Ein Poltern dröhnte durch den Flur. Der Boden zitterte. Ein kurzer Blick um die Ecke verriet ihm was geschah, der Papiergolem hatte den Meister an den Beinen gepackt und schlug ihn, wie ein eben gefangenen Barsch, mit dem Kopf voran, gegen die Kante eines umgefallenen Tisches. Ein hohles Knirschen erklang. Der Schädel war soeben geborsten. Ein letztes Zittern fuhr durch den enthaupteten Körper. Ein Schwall Blut flutete über den frisch gebohnerten Holzboden. Trivasek musste sich gerade genährt haben. Valakrien keuchte. Vor Anspannung hatte er ganz vergessen zu atmen. Es knisterte, ein blaues Blitzgewitter zwischen den Papierschichten funkte empor, es roch staubig und irgendwie elektrisch. Der Golem beugte sich bedächtig nach vorn, als wollte er sich vergewissern, dass sein Opfer tatsächlich tot war.
Nach oben, nach oben! hämmerte es schmerzhaft in Valakriens Kopf. Ohne weiter nachzudenken trat er die Flucht nach vorn an. Er stürzte atemlos die hölzerne Treppe hinauf. Schon als er die obere Schwelle erreichte, bedauerte er seine Entscheidung. Der Boden zitterte. Valakrien spürte jeden Schritt des Monsters unter seinen Fußsohlen. Furchtsam sah er nach unten. Da stand dieses Ding, gefaltet aus Papierfetzen, im Zwielicht, welches es selbst geschaffen hatte. Ein klobiges Unding geboren aus einem Alptraum. Die Kreatur brummte hohl und machte sich daran die Treppe hinaufzusteigen – ganz langsam, als hätte es alle Zeit der Welt.
Feuer – ja, Feuer. Hier gab es weit und breit kein Feuer. Eine Vorsichtsmaßnahme, Vampire spürten im allgemeinen keine Temperaturunterschiede. Eine Ausnahme bildete die Sonne – Feuer war ihr erklärter Feind. Gegen diese Naturgewalt, waren selbst die so genannten Unsterblichen machtlos. Ein schlangenhaftes Zischeln zerriss die Luft. Das Wesen ließ seine Arme nach vorn schnellen, dabei lösten sich etliche Papierschnipsel, die wie Sperrspitzen auf ihn zurasten. Gerade noch konnte er sich unter dem tödlichen Papierregen wegducken. Der Golem knisterte frustriert, dabei funkelte er wieder blau aus unzähligen Ritzen und Öffnungen, die zwischen dem Papier lagen. Eine stumpfsinnige Monotonie trieb ihn an. Der Zahlencode war sein Herz, welches ununterbrochen nach Mord schrie.
Valakrien hetzte über die Galerie. Eine Vielzahl von Arbeitsräumen zweigten hier ab. Momentan konnte er sich nicht entscheiden wohin. Die Räume waren ausgesprochen klein, nicht mehr als fensterlose Zellen. Der Boden zitterte die Bohlen knirschten unwillig dazu. Der Golem hatte gut spürbar die obere Etage erreicht. Blaues Licht huschte gespenstisch über die fein verputzten Wände. Valakrie war bewusst, eine weitere Etage würde folgen, danach gab es kein Entrinnen mehr. Der Dachboden war zwar ausgebaut, aber es gab keine Fluchtmöglichkeit – kein Entkommen. Nur Erker und ein Turmfenster. Turmfenster! Beherzt lief Valakrien die enge Treppe hinauf. Der Golem streifte seine anfängliche Trägheit ab und nahm die Fährte auf. Mit polternden Schritten eilte er durch die Galerie. Ein enttäuschtes Brummen dröhnte von Unten herauf. Das Monster, auf der Suche nach Leben, besah sich alle Räume ganz genau. Oben angelangt betrat Valakrien nur sehr zögerlich den Dachboden. Licht fiel schräg hinein. Die Sonne erreichte beinahe ihren Zenit und unterteilte den Raum in begehbar und nicht begehbar. Der Vampir überprüfte noch einmal seine Schutzhülle in Form von billiger Theaterschminke. Stellenweise war sie eingetrocknet und regnete in feinen Splittern ab. Er sah zurück. Der Papierriese wankte die Treppe hinauf. Er hatte sichtbar Schwierigkeiten vorwärts zu kommen. Der Treppenaufgang war eng. Die Papierspitzen, mit denen er übersät war knickten ein und so zog er sich, bei seinem überhasteten Vormarsch, hunderte von Eselsohren zu.
Valakrie hatte eine Entscheidung zu treffen. Hier oben gab es nichts womit er sich ernsthaft zur Wehr setzen konnte. Es ging um sein nacktes Überleben. Der Vampir trat mutig ins Licht. Seine Augen brannten. Das Bild, welches sich vor seinem Auge abzeichnete, verschwamm augenblicklich. Er drohte jeden Moment ohnmächtig zu werden. Geblendet griff Valakrien eilig nach einem der Laken, mit denen einige Möbel hier oben abgedeckt waren und wickelte es sich sorgsam um den Kopf. Nur einen Sehschlitz ließ er offen – dann betrat er die Schwelle vor dem mannshohen Fenster. Die Tür brach ächzend aus den Angeln. Sie flog schwerelos davon und krachte geradewegs in das gegenüberliegende Fenster. Das Sonnenlicht brandete entfesselt herein. Ein feuriger Schmerz pulsierte durch Valakriens Hand – genau dort wo Trivaseks prüfende Finger seine Spuren hinterlassen hatten. Entschlossen trat Valakrie auf das Fenster zu, noch ehe er sich zum Sprung entschließen konnte, bekam er einen kräftigen Schlag verpasst, der ihn wie ein Geschoss auf die gegenüberliegenden Dächer zurasen ließ. Steil ging es bergab. Mit wenig Mühe und ungeahnter Kraft, aus einem entfesselten Lebenswillen heraus, entfaltete er seine Flügel. Sofort bekam er Rückmeldung in Form von Schmerz. Die Sonne traf ihn unbarmherzig in die Flanke. Die Strahlenbündel fraßen sich gnadenlos in seine lederne Haut. Gerade noch konnte er sich, mit ein paar kläglichen Flügelschlägen, vor dem Absturz retten. Valakrien gewann an Höhe. Er segelte empor, während er angespannt zurück blickte. Der Golem hob drohend seine Papierarme und brüllte dabei frustriert. Blaue Funken knisterten aus seinem Körper hervor, ähnliches hatte er schon einmal bei den Zwergen-Technikern beobachtet, die mit alchemistischen Formeln Batterien zum Leben erweckten und aus ihnen endlos Energie gewannen.
Valakrien drohte eine Ohnmacht. Ohne weiteres Zögern entschloss er sich, auf das Haus von George Mondseele zuzuhalten. Es lag nur zwei Blöcke weit entfernt. Mit rasender Geschwindigkeit hielt er auf das große Hauptfenster der oberen Etage zu. Flatternd löste sich das Laken. Gerade noch im richtigen Moment, zog er seine Flügel ein und rollte sie um seinen Körper. So zusammengeschnürt, bildeten sie einen schützenden, ledrigen Kokon, der den kommenden Aufschlag abmildern sollte. Drehend wie eine Furie im Wind, brach er krachend durch die Scheibe und schlug hart auf dem kostbaren Parkett auf. Ächzend und aus unzähligen Brandwunden, die ihm die Sonne beigebracht hatte, dampfend – stand er auf und torkelte auf zittrigen Beinen durch die gut bürgerliche Stube. Hier war es kühl und angenehm schattig. Schreie drangen von unten herauf. Neugierige Passanten riefen aufgebracht nach der Stadtwache. Valakrien eilte hinaus auf den Flur. Es blieb wohltuend kühl. Entzückt nahm er wahr, das das Tageslicht nur sehr sparsam, durch kleine rechteckige Fenster direkt unter dem Dach, herein träufelte.
"Herr Mondseele?" Zögernd trat er an das gusseiserne Geländer der Galerie und sah nach unten in die geräumige Vorhalle. Sein erstarrter Blick nahm flackernde Schatten war. Einige Passanten waren von außen an die Tür geeilt und schlugen wild auf die Eingangstür ein. Valakrien entschloss sich die Leute vorerst zu ignorieren. In diesen verzwickten Tagen würde es Stunden dauern bis endlich die Stadtwache auftauchen würde – wenn überhaupt. Unten angelangt beobachtete er das Spiel magischer Siegel, die mit jedem Schlag gegen die Haustür, schwach aufglommen. Magisch versiegelt. George schien auf Sicherheit bedacht und scheute keine Kosten. Valakrien blieb einen Moment im Empfangsraum stehen und horchte. Die Leute draußen ließen von der Tür ab. Nichts – Stille, Mondseele war nicht zu haus, dass war schon mal sicher. Ohne weiteres Zögern, ging er den langen Flur entlang. Hier, im Untergeschoss, musste es eine Tür geben. Eine Tür die hoffentlich in den Keller führte. Wo sonst sollte er den wertvollen Sand aufbewahren? Valakrien taxierte seine Umgebung ganz genau, da – auf dem Boden. Ganz eindeutig – Sandkörner, in dem sonst so penibel gereinigten Flur.
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