"Sir, – Herr, ich bin zurück.", seine Worte tasteten sich in das Bewusstsein seines Großmeisters, der vertieft in seine Betrachtungen, ungerührt mit dem Rücken zu ihm stand und keine Anstalten machte, dem Neuankömmling seine Aufwartung zu machen.
"Es ist spät Vala – wo hast du so lange gesteckt?" Der Großmeister drehte sich um, "Bei den Göttern – wie siehst du aus!" fassungslos sah er den Schriftgelehrten an. Sein Verhalten war im allgemeinem seltsam, einem Vampir seines Standes ohnehin nicht angemessen – aber dieser Anblick war selbst für den krisengeschüttelten Vampirlord eindeutig zu viel.
"Hast du dich heimlich im Theater rumgedrückt? Etwa bei dieser Tarbanina?" schmunzelnd näherte er sich Valakrie. Mit seinem bleichen, mageren Zeigefinger strich er über Valakriens halb verkrustete Wange. Mit einem misstrauischen Blick, zerrieb er prüfend die Paste zwischen seinen Fingerspitzen.
"Ein kindischer Scherz – oder? Tatsächlich Theaterschminke?"
Valakrien senkte sein Haupt. Er wich dem fragenden Blick seines Meisters aus, solang es ging.
"Du warst schon immer seltsam – kein Vampir im klassischen sinne, eher ein schwacher Mensch. Wie kommst du nur auf so einen ausgemachten Unsinn?" Die graue Stirn des Meisters legte sich in falten. Diese Verwerfungen waren tief. Die Augen, nicht mehr als glimmende Rosinen. Sie glommen trübe, aus schachttiefen Augenhöhlen.
"Dein Vater war ein guter Freund, daher zögerte ich nicht mal eine Minute dich aufzunehmen. Zugegeben, du bist eine wahre Enttäuschung, aber in Gedenken an Freundschaft, habe ich dich gewähren lassen, dich aufgenommen und vor den anderen geschützt – wenn ich so nachdenke, habe ich dich eigentlich wie einen Sohn behandelt. Egal ob ich mir den Zorn der anderen zuzog."
Es raschelte geheimnisvoll im Flur. Trivasek horchte auf:, sein Gehör war ausgezeichnet, wenn er sich konzentrierte konnte er sogar die Maus im Nebenraum, die über den staubigen Boden tippelte hören, aber er tat dieses beiläufige Geräusch als eine Laune des Windes ab und konzentrierte sich darauf, seinem Gegenüber ins Gewissen zu reden – so sinnlos seine Bemühungen auch sein mochten.
"Was ist nun mit unserem Zulieferer, der sich so rar macht?"
Valakrien schämte sich sichtlich. Nur sehr zögerlich gab er Antwort: "Nun, ich hab ihn nicht angetroffen – ich weiß, wir sollen ihn nur bei Nacht aufsuchen, um kein Aufsehen zu erregen – aber das hab ich schon mehrfach versucht, niemand macht die Tür auf. Er scheint vom Erdboden verschluckt!"
"Ach was – also hast du eigenmächtig entschlossen, einfach mal bei Tage durch die Stadt zu marschieren?"
Valakrie nickte eifrig. Er hielt es wirklich für eine gute Idee, besonders das mit der Theaterschminke. Trivasek grunzte verstimmt und griff nach den Händen seines Günstlings. Er musterte sie ganz genau.
"Und wie ich unschwer erkennen kann war deine Schnapsidee nicht sehr erfolgreich – oder? Deine Handrücken sind verbrannt.", stellte er tonlos fest. Der Meister hielt ihm seine eigenen Hände, mit vorwurfsvollen Blick vor die Nase.
"Versteh endlich – wir haben ein Abkommen mit den Menschen. Es ist alt, aber nicht vergessen. Wir zeigen uns nicht am Tage und dafür lässt uns die Stadtwache in der Nacht in Ruhe walten – alles im Rahmen, nicht übertreiben, dazu sind wir angehalten. Du kannst von Glück reden, dass du nicht gleich festgenommen wurdest. Wir sind eine geheime Gesellschaft, wirken im Dunkel der Nacht, leben abseits, abgeschieden – doch so mögen wir es, niemand pfuscht uns in unsere natürliche Lebensweise. Die Jagdgründe sind zugeteilt. Es gibt unsichtbare Linien, die die Stadtteile fein säuberlich trennen, in unsere Gebiete und Stadtteile die für unsereins Tabu sind. Ein fragiles Gleichgewicht, abgesegnet durch den Truchsess höchstselbst."
Valakrien sah sein Gegenüber verwundert an – von einem Abkommen hatte er noch nie etwas gehört. Es raschelte wieder. Valakrien meinte eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrzunehmen.
"Es ist immer schon so gewesen und du rüttelst leichtfertig an den Fundamenten der Jahrhunderte." Trivasek schüttelte den Kopf verschränkte nachdenklich die Arme hinter dem Rücken und wendete sich wieder dem Kamin zu.
"Er ist also nicht Zuhause – verdammt! Wir brauchen seine Lieferungen. Wo zum Teufel steckt dieser Mondseele?"
"Er ist ein Ritralde – richtig?" Valakrie bedauerte schon gefragt zu haben.
Der Ordensmeister schnaubte verächtlich: "Woher weißt du das schon wieder?"
"So eine Ahnung – der Geruch – ich hab Speichel entdeckt, bereits eingetrocknet, aber meinem Blick ist dieses Detail nicht entgangen."
Trivasek hatte sich umgedreht seine Glutaugen brannten jetzt lichterloh. Seine Reaktion war ungewohnt heftig.
"Ich vergaß – du kommst aus dem Norden – vielleicht hattest du schon Kontakt mit seiner Art? Sag es niemanden, hörst du? Nicht einer Sterbensseele. Es wäre nicht auszumalen was dann geschieht! Seine Rache fürchterlich. Er hilft uns und dafür hüten wir sein Geheimnis. Eine Klaue wäscht die Andere – aber im Grunde ist dieser Kerl unberechenbar." Trivaseks Stimme klang ungewohnt besorgt, geradezu panisch für einen Vampirlord seines Kalibers.
"Ich beschwöre dich – lass ihm sein Geheimnis." Trivaseks Stimme war bedrohlich angeschwollen.
Es musste sich um einen nicht zu unterschätzenden Gegner handeln. Ein Stöhnen drang aus dem Flur, begleitet von einem Rascheln. Dieser Klang erinnerte an verdorrtes Herbstlaub, welches wirbelnd über das Kopfsteinpflaster einer leeren Gasse tanzte. Die Kerzenflammen beugten sich für einen Moment, dann erloschen sie ganz. Ein metallisches Dröhnen erklang – es passte so gar nicht in diesen Raum. Licht drang schräg durch die Ritzen der Vorhänge. Staub wurde aufgewirbelt. Valakrien beobachtete wie sein Meister sich verwandelte. Ledrige Flügel spannten sich knirschend. Sein Gesicht, befand sich im Fluss der Verwandlung. Trivasek stieß sich mit seinen gewachsenen, langen Tatzen vom Boden ab. Gerade, als er in den Saalhimmel strebte, platzte ein außergewöhnliches Geschöpf in den Versammlungsraum. Dieses Wesen knirschte und raschelte wild. Auf den ersten Blick, sah es aus wie ein Berg aus Papierfetzen. Wirr, irgendwie zusammenhanglos – durch einen Zufall zusammengewürfelt. Ein Arm streckte sich empor und ergriff das Bein des entfliehenden Ordensführer. Der kräftige Papierarm zog mit aller Kraft. Trivasek schlug heftiger mit seinen gewaltigen Flügeln, für einen bangen Moment schwebte er reglos in luftiger Höhe. Valakrien duckte sich hinter einen umgestürzten Tisch. Das sonderbare Wesen schien ihn erst einmal gar nicht zu beachten. Valakrien beobachtete über den Rand des Tisches, wie das Monstrum den Meister hinab zog und ihn wie ein Spielzeug hinwegschleuderte. Mit einem kläglichen Ächzen traf er an der gegenüberliegenden Wand auf. Seine Körperumrisse zeichnete sich, gut sichtbar in der Wandvertäfelung ab. Bewusstlos rutschte Trivasek zu Boden. Das Wesen stampfte träge heran. Die Kreatur schien noch nicht befriedigt, vielmehr drosch sie von oben, mit gewaltigen Fausthieben, auf den reglosen Körper, zu seinen Füßen, ein. Stumm ließ der Meister die Tortour über sich ergehen. Valakrien zitterte am ganzen Körper. Er kauerte sich hinter dem Tisch zusammen. Noch nie hatte er so etwas empfunden – wie nannten Menschen diesen verwirrenden Gemütszustand? Ein Haufen Papier löste sich von dem tobenden Ding und glitt direkt vor die Füße des schlotternden Valakrien. Es war zerknickt, doch die Zahl konnte er lesen: "Fio" – übersetzt: eintausend in der Sprache der Elfen. Seine Anspannung verging. Beherzt huschte er von Tisch zu Tisch, nutzte sie als Deckung und strebte Richtung Flur. Es war heller Tag, mit Hilfe war nicht zu rechnen. Die Gemeinde schlief tief unter seinen Füßen, in der angestammten Krypta des Ordenshauses. Valakrien riskierte einen kurzen Blick: sein Mantel war zu Boden gefallen, dass Tascheninnere nach außen gekehrt. Eine Spur Papierschnipsel endete direkt vor seinen Füßen. Valakrien bückte sich und sammelte die restlichen Schnipsel, deren er in der Eile habhaft werden konnte, auf. Öffnete die Tür und beugte sich vorsichtig, tastend hinaus. Er warf das Papier von sich. Für den Augenblick befriedigt, schlüpfte er wieder hinein und verschloss die Tür sorgsam hinter sich.
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