Auszüge aus dem Tagebuch des Ewald Kundibar: "Über die Drachenkriege"
Valakrien war ein Grenzgänger. Eine dicke Paste schützte seine empfindsame Haut vor dem Grauen des Morgen. Er war also an den Händen und im Gesicht vollständig mit billiger Theaterschminke eingekleistert, was sein, eh schon ungesunden Teint noch zusätzlich belastete. Er wirkte noch ungesünder als üblich. Wirre Lichter gaukelten durch den Halbtag wie Sinnestäuschungen, dieses diffuse Licht brannte in den Augen – sie wollten sich einfach nicht umgewöhnen. Dieser Umstand war mit ein Grund, warum sich der Vampir nur sehr ungern und selten, bei anbrechendem Tageslicht, durch das wirre Labyrinth der Gassen und Straßen von Friedstatt quälte. Menschen waren ein weiterer Grund. Köstlich und so verlockend. Er konnte ihren Puls hören und jeden Blutstoß unter der transparenten Haut mit bloßem Auge verfolgen. Die Verlockung seine Zähne, in ein zartes Handgelenk zu stoßen wurde mit jedem Atemzug größer. Eine Tortour, die kaum auszuhalten war.
Es war kalt geworden. Die Bäume schüttelten vielerorts ihr verdorrtes Kleid ab. Ihre Hinterlassenschaften bildeten bunte Mosaike in den kotverschmierten Rinnsteinen. Blatt für Blatt ein buntes verwirrendes Farbenspiel, das Valakrien faszinierte und ihm ein Lächeln ins bleiche Gesicht zauberte. Leugnete er seine Natur? Vielleicht – nein, ganz sicher.
Endlich war er an dem Haus des Sandzulieferers, Namens: "George Mondseele" angelangt. Eine Schar Schwarzgänse zog lauthals schnatternd über seinen Kopf hinweg. Ein Wunder, die Vögel kehrten zurück. Die Lieferungen waren schon seit Tagen ausgeblieben, sehr zum Leidwesen der hiesigen Vampirgemeinde. Dieser Boden war einzigartig in seiner Beschaffenheit. Er wies den richtigen Grad an Verseuchung auf. Die Dosis hielt Würmer und anderes schädliches Getier von den Särgen fern, eine Art Schutzmillieu, das jeder Vampir gerne in Anspruch nahm. Man argwöhnte das Mondseele bereits reich geworden war – nur allein durch den Abverkauf des Sandes, dessen Ursprung unbekannt blieb, was sicher im Sinne des Erfinders lag. Diesem heimlichen und verschwiegenen Mann auf die Schliche zu kommen war fehlgeschlagen. Alle Versuche scheiterten. Niemand vermochte es in seine Villa einzudringen, die magischen Siegel erwiesen sich als zu stark.
Der schwere Messing-Klopfer, in Form eines Wolfkopfes dröhnte. Ein, zweimal, – dieser dumpfe Ton hallte in der seelenvergessenen Gasse nach. Wo war dieser Kerl nur abgeblieben? Valakrien blickte lauernd nach oben. Aber kein befreiendes Quietschen von rostigen Fensterscharnieren, löste ihn aus seiner grüblerischen Anspannung. Die gelieferte Erde musste regelmäßig ausgetauscht werden, sie besaß eine Art: Halbwertszeit – danach ließ die Wirkung rapide nach, was besonders schlecht war für die Reisenden unter ihnen. Wenn sie einen neue Enklave oder gar Stadt fanden und dort anlandeten, war es ihre erste Pflicht die Erde umzupflügen, den Aushub zu beseitigen und mit der teuer erkauften, guten Muttererde aufzufüllen. Doch jetzt drohte das Aus für eine, jahrelang gepflegte Tradition. Wohlweislich, geradezu weitsichtig hatte man versucht hinter das Geheimnis von George Mondseele zu kommen – doch der zeigte sich als ein ausgekochter Hund – Hund? Wohl eher: "Ritralde". Valakrien vermutete schon seit langem, dass hinter dieser ach so harmlosen Fassade, ein Werwolf des Nordens steckte.
Ein weiteres und letztes Mal, fuhr der Türklopfer nieder. Nichts! Nur ein räudiger Köter kläffte rebellisch. Valakrie meinte auch das Kettenrasseln eines Spukie zu hören – Wesen aus Rauch die aus den Eingeweiden der Stadt empor dampften, irgendwo zwischen den schiefen und verwitterten Häuserschluchten des Händlerviertels. Sie ängstigten die Anwohner, mit ihrer bloßen Anwesenheit. Was war jetzt zu tun? Die unmissverständliche Vorgabe seines Meisters lautete: Finde den Kerl – und es ist mir egal wie! Selbst wenn du jeden Stein in dieser verpissten Stadt umdrehen musst! Und wage es nicht, mit schlechten Nachrichten zurückzukommen!
Valakrien hob wie zur Entschuldigung die Achseln. Er entschloss sich umzukehren. Das Licht nahm zu. Die Sonne stieg bedrohlich weit über die niedrigen Dächer der Nachbarschaft und verdrängte das schützende Zwielicht. Mit hängenden Armen und den Blick nach unten gerichtet schlenderte der Vampir zurück in Richtung Ordenshaus. Der Tiefpunkt seines bisherigen Lebens war erreicht. Diesen Vorfall empfand er als tiefe Schmach – eine Lösung musste notwendigerweise her.
Gerade, als er den Blick von der Straße abwenden wollte, nahm ein Stück Papier seine volle Aufmerksamkeit in Beschlag. Es handelte sich dabei nicht nur um ein schnödes Stück Papier, sondern ganz offensichtlich um einen Fetzen wertvolles Pergament. Seine Neugierde war geweckt. Valakrien erkannte die Struktur sofort. Mit dem routinierten Blick eines Schriftgelehrten analysierte er die Oberfläche. Es handelte sich ganz offensichtlich um ein Knäuel Geisterpergament, eine Rarität. Der Vampir sah sich hektisch um, als erwartete er einen Neider, der ihm das Papier noch in letzter Sekunde streitig machen wollte. Dieses Papier war äußerst selten und somit wertvoll. Die Magiergilde liebte solche Funde, besonders die Grünschnäbel ihrer Zunft, denn das hauchdünne Papier verstärkte auf wundersame Weise die Wirkung der aufgetragenen Runen. Valakrien nahm es mit einem hektischen Seitenblick auf und zog es vorsichtig in Form. Eine Rune prangte gut sichtbar auf dem Papier. "Enox", las er zu seiner Überraschung laut vor – Enox, elfisch für Zehn. Verdammt, eine Zahl ausgerechnet jetzt! Wie von einer unbekannten Macht wurde er getrieben den nächsten Schnipsel Papier aufzusuchen und aufzuheben. Sie lagen in nächster Nähe, wie zufällig verstreut, so dass er ohne größere Anstrengung den nächsten Brocken fand. Er schwitzte. Die Sonne stand bereits im Zenit. Die Theaterschminke verlief. Nur notdürftig reparierte er seinen Sonnenschutz, indem er die frei gewordenen Stellen an den Händen, Gesicht und Unterarmen, in einem schattigen Winkel, regelmäßig ausbesserte. Er war bei der Zahl eintausendfünfhundert angelangt. Es würde sicher noch die ganze Nacht dauern oder länger alle Teile des Puzzle aufzuklauben. Welcher Schelm hatte ihm diese Falle ausgelegt? Pardusa? Dieser Kerl tat alles um Valakrien zu kompromittieren. Das gefundene Papier stopfte er, mit mäßiger Sorgfalt, in die tiefen Taschen seines langen, schwarzen Mantel, der den Großteil seines Körpers vor der Sonne abschirmen sollte. Mit Erleichterung stellte Valakrien fest, dass Wolken aufgezogen waren. Die Lokalen, die ihn gewahr wurden, flohen bei seinem Anblick. Selbst die abgehärteten Straßenkinder, war er in dieser Maskerade nicht geheuer. Schreiend und mit schreckverzerrten Gesichtern flohen sie von ihren Opfern – mit Sack und Pack, ohne ihn weiter zu behelligen.
Endlich, die Papierspur endete. Er war bereits vierundzwanzig Stunden auf den Beinen. Valakrien spürte einen ungeheuren Blutdurst und bei näherer Prüfung, entdeckte er ein paar Verbrennungen auf seinem Handrücken. Elend sah er aus, als er endlich die Stadtvilla des Vampirordens betrat. Das Licht war gedämpft, schummrig. Die Schatten tanzten aufgeregt an der Holzvertäfelung des langen Flurs. Kerzen knisterten leise vor sich hin. Valakrien drückte die schwere Flügeltür ächzend ins Schloss. Ein fliehender Wind heulte kurz unter der Tür hindurch, als nähme er eine Chance wahr, dieser Gruft doch noch zu entfliehen. Was folgte war verhaltende, staubige Stille. Valakrien hängte seinen Mantel aus grober Wolle, der mit vollgestopften Taschen aussah wie ein Ballon, an einen der vielen Kleiderhaken und marschierte entschlossen in den benachbarten Versammlungsraum.
Der Hauptsaal war behaglich kühl. Kein Feuer brannte ihm Kamin, das Licht würde die Augen nur unnütz verwirren. Eiskerzen, standen ringsum und spendeten ein diffuses, blaues Licht. Trivasek stand vor der bläulich schimmernden Feuerstelle ohne Wärme und flüsterte heiser vor sich hin. Es klang nach einer Gebetsformel. Ein unterschwelliges Rumoren, das Wortfetzen aus der Tiefe seines Bauches hervordrückte, folgte.
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