Lauschend wartete er einen Moment. Die Drachen waren nicht mehr zu hören. Anscheinend hatten sie das Schiffswrack aufgegeben, in der Erkenntnis, dass sich ihr Nachwuchs nicht im Bauch des Schiffes befand. Arwek riskierte einen zaghaften Blick nach draußen. Es war Nacht und die Sterne funkelten lebhaft durch weiße Wolkenschleier. Es roch angenehm nach Festland. Das Schiffswrack lag gebettet, auf einem Lager aus umgeknickten und geborstenen Ammentannen. Würziger Duft von Baumharz, stieg ihm in die Nase. So eine Fülle von Bäumen, hatte er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Still und schwarz umstanden die gewaltigen Tannen die neu geschaffene Lichtung. Sie wirkten beinahe bedrohlich. Gefangene in dem Zwielicht zwischen Tag und Nacht. Staunend gesellte er sich zu den stummen Riesen, die unendlich lange Schatten warfen und schenkte ihnen bewundernde Blicke. Es begann zu regnen. Arwek suchte sich ein notdürftiges Lager in den Überresten der „Sturmtänzer“. Er beschloss sich am nächsten Morgen frühzeitig auf den Weg zu machen. Es grenzte an ein Wunder, dass er noch lebte und die Drachen das Schiff samt Inhalt verschonten und nicht kurzerhand abfackelten, wie es sonst ihrer Natur entsprach. Asche war eine ihrer Nahrungsquellen und sie gierten danach. Was Arwek nicht ahnte: seinem Blick entzogen, kreisten die Drachen, in höchsten Höhen, den Göttern so nahe. Weit über ihm, beobachteten sie aufmerksam jeden seiner Schritte, mit regem Interesse. Keine seiner Bewegungen entging dem starren Blick, aus wachsamen Reptilienaugen.
Mehrfach sah Vivan zurück. Die Stadttore schwanden aus seinem Blickfeld. Vor ihnen lag die Wildnis eine von Magie verseuchte Ödnis, angefüllt mit unsagbaren Gefahren. In dieser feindlichen Umwelt gab es eine Handvoll versprengter Städte, die täglich um ihre Existenz bangen mussten. Sie waren Fragmente einer kriegsversehrten Welt. Ständig belagert von Siedlern, oder weitaus schlimmeren. Patria war von hier gut auszumachen, der von Eis umschlossene Gipfel des Fressenbeißergebirges erhob sich majestätisch, aus einem wolkenverhangenen Himmel. Dahinter, von hier aus, nur eine bloße Ahnung, lag die Stadt Agatan – ein Marsch von mehr als drei Wochen, vorausgesetzt das Wetter spielte mit. Elamorsa trieb die Gruppe zur Eile an. Ein Abbruch ihres Unterfangen stand nicht zur Debatte. Der Grund für ihre Eile, zeichnete sich deutlich am Horizont ab. Dutzende von Feuern, glühende Augen die die Nacht erhellten umringten sie. Noch immer kampierten die Orks vor Friedstatt und ihre Laune war noch miserabler, seitdem ihr Häuptling Truchwassa verschwunden war, und bis auf weiteres auch blieb. Späher durchstreiften die Ammentannenwälder, die an den Ufern der Vielwasserströme ihren Ursprung nahmen. Überall gab es namenlose Häscher, die nach Wild jagten, um ihren Stamm angemessen zu ernähren. Sie scheuten sich auch nicht davor, ahnungslosen Menschen aufzulauern und nachzustellen oder gleich vor Ort zu verspeisen, wenn sich die Gelegenheit bot.
In stiller Stunde schellte sich Vivan einen Idioten. Ohne Bagatosh war die ganze Reise ein ausgesprochenes Himmelfahrtskommando und von vornherein zum Scheitern verurteilt. Glutzherz folgte sklavisch, obwohl – die Sonne machte ihr zuweilen Angst. Sie kroch noch tiefer in ihr schwarzes Gewand, welches sie sorgfältig über ihre Rüstung gezogen hatte – so dass wirklich alle Hautstellen abgeschirmt wurden. Soviel Freiraum war sie einfach nicht gewohnt. Die Weite, hinter den schützenden Steinmauern, machte sie schwindelig. Ihr Blick war schwach. Die Ferne, anfangs schmerzhaft und undeutlich. Der Schleier der Katakomben lag auf ihren Katzenaugen. Sie war die Enge der Arena gewohnt, das Zwielicht, beschützende Wände um sich herum, doch all diese Unwägbarkeiten und neuen Eindrücke hielten sie nicht davon ab weiter zu gehen. Die Neugierde und ihre Vision, einer verschollenen Heimat, trieb sie voran. Was hatte der Belerasier gesagt? Wann kommst du endlich zu uns? Sie ahnte worauf es hinauslief - war er einer der Überlebenden der einstigen Katastrophe? Fristete er dort, Gut getarnt im Dunkel der Arena Katakomben, sein kümmerliches Dasein als Vollstrecker?
Am Nachmittag wurde es dunkler. Der Himmel verfinsterte sich und es schüttete aus Eimern. Die Kleidung wurde klamm und jeder weitere Schritt mühsam. Typisch für diese Jahreszeit, jedenfalls in der Gegend um Friedstatt. Dieser Landstrich war, im Großen und Ganzen, von der Magie der Syderkriege verschont geblieben. Hier gab es so etwas wie ein natürliches Klima. Elamorsa hatte ganz auf Kartenmaterial verzichtet. Nicht aus purem Leichtsinn. Es war schwer, überhaupt an geeignetes Kartenmaterial zu gelangen. Die Karawansereien behandelten Landkarten als Verschlusssache und hüteten jedes Schriftstück wie ihren Augapfel. Eine gute Karte wurde mit reichlich Gold aufgewogen. Es gab eine Vielzahl von Schneisen und geheimen Pfaden, durch die verseuchten Landstriche, die nur einer handvoll Eingeweihten überhaupt bekannt waren und so war es nicht verwunderlich, dass unzählige Freigeister ihre Dienste anboten. Leider waren nicht alle unter ihnen vertrauenswürdig. Besonders günstige Angebote, musste man schon von vornherein in Frage stellen und am besten gleich ausschlagen. Viele Fälschungen waren im Umlauf oder die Dienstbaren Führer entpuppten sich, in einem entlegenen Waldstück, als hinterhältige Gauner und brachten ihre Kunden routiniert um ihr Leben. Die sogenannten: "guten" Karten waren rar und begehrt und für den normalen Goldbeutel unerschwinglich. Ganz sicher, es handelte sich nicht um eine Nachsichtigkeit der Schankmagd, wie Vivan sie abfällig nannte, es war eher eine Frage der geldlichen Mittel. Dennoch, es grenzte an Selbstmord ohne geeignetes Kartenmaterial aufzubrechen, da war Vivan sich ganz sicher. Bagatoshs Erfahrungen standen momentan nicht zur Verfügung – nur die Götter allein wussten, wann er den Weg zu seinen Gefährten zurück fände.
Die Pferde taten ihren Dienst – mehr schlecht als recht. Auf den ersten Blick wirkten sie alt. Zwei zottige Wallache, die sich ganz offensichtlich nicht gut vertrugen und sich bei jeder Gelegenheit bissen und traten. Wenigstens eine positive Entwicklung gab es zu verzeichnen: der Regen hatte abgenommen, die Sonne brach durch. Die Gruppe suchte Schutz unter den Bäumen. Der Saum des Waldes lag hinter ihnen. Elamorsa war eine stille und aufmerksame Beobachterin, sie bemerkte das Glutherz fror, eilfertig nahm sie einen Mantel aus ihrem Bündel, welches sie hinter dem Sattel fest verschnürt hatte und legte den schweren Fellmantel der Gladiatorin vorsichtig um: "Was wohl mit Bagatosh geschehen ist? Er ist überfällig." Ihre Stimme klang besorgt. Glutherz zog dankbar den gereichten Mantel um ihre Schultern. Der Gambeson unter der Rüstung war feucht und entzog ihrem dünnen Körper die letzte verbliebene Wärme. Vivan trottete etwas desillusioniert, mit hängenden Kopf hinter den Pferden her. Ein würziger Geruch ließ seine Aufmerksamkeit anwachsen und riss ihn aus seinen seelischen Dämmerzustand. Er kannte diesen, schweren Gestank – es roch nach feuchten Fell und Moschus.
"Schließt du manchmal die Augen und träumst?"
Elamorsa versuchte eindeutig die bedrückte Stimmung aufzuhellen. Glutherz war in solchen Dingen wie Konversation wenig erfahren.
"Wenn ich meine Augen schließe ist alles dunkel.", erwiderte sie tonlos.
Elamorsa hielt kurz inne, ihre Wangen röteten sich: "Ah, gut – kann ich noch was für dich tun?" Sie versuchte einen Blick der Demarow zu erhaschen, doch ihre ausdrucksvollen, bernsteinfarbenen Augen blieben unter der Kapuze verborgen. Sie wollte ganz offensichtlich nicht reden. Glutherz schämte sich etwas, sie war nicht gut darin Belanglosigkeiten in Worte zu fassen, oder sich überhaupt an Gesprächen zu beteiligen.
"Hey wir müssen vorsichtig sein!" rief Vivan aufgeschreckt von hinten. Hastig lief er auf die Beiden zu, "Wann erreichen wir endlich den vereinbarten Treffpunkt?"
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