Verseuchung der Drachenkriege veränderte sie, machte sie zu Kreaturen einer neuen Weltordnung.“, ergänzten die Drei einstimmig.
„Ich habe die Quellen gesehen, Abbildungen, es waren groteske Gestalten mit übergroßen Köpfen – überwuchert von Augen, die in Trauben aus ihrem Kopf wuchsen. Unheimlich und bestialisch in ihrem Tun. Plündernde Kreaturen, Geheimnisse und Techniken der alten Welt hortend.“
Melasha fand sein Interesse wieder. Er war überrascht über das detaillierte Wissen seines Bruders, denn wider erwarten verneinte niemand, der illustren Gesellschaft, die Ausführungen seines Bruders.
„Und ihr wollt uns weismachen, dass ihr und der schwarze Orden ein und den selben Ursprung habt?“ Schweigen, selbst die Gefangenen schienen zu horchen.
„Wir veränderten uns. Wuchsen heran zu etwas neuem, entwickelten uns, bis wir endlich die heutige Gestalt erreichten. Die Assassinen und ihr geheimes Wissen sind Ableger der tausend Augen, genau wie wir.“
Bagatosh war ehrlich verblüfft, wenn das stimmte musste er den Dingern, im Nachhinein auch noch dankbar sein.
„Genug, wir bringen euch dorthin – zu unserem Ursprung, den Geisterwerken weit hinter dem Fressenbeißergebirge. An diesem Ort werdet ihr ein Teil unserer Maschinerie, nach der Umwandlung werdet ihr fraglos anders sein, umgänglicher und nicht so neugierig!“
„Ihr seid die Hexer die Erschaffer der Syders – habe ich recht?!“ Diese Frage war ein Schuss ins Blaue, aber durchaus einen Versuch wert, "Ihr habt irgendwie eure Form verändert."
Das Flüstern unter den Talaren nahm zu. Die Stimmen überschlugen sich, bevor sie ganz verstummten. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließen die drei Erscheinungen den Raum und nahmen den bedrückenden Geruch des Todes mit sich fort. Die Wache trat aus dem Schatten und betätigte erneut den Hebel. Die Käfige bewegten sich sehr langsam nach oben. Bagatosh und Melasha standen nackt an ihren Gittern und sahen sich lange wortlos an.
„Wie bist du darauf gekommen?“ Melasha starrte lauernd herüber.
„Ich kenne unsere Geschichte, und ich hab einfach eins und eins zusammengezählt.“
„Wenn das stimmt, dann sind das die Hexer, die seit Jahren als verschollen gelten – und sie scheinen für meinen Geschmack noch sehr aktiv.“
Bagatosh nickte. Er dachte gerade an Vivan, Glutherz und Elamorsa – hoffentlich waren sie den Häschern der Schatten entgangen. Diese Naivlinge geisterten führungslos da draußen herum, zwischen den Orks und dem Dahinter. Ohne Drachen. Mit Pferden, die sie zwischenzeitlich sicher schon verloren hatten, an einen der herumstreifenden Silbertiger oder den jagenden Tark. Pferde waren für diese angriffslustigen Kreaturen ein Happen für zwischendurch.
„Verdammt, wir sitzen ganz schön in der Scheiße!“
Bagatosh nickte zustimmend. Da draußen, – er sah wieder diesen träumerischen Blick Elamorsas, wenn sie von da draußen sprach und die Rettung ihres verschollenen Vaters beschwor. In der Wildnis gab es bei weitem schlimmeres als diese: „Schatten.“ Und diesen unsagbaren Schrecken mussten sie sich, bis auf weiteres, allein stellen.
"Schon einen Plan wie wir hier rauskommen?" Melasha spukte erneut nach unten und sah seinem Werk hinterher.
"Wie war meine Kopie so?" Melasha grinste linkisch.
"Genauso ein untalentierter Schrumpfkopf wie du!"
Truchwassa horchte angestrengt. Er zählte die Tropfen die sich durch die Kanaldeckel leichtfüßig einen Weg bahnten. Er vermutete sie irgendwo weit über sich, in den undurchdringlichen Schatten. Vielmehr, als dieses anhaltende Tropfen, nahm er an diesem Tag nicht wahr. Tag ein Tag aus die selben Eindrücke. Die Spinnen ließen sich schon seit langem nicht mehr blicken. Er steckte fest, in einem Abwasserkanal. Sicher, es gab keinen Grund sich ernsthafte Sorgen über diese missliche Lage zu machen. Orks waren zäh, regelrechte Hungerkünstler, bis zu drei Monate hielten sie ohne Nahrung aus. Insgeheim war das Truchwassas stille Hoffnung: hungern bedeutete abnehmen. Vielleicht gelang es ihm sich aus dem Rohr heraus zu hungern, seine hängende Fettschürze loszuwerden, um sich so – irgendwann, aus seiner misslichen Lage befreien zu können. Wasser, daran haperte es nicht. Nachschub gab es zur Genüge. Immer wieder drang ein Schwall von oben herab. Ein Zeichen das es regnete. Dort oben, in lichtloser Höhe musste es einen Zugang nach außen geben. Der Ork vermutete eine Siel-Öffnung. Es schien über seinem Kopf beständig zu regnen – typisch für den Herbst in dieser Gegend.
Diese Idee, sich den Schatzsuchern anzuvertrauen, war eine Schnapsidee – an Dummheit kaum zu übertreffen. Zu diesem Schluss war er sehr schnell gekommen, in seiner unfreiwilligen Verbannung. Reed hieß der eine Ganove – ein zwielichtiger, schwächlicher Mensch. Klein von Wuchs. Er nahm nie seinen Helm ab, als befürchte er seine Umgebung mit seinem Anblick zu vergiften. Vielleicht war er gar kein Mensch. Aber die Aussicht ins Herz der Stadt zu gelangen, um den Truchsess höchstselbst einen Besuch abzustatten – diese Aussicht war für den Häuptling der Orks einfach zu verlockend gewesen.
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